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Rudolf Hilferding,
"Zwischen den Entscheidungen", Die Gesellschaft, 1933,
Nr. 1 (Auszüge)[1].
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[...] Die Stellung der Regierung Schleicher
weist in ihrer Stellung zum Reichstag eine gewisse Analogie zu den
Obrigkeitsregierungen der kaiserlichen Zeit auf. Die Entschlüsse des
Reichstags sind für das Schicksal dieser Regierung nicht das Entscheidende.
Im Konfliktsfall ist der Reichstag der politisch schwächere Teil, gegen den
sich die Regierungsgewalt zu behaupten suchen wird. Die Sozialdemokratie
steht zu der Obrigkeitsregierung in Opposition. Der Gedanke einer
parlamentarischen Tolerierung ist schon deshalb absurd, weil dazu alle
Voraussetzungen fehlen. Kommunisten und Nationalsozialisten verfügen über
die Mehrheit für Mißtrauensvoten und für Aufhebung von Notverordnungen.
Tolerierung oder Mitarbeit ist keine Erwägung für die Sozialdemokratie,
sondern für die Nationalsozialisten. Aber mit der Opposition gegen die
Präsidialregierung ist das politische Problem nicht erschöpft. Die
Situation ist nicht so einfach wie zur Zeit, als das liberale Bürgertum
seinen Kampf gegen den Absolutismus für das parlamentarische System
gekämpft hat. Die Präsidialregierungen sind in Deutschland nur möglich,
weil das Parlament durch die Diktaturparteien, die Nationalsozialisten,
Deutschnationalen und Kommunisten, außer Funktion gesetzt ist. Der Kampf
gegen die Präsidialregierung muß also verbunden sein mit dem Kampf um ein
arbeitsfähiges Parlament und das erfordert Kampf gegen die
Diktaturparteien. Denn die Präsidialregierungen sind das Sekundäre, das
Primäre ist die Lahmlegung des Parlaments. Für die Sozialdemokratie handelt
es sich dabei um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den
Kommunisten. Deshalb versagt jetzt die Einheitsfrontparole, die in den
ersten Nachkriegsjahren zur Zeit der Übermacht der Sozialdemokratie und der
unerschütterlichen Autorität der Gewerkschaften noch ihren Sinn haben
konnte, aber jetzt nur Verwirrung stiften kann. Die Kommunisten suchen eine
Einheit der Arbeiterbewegung auf unmittelbar revolutionärer Basis zur
revolutionären Aktion der sofortigen Machtergreifung. Dazu brauchen sie die
Unterordnung der Arbeiter unter die Führung der revolutionären Avantgarde,
der kommunistischen Leitung. Die Einheit setzt also die Unterwerfung der
sozialdemokratischen Massen unter ihre Führung, die Zerstörung der
Sozialdemokratie, ihres Wesens, ihrer organisatorischen Selbständigkeit
voraus. Wenn wir Sozialdemokraten von Einheit sprechen, so denken wir an
die Einheit einer Arbeiterbewegung in ihrem Kampfe für die von ihr selbst,
in demokratischer Selbstbestimmung jeweils gesetzten Ziele. Dieselben Worte
bezeichnen ganz verschiedenen Inhalt. In der gegenwärtigen Situation aber
sich auf pseudo-revolutionäre Aktionen einzulassen, hieße dem Faschismus
zum sicheren Siege im Bunde mit der Staatsmacht verhelfen ‑ ein
Spiel, dem wir uns von Anfang an versagen müssen, denn es endete nicht in
der Revolution, sondern in der Konterrevolution.
Die Aufgabe ist nicht leicht. Es
widerstrebt dem Arbeiter, den Kampf gegen die eigenen Klassengenossen zu
führen, und dies erst recht angesichts der faschistischen Gefahr, die
nichts dringender erforderte als die Einheit der proletarischen Aktion.
Aber die Erfüllung der Aufgabe ist unerläßlich, weil die Taktik der
kommunistischen Führung zugleich die parlamentarische wie die außerparlamentarische
Aktionskraft der Arbeiterklasse lähmt. Denn der immer erneute Versuch, die "Einheitsfront"
zur Entlarvung der sozialdemokratischen Führung, zur Abtrennung der
sozialdemokratischen Massen auszunutzen, die "echt revolutionäre
Haltung" der Kommunisten mit dem "Verrat der
Sozialdemokraten" zu kontrastieren, verwandelt naturgemäß jede
außerparlamentarische Aktion in ein putschistisches Abenteuer. Deshalb ist
der grundsätzliche Kampf gegen die kommunistische Führung, das Ringen um
den kommunistischen Arbeiter nur die andere Seite des Kampfes gegen die
Präsidialregierung, des Kampfes um die Zurückeroberung der Demokratie, die,
neu erobert und neu gesichert, erst wirklich der Kampfboden wird, auf dem
die Arbeiterklasse ihre Ziele erreichen kann. Unterdessen bleibt die
politische Situation labil und ungewiß. Die Wirtschaftskrise stellt die
Regierung Schleicher vor Probleme, bei deren Lösungsversuchen sie ebenso
ihre Position verlieren kann wie ihre Vorgängerin, und die Gefahr, die
schon bei der Regierung Papen gegeben war, kann aufs Neue erstehen, die
Rettung zu suchen in dem Abdanken in die Hände des Faschismus. Es ist ja
überhaupt das Charakteristische der Zeit, daß zwischen dem Lauf der
Wirtschaftskrise und dem Ablauf der rebellischen Auflehnung, die sie auf
dem politischen Feld erzeugt hat, eine Art Wettlauf stattfindet, und es im
Ungewissen bleibt, ob die Krise zu Ende geht, bevor die Rebellion ihren Weg
genommen hat. So stehen wir zwischen den Entscheidungen. Die faschistische
Bewegung ist in Deutschland aus der Staatsmacht, deren Ergreifung so
unmittelbar bevorzustehen schien, ferngehalten worden dank der Taktik der
Sozialdemokratie, die durch ihre Tolerierungspolitik den Zusammenschluß des
Bürgertums zu einer reaktionären Masse unter faschistischer Führung
vermieden und den Eintritt der Faschisten in die Regierung während ihres
Aufstiegs verhindert hat. Dieselbe Taktik hat das Zentrum in seiner
Opposition gegen die Regierung der Restauration festgehalten und damit
diese der Stütze der einzigen festgefügten bürgerlichen Partei beraubt. Die
Nationalsozialisten aber sind in die Legalität gebannt, die ihnen nur die
Wahl läßt, als dienendes Glied in einem Bürgerblock den beginnenden Abstieg
zu beschleunigen oder ihm in einer Opposition erst recht nicht zu entgehen,
die ihre ungeduldig auf Rettung wartenden Anhänger enttäuscht. Es ist
dieser beginnende Abstieg, der die Gefahr des Kompromisses zwischen Hitler
und Schleicher verringert, denn die absteigende Partei hat die Chance, die
Alleinmacht durch die Verdrängung ihrer Regierungspartner doch noch zu
erobern in verschwindend geringerem Maße als die aufsteigende. So sind die
bisherigen Entscheidungen gegen den Faschismus und gegen die Restauration
gefallen. Ihre endgültige Gestalt wird aber die politische Entwicklung erst
von den wirtschaftlichen Ereignissen erfahren.
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Über das Treffen
Franz von Papen mit Adolf Hitler, 4. Januar 1933
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Kurt von Schröder[2]:
Am 4. Januar 1933 trafen sich Hitler,
von Papen, Heß, Himmler und Keppler in meinem Hause in Köln. Hitler, von
Papen und ich gingen in mein Arbeitszimmer, wo wir uns während einer etwa
zwei Stunden dauernden Unterredung entschlossen. ließ, Himmler und Keppler
nahmen an dieser Besprechung nicht teil, hielten sich aber im nächsten
Zimmer auf. [...] Die Aussprache fand nur zwischen Hitler und Papen statt.
Ich selbst hatte im Verlauf der Unterhaltung nichts zu bemerken. Das
Treffen begann um etwa 11.30 Uhr. [...]
Dann erzählte von Papen Hitler, daß es ihm
als Bestes erschiene, die Konservativen und die Deutschnationalen, die ihn
unterstützt hätten, mit den Nationalsozialisten zu vereinigen, um eine
Regierung zu bilden. Er, schlug vor, diese neue Regierung solle, wenn
möglich, von Hitler und von Papen auf der Grundlage der Gleichberechtigung
geleitet werden. Darauf hielt Hitler eine lange Rede, in der er erläuterte,
wenn er zum Kanzler ernannt würde, sei es für ihn unbedingt notwendig, an
der Spitze der Regierung zu stehen, aber die Anhänger Papens könnten in
seine (Hitlers) Regierung als Minister eintreten, wenn sie einwilligten,
mit ihm eine Politik zu verfolgen, durch die vieles geändert würde. Diese
Änderungen, so erläuterte er damals, würden die Ausschaltung der
Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden aus den führenden Stellen in
Deutschland und die Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Leben
einschließen. Von Papen und Hitler erzielten ein grundsätzliches
Übereinkommen, so daß viele Punkte, die sie miteinander in Konflikt
gebracht hatten, ausgeschaltet wurden und sie einen Weg zueinander finden
konnten. Sie stimmten darin überein, weitere Einzelheiten auszuarbeiten.
Dies könne in Berlin oder einem anderen passenden Ort erledigt werden.
Kurt von Schröder[3]:
Das Hauptbestreben der Industriellen zu
dieser Zeit war es, einen starken Politiker in Deutschland zur Macht kommen
zu sehen, der eine Regierung bilden konnte, die lange Zeit an der Macht
bleiben würde. Als am 6. November 1932 die NSDAP ihren ersten
Rückschlag erlitt und damit ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde die
Hilfe der deutschen Schwerindustrie besonders dringend.
Joseph Goebbels (5. Januar 1933)[4]:
[...] Die Unterredung zwischen dem Führer
und Herrn von Papen in Köln hat stattgefunden. Sie sollte geheim bleiben,
aber durch eine Indiskretion ist sie in die Öffentlichkeit gedrungen, und
Schleicher läßt sie nun ganz groß in der Presse ausposaunen, Man scheint zu
ahnen, was hier gespielt wird. Die Journaille lügt das Blaue vom Himmel
herunter.
Eins wird die amtierende Regierung auch
wissen: daß es im Ernst uni ihren Sturz geht. Wenn dieser Coup gelingt,
dann sind wir nicht mehr weit von der Macht entfernt.
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Schilderung Otto
Braun seiner Unterredung mit Kurt von Schleicher, 6. Januar 1933
Auszüge)[5]
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Schließlich meinte er: "Nun soll am
24. Januar der Reichstag zusammentreten; mit dem Parlament kann man
doch nicht arbeiten." Darin mußte ich ihm beipflichten und entschloß
mich, nunmehr unter Hintansetzung mancher Bedenken persönlicher und
politischer Natur, zu folgendem Vorschlag, als letzten Versuch, der
verhängnisvollen Entwicklung in Deutschland eine andere Wendung zu geben:
»Heben Sie die Verordnung über den Reichskommissar in Preußen auf. Ich will
dann ohne Rücksicht auf meine Gesundheit die Führung der Staatsgeschäfte
wieder fest in die Hand nehmen. Sie lösen den Reichstag auf, ich führe die
Auflösung des Landtages herbei. Wir schieben die Wahlen bis weit in das
Frühjahr hinaus, regieren inzwischen mit Verordnungen und führen einen
einheitlichen nachdrücklichen Kampf gegen die Machtansprüche der
Nationalsozialisten. Diese haben bei der Novemberwahl bereits zwei
Millionen Stimmen verloren, haben ihren Höhepunkt überschritten und
befinden sich im Rückgange. Wir brauchen nur noch nachzustoßen, um ihnen
bei Frühjahrswahlen eine vernichtende Niederlage zu bereiten. Denn eine
innerlich so hohle, durch Demagogie hochgetriebene, vornehmlich von
Desperados und Stellenjägern aller Art geleitete und getragene, aus dunklen
Finanzquellen gespeiste Bewegung stürzt ebenso lawinenartig ab, wie sie
angeschwollen ist, wenn sie erst rückläufig wird und die Finanzquellen
nicht mehr fließen. Ist der nationalsozialistische Spuk zerstoben, dann
bekommen wir arbeitsfähige Parlamente und können der schwierigen Probleme
Herr werden, um so mehr, als auch die Wirtschaftskrise offenbar ihren
Höhepunkt überschritten hat und Aussicht auf Besserung der Wirtschaftslage
besteht." Hätte er diesen Vorschlag akzeptiert und sich in loyaler
Zusammenarbeit mit mir für seine Durchführung eingesetzt, vielleicht sähe
es heute in Deutschland und Europa anders, friedlicher aus. Aber Schleicher
antwortete ausweichend, und ich gewann den Eindruck, daß er nicht wollte,
einmal, weil er noch immer an dem Gedanken festhielt, unter Heranziehung
der von ihm bisher geförderten "wertvollen nationalen Kräfte" aus
der nationalsozialistischen Bewegung zu regieren, sodann wohl auch
fürchtete, durch die Wiederherstellung meiner vollen Regierungsgewalt in
Preußen in zu starke Abhängigkeit von mir zu geraten. Überdies war es ihm
wohl auch inzwischen zur Gewißheit geworden, daß er durch seine Doppelzüngigkeit
und Treulosigkeit besonders gegen Groener, dem er so viel verdankte und mit
dem sich Hindenburg noch immer kameradschaftlich verbunden fühlte, das
Vertrauen des Reichspräsidenten mehr und mehr eingebüßt hatte. Und so
wandte er denn auch ein: "Der alte Herr hält an der Einheit
Reich-Preußen durch den Reichskommissar fest, auch wird er mir die
Auflösung des Reichstages abschlagen." "Die muß er Ihnen
geben", erwiderte ich ihm, "ich bin bereit, mit Ihnen zum
Reichspräsidenten zu gehen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn es
uns nicht gelänge, ihn von der Notwendigkeit dieser Maßnahme zu
überzeugen." Vergebens. Er wollte nicht, weil er aus den ersterwähnten
Gründen meinem Plan innerlich widerstrebte. So mußte ich ihn mit der
bitteren Erkenntnis verlassen, daß die Mission des neuen Preußens, die
Demokratie in Deutschland zu sichern und zu vertiefen, ihr Ende erreicht
hatte, daß mein letzter Versuch, die verhängnisvolle Entwicklung
aufzuhalten, gescheitert war. Nicht der vielverkannte und Dualismus Reich-Preußen,
sondern die durch verfassungswidrige Gewaltmaßnahmen erzwungene
Pseudo-Einheit Reich-Preußen ließ Deutschland ins Verderben abgleiten.
Mögen die äußeren Erfolge, die die derzeitigen Beherrscher Deutschlands der
durch brutale Gewaltandrohung in Europa erzeugten Angstpsychose verdanken,
das zeitweilig verbergen. Dem deutschen Volke, das sich aus der
Verantwortlichkeit der Demokratie in die Unverantwortlichkeit der Diktatur
treiben ließ, muß dieses nach innen wie nach außen auf Gewalt gestützte Regime,
das dem Recht entsagt hat, mehr noch als der übersteigerte Imperialismus
der wilhelminischen Zeit letzten Endes zum Verderben gereichen.
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Ludwig Kastl an
Gustav Krupp, 26. Januar 1933 (Auszüge)[6]
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Bei Erörterung der politischen Lage [mit
Staatssekretär Planck] erfuhr ich [...] als neuesten Stand das Bestreben
der Deutschnationalen und der Nationalsozialisten, die Harzburger Front
wieder herzustellen. Man spricht von einem Kampf-Kabinett Papen-Hitler-Schacht,
bei dem Papen die Spitze darstellen soll und Hitler Wehrministerium und
Ministerium des Innern erhalten soll, Schacht Finanzministerium, Hugenberg
Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium. Ich halte diese Kombination,
an der sich keiner der gegenwärtigen Minister beteiligen wird, für äußerst
bedenklich und gehe so weit zu befürchten, daß eine derartige Kombination
als offene Kampfansage gegen den größten Teil der Bevölkerung angesehen
würde und man nicht ohne Unruhen durchkommen würde, wenn es tatsächlich
dazu käme. Im Augenblick bestehen noch immer erhebliche Zweifel, ob der
Herr Reichspräsident sich auf einen solchen Vorschlag einlassen wird.
Andeutungen sprechen dafür, daß man nicht ganz ohne Erfolg ihm klargemacht
haben soll, daß ein solches Kabinett ein ganz großes Kabinett werden würde
mit größten Aussichten auf Stabilität. Man hat sogar von einem so genannten
Bombenkabinett gesprochen, worauf ich scherzweise bemerkte, daß mir
bedauerlicherweise der Nachdruck mehr auf Bomben als auf Kabinett zu liegen
scheine. Das Zentrum ist entschiedener Gegner und die Sozialdemokraten
selbstverständlich erst recht. Ein anderer Ausweg, der versucht wird, ist
der, den Reichstag am 31. d. M. zusammentreten zu lassen ‑ die
Regierung wird kurzen Vertagungen widersprechen ‑ und einmal
abzuwarten, was bei dem Zusammentritt des Reichstags herauskommt. Bleibt
dann nichts anderes übrig als eine Auflösung, so soll hinterher die Frage
erneut geprüft werden, ob man die Neuwahl bis zum November verschieben
kann. Der Reichspräsident soll sich angeblich nur dann für einen solchen
Weg entscheiden, wenn ein derartiger Vorschlag entweder von den Parteien
selbst gebracht oder toleriert würde, so daß konkrete gesetzliche
Notmaßnahmen unterbleiben könnten. In diesem Falle würde das Kabinett
Schleicher bleiben. Vom Standpunkt der Wirtschaft aus gesehen, würde
natürlich ein solcher Ausweg weitaus jedem anderen vorzuziehen sein. [...]
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NSDAP[7]
ohne ein Verbot der kommunistischen Partei
sei eine Klärung und Beruhigung der politischen Verhältnisse nicht möglich.
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Protokoll Sitzung
Regierung, 30. Januar 1933 (Auszüge)[8]
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Der Reichskanzler wies darauf hin, daß eine
Vertagung des Reichstags ohne Mithilfe des Zentrums nicht möglich sei. Nun
könne man vielleicht daran denken, die kommunistische Partei zu verbieten,
ihre Mandate im Reichstag zu kassieren und auf diese Weise die Mehrheit im
Reichstag zu erreichen. Nach seiner Erfahrung seien jedoch Verbote von
Parteien zwecklos. Er befürchte als Folgen eines eventuellen Verbots der
KPD schwere innenpolitische Kämpfe und eventuell den Generalstreik.
Sicherlich gebrauche die Wirtschaft Ruhe. Wenn man jedoch die Frage
aufwerfe, was für die Wirtschaft eine größere Gefahr bedeute, die mit
Neuwahlen verbundene Unsicherheit und Beunruhigung oder ein Generalstreik,
so müsse man nach seiner Ansicht zu dem Ergebnis kommen, daß ein
Generalstreik für die Wirtschaft weit gefährlicher sei.
Es sei schlechterdings unmöglich, die 6
Millionen Menschen zu verbieten, die hinter der KPD ständen. Vielleicht
könne man nach Auflösung des Reichstags bei den dann bald vorzunehmenden
Neuwahlen doch eine Mehrheit für die jetzige Reichsregierung gewinnen. Am
allerbesten werde es sein, wenn der Reichstag sich freiwillig vertage.
Der Reichswirtschaftsminister und
Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte aus, daß er gewiß
keine Sehnsucht nach einem Generalstreik habe. Nach seiner Überzeugung
werde es jedoch nicht möglich sein, um die Unterdrückung der KPD
herumzukommen. Anderenfalls werde man keine Mehrheit im Reichstag
erreichen, jedenfalls keine Zweidrittelmehrheit.
Nach der Unterdrückung der KPD sei die
Annahme eines Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag möglich. Es
erscheine ihm zweifelhaft, ob im Falle der Unterdrückung der KPD ein Generalstreik
ausbrechen werde. Er ziehe die Unterdrückung der KPD den Neuwahlen vor.
Reichsminister Göring teilte mit, daß die Kommunisten
für heute abend (30. 1.) eine Demonstration geplant hätten, die er
verboten habe. Nach seinen Feststellungen würde die SPD im Augenblick einen
Generalstreik nicht mitmachen. Die Sozialdemokratie dränge zur Zeit auf
eine Aussprache im Reichstag.
Nach seiner Auffassung sei es am besten,
möglichst bald den Reichstag aufzulösen und zu Neuwahlen zu kommen. Der
Reichskanzler habe sein Wort dahin verpfändet, daß auch nach den Neuwahlen
die jetzige Zusammensetzung des Reichskabinetts nicht geändert werde.
Der Reichskanzler bestätigte die
Richtigkeit dieser Mitteilung.
Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß
in den Reihen des Stahlhelms Jubel über die Bildung der jetzigen
Reichsregierung herrsche. Die Zwistigkeiten zwischen dem Stahlhelm und den
SA seien nicht mehr vorhanden.
Nach seiner Ansicht sei es mißlich, wenn
die erste Handlung der jetzigen Reichsregierung in einem Verbot der KPD
bestehe und dann ein Generalstreik einsetze.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers und
Reichskommissar für Preußen wies darauf hin, daß das deutsche Volk jetzt
Ruhe gebrauche. Nach seiner Ansicht sei es am besten, zunächst vom
Reichstag ein Ermächtigungsgesetz zu verlangen. Nach Ablehnung des
Ermächtigungsgesetzes könne die Lage immer noch erneut geprüft werden.
Der Reichskanzler führte aus, daß ein
Generalstreik nicht leicht genommen werden dürfe. Zur Unterdrückung eines
eventuellen Generalstreiks dürfe Reichswehr nach Möglichkeit nicht
eingesetzt werden.
Der Reichswehrminister dankte dem
Reichskanzler für diese Auffassung und betonte, daß der Soldat als einzig
möglichen Gegner einen äußeren Feind anzusehen gewohnt sei.
Der Reichsminister des Auswärtigen
untersuchte unter außenpolitischen Gesichtspunkten die Frage, ob eine
Auflösung der KPD mit eventuell folgendem Generalstreik oder Neuwahlen zum
Reichstag vorzuziehen seien. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Auflösung der
KPD mit eventuell folgendem Generalstreik weit bedenklicher sei.
Der Reichsminister der Finanzen wies darauf
hin, daß die Finanzen des Reichs, der Länder und Gemeinden nur durch eine
allmähliche Besserung der Wirtschaftslage in Ordnung zu bringen seien. Die
Auflösung der KPD betrachte er als letztes politisches Mittel.
Staatssekretär Dr. Meissner stellte zur
Erwägung, ein Ermächtigungsgesetz des Inhalts zu beantragen, daß die
Reichsregierung zur Vornahme der Maßnahmen ermächtigt werde, die zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendig seien. Ein derartiges
Ermächtigungsgesetz erfordere nur eine einfache Mehrheit im Reichstag.
Reichskommissar Dr. Gereke führte aus, daß
das Zentrum die Regierung nicht werde tolerieren wollen. Baldige Neuwahlen
zum Reichstag würden erforderlich werden.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers und
Reichskommissar für das Land Preußen schlug vor, daß der Reichskanzler
baldigst in einem Interview sich gegen Gerüchte über Gefährdung der Währung
und gegen Gerüchte über die Antastung von Beamtenrechten aussprechen möge.
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Aufruf
Parteivorstand und Fraktion SPD, 30. Januar 1933[9]
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Arbeitendes Volk!
Republikaner!
Im Kabinett Hitler-Papen-Hugenberg ist die
Harzburger Front wieder auferstanden.
Die Feinde der Arbeiterklasse, die einander
bis vor wenigen Tagen auf das heftigste befehdeten, haben sich
zusammengeschlossen zum gemeinsamen Kampf gegen die Arbeiterklasse, zu
einer reaktionären großkapitalistischen und großagrarischen Konzentration.
Die Stunde fordert die Einigkeit des ganzen
arbeitenden Volkes zum Kampf gegen die vereinigten Gegner. Sie fordert
Bereitschaft zum Einsatz der letzten und äußersten Kräfte.
Wir führen unseren Kampf auf dem Boden der
Verfassung. Die politischen und sozialen Rechte des Volkes, die in
Verfassung und Gesetz verankert sind, werden wir gegen jeden Angriff mit
allen Mitteln verteidigen. Jeder Versuch der Regierung, ihre Macht gegen
die Verfassung anzuwenden oder zu behaupten, wird auf den äußersten
Widerstand der Arbeiterklasse und aller freiheitlich gesinnten Volkskreise
stoßen. Zu diesem entscheidenden Kampf sind alle Kräfte bereitzuhalten.
Undiszipliniertes Vorgehen einzelner
Organisationen oder Gruppen auf eigene Faust würde der gesamten
Arbeiterklasse zum schwersten Schaden gereichen.
Darum her zur Eisernen Front! Nur ihrer
Parole ist Folge zu leisten! Kaltblütigkeit, Entschlossenheit, Disziplin,
Einigkeit und nochmals Einigkeit ist das Gebot der Stunde!
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Aufruf Gewerkschaften,
30. Januar 1933[10]
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An die Mitglieder
der Gewerkschaften!
Die politische Lage hat sich in
entscheidender Weise geändert. Das Schwergewicht der neuen Reichsregierung
liegt bei Parteien und Gruppen, die bisher offen für die soziale
Entrechtung der Arbeiter und Angestellten, für die Zerschlagung der
Demokratie und für die Ausschaltung des Parlaments eingetreten sind. Die
Gefahr liegt nahe, daß sie jetzt ihre Pläne zu verwirklichen trachten.
Gewerkschaftsmitglieder! Die
Lebensinteressen der gesamten Arbeiterschaft stehen auf dem Spiel. Um
Angriffe gegen Verfassung und Volksrechte im Ernstfalle wirksam abzuwehren,
ist kühles Blut und Besonnenheit erstes Gebot. Laßt euch nicht zu
voreiligen und darum schädlichen Einzelaktionen verleiten.
Berlin, den 30. Januar 1933
Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
Allgemeiner freier Angestelltenbund
Gesamtverband der christlichen
Gewerkschaften
Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-,
Angestellten- und Beamtenverbände
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Vorwärts, 30. Januar 1933 (Auszüge)[11]
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Gegenüber dieser Regierung der
Staatsstreichdrohung stellt sich die Sozialdemokratie und die ganze Eiserne
Front mit beiden Füßen auf den Boden der Verfassung und der Gesetzlichkeit.
Sie wird den ersten Schritt von diesem Boden nicht tun. Sie wird vielmehr
durch Ausnutzung aller verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel den
allerschärfsten Kampf gegen diese Regierung führen. Sie überlaßt die
Verantwortung für den Ausbruch eines Ringens, das beiderseits nicht mehr
mit den normalen Waffen des politischen Kampfes geführt werden sollte,
ausschließlich ihren Gegnern [...] Auf alle Fälle hat ein geschichtlicher
Kampf um das Schicksal des deutschen Volkes begonnen. Die Situation ist
voller Gefahren. Sie birgt aber auch die Möglichkeit einer überraschend
schnellen günstigen Entwicklung in sich. Wir wissen, daß an ihrem Ende der
Sieg der Arbeiterklasse, der Demokratie und des Sozialismus steht. Er ist
vielleicht näher, als mancher denkt! Kaltblütig, zuversichtlich und, wenn
es die Sache der Freiheit fordert, zu letzten Opfern bereit, gehen wir der
Zukunft entgegen, die unser sein wird trotz alledem!
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Aufruf KPD,
30. Januar 1933 (Auszüge)
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Hitler Reichskanzler, Papen Vizekanzler,
Hugenberg Wirtschaftsdiktator, die Frick und Goebbels an der Spitze der
Polizei, Stahlhelmmann Seldte Arbeitsminister.
Dies neue Kabinett der offenen
faschistischen Diktatur ist die brutalste und unverhüllte Kriegserklärung
an die deutsche Arbeiterklasse, an das werktätige Volk. Die Betrugsmanöver
des "sozialen Generals" sind zu Ende. Die Zuspitzung der Krise, der
machtvolle revolutionäre Aufschwung der Massen zwingt die Bourgeoisie, das
nackte Gesicht ihrer Diktatur in äußerster Brutalität zu enthüllen. [...]
Diese faschistischen Anschläge sollen den
Kurs auf die volle Zerschlagung aller Arbeiterorganisationen einleiten.
[...]
Die Kommunistische Partei Deutschlands
wendet sich vor der gesamten proletarischen Öffentlichkeit mit dem Aufruf
zugleich an den ADGB, an den Afa-Bund, an die SPD und die christlichen
Gewerkschaften mit der Aufforderung, gemeinsam mit den Kommunisten den
Generalstreik gegen die faschistische Diktatur der Hitler-Hugenberg-Papen,
gegen die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen, für die Freiheit der
Arbeiterklasse durchzuführen.
Die KPD appelliert an die Millionen der
sozialdemokratischen, freigewerkschaftlichen, christlichen und
Reichsbannerarbeiter in Stadt und Land wie an die unorganisierten
Arbeitermassen:
Führt gemeinsam mit euren kommunistischen
Genossen in allen Betrieben und Arbeiterwohnvierteln Massendemonstrationen,
den Streik, den Massenstreik, den Generalstreik durch!
[...]
Es lebe die proletarische Einheitsfront
gegen die faschistische Hitler-Diktatur!
Fort mit den Hitler, Papen, Hugenberg!
Es lebe der Generalstreik!
Es lebe der Kampf für die Freiheit der
Arbeiterklasse!
Es lebe der Kampf für eine Arbeiter- und
Bauernrepublik!
Berlin, den 30. Januar 1933.
Kommunistische Partei Deutschlands
(Cf. Vollständiger Text ►)
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Deutsche
Führerbriefe, 31. Januar 1933 (Auszüge)[12]
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Die Regierungskrise hat durch die Berufung
Hitlers zum Reichskanzler erfreulich schnell die Lösung gefunden, die wir
seit dem Sommer unentwegt trotz nicht geringer Kritik und Anfeindungen als
die beste gefordert haben.
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Bericht Sitzung Bundesausschuß
ADGB, 31. Januar 1933[13]
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In seinem Bericht vor dem Bundesausschuß
gab Leipart einen Überblick über die Entwicklung der politischen Lage. Die
Spitzenorganisationen der Gewerkschaften haben sich am Sonnabend und Montag
wiederholt bemüht, beim Reichspräsidenten vorstellig zu werden, um im Sinne
ihrer in diesen Tagen veröffentlichten Erklärungen auf ihn einzuwirken.
Leider vergeblich, da der Reichspräsident nicht in der Lage war, die
Vertreter der Gewerkschaften zu empfangen.
Leipart erinnerte an den Briefwechsel des
Reichspräsidenten mit Hitler vor wenigen Monaten. Im November lehnte
Hindenburg es ab, Hitler ein Präsidialkabinett anzuvertrauen. Er stellte
ihm vielmehr damals strengere Bedingungen als jemals einem früheren
Kanzlerkandidaten. Er verlangte von ihm, daß er seine parlamentarische
Mehrheit nachweise, wenn er auf die Kanzlerschaft Anspruch erhebe. Jetzt
war hiervon keine Rede mehr. Hitler hat damals erklärt, er halte es für
notwendig, daß der deutsche Kanzler in dieser Zeit die Aufgabe habe, für
eine zeitlich fixierte und materiell begrenzte Aufgabe sich eine
Ermächtigung vom Parlament zu verschaffen. Bekanntlich ist schon gestern
von dem Gedanken an ein solches Ermächtigungsgesetz geredet worden.
Was von dieser Regierung sozialpolitisch zu
erwarten ist, zeigt das Verhalten des Reichsarbeitsministers, zeigen die
sachlichen Umgruppierungen im Reichsarbeitsministerium und im neugebildeten
Krisenministerium. Auch die Haltung gegenüber einer Persönlichkeit wie dem
Staatssekretär Grieser läßt die innere Einstellung des neuen
Arbeitsministers klar erkennen.
Die Einordnung der Tarifabteilung in das
Krisenministerium Hugenbergs läßt keinen Zweifel, wohin der Kurs geht.
Keine staatliche Lohnpolitik, vielleicht auch keine Schlichtung mehr, selbst
nicht in dem jetzt schon entarteten Sinne! Auf anderen Gebieten des
Tarifrechts wird die gewerkschaftsfeindliebe Haltung des neuen Mannes bald
genug hervortreten.
Die Arbeiterschaft wird mehr als je auf
ihre eigene Kraft angewiesen sein. Es bedarf keiner Hervorhebung, daß die
Gewerkschaften zu dieser Regierung in Opposition stehen. Das kann und wird
sie nicht hindern, die Interessen der Arbeiterschaft auch gegenüber dieser
Regierung zu vertreten. Die Gewerkschaften werden die Ansprüche der
Arbeiter auf Gleichberechtigung in Staat und Wirtschaft mit genau der
gleichen Entschiedenheit weiterverfechten wie seither. Organisation ‑ nicht
Demonstration: das ist die Parole der Stunde. Die Gewerkschaften haben
Jahrzehnte hindurch in diesem Geiste gehandelt. Sie werden dieser Losung
durch verstärkte Werbetätigkeit auch in der kommenden Zeit treu bleiben.
Graßmann ergänzte den Bericht Leiparts
durch Ausführungen über die verschiedenen Möglichkeiten der politischen
Entwicklung. Alles kommt auf die Geschlossenheit der Organisationen, auf
die Erhaltung: und den Ausbau einer einheitlichen Front der Arbeiterschaft
in ihren Gewerkschaften an. Dieser Gedanke ist auch bestimmend für die
Haltung der Gewerkschaften gegenüber jeder Partei, die sich etwa das Recht
zur Führung gewerkschaftlicher Aktionen anmaßen sollte.
Die Aussprache ergab in eindrucksvollster
Weise die einmütige Übereinstimmung aller Verbandsvertreter mit der
Haltung, die der Bundesvorstand in diesen entscheidungsschweren Tagen
eingenommen hat. Es verstehe sich von selbst, daß die Zusammensetzung
dieser Regierung zu stärksten Bedenken Anlaß gibt. Die Gewerkschaften
werden im einzelnen Falle ihre Haltung zu dieser Regierung von ihren Taten
abhängig machen. Sie stehen bereit, wenn nötig jeden Tag, neue Entscheidungen
zu treffen. Die Haltung der gewerkschaftlichen Führung kann und darf sich
aber nicht von gefühlsmäßigen Gesichtspunkten bestimmen lassen. Daß die
deutsche Arbeiterschaft, soweit sie den Geist der deutschen
Arbeiterbewegung in sich aufgenommen hat und gewerkschaftlich geschult ist,
sich gegen diese sozialreaktionäre Regierung am liebsten in unmittelbarer
Aktion zur Wehr setzen würde, ist menschlich begreiflich, aber sachlich
falsch. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Gewerkschaften die
Interessen der deutschen Arbeiterschaft schädigen würden, wenn sie diesen
Impulsen nachgeben würden. Die Ruhe und die Zuversicht, die für die
Verhandlungen des Bundesausschusses kennzeichnend war, kommt nicht von
ungefähr, sie stammt aus der genauen Kenntnis der reichen Widerstandskräfte
der deutschen Arbeiterschaft, die in ihrer jahrzehntelangen Geschichte
schon manchen Gegner kommen und gehen sah, von dem die Sage ging, daß er
die Arbeiterbewegung endgültig vernichten werde. Dieses Bewußtsein der
Kraft, das keiner großen Geste bedarf und der Disziplin der Arbeiterschaft
sicher ist, ist die feste Grundlage der ruhigen Haltung der
gewerkschaftlichen Führung in den letzten Tagen.
Leipart faßte die Aussprache zusammen. Die
gegenwärtige Regierung mag ‑ in rücksichtsloser Ausnutzung von
Machtverhältnissen, die gegenwärtig günstig für sie zu liegen
scheinen ‑ eine tariflose Zeit, vielleicht gar einen weiteren
Abbau der Lohne durchsetzen, sie mag aus der Rumpelkammer veralteter
Vorstellungen reaktionäre Pläne heraufholen und Einrichtungen schaffen, die
den bestehenden Rechten und dem Freiheitswillen der deutschen
Arbeiterschaft widersprechen ‑, die deutsche Arbeiterschaft weiß
nicht nur aus der Erfahrung der letzten Jahre, sondern aus ihrer ganzen
Geschichte, daß auf eine lange Periode sozialen Aufstieges auch einmal ein
Rückschlag, ja vorübergehende Erfolge bewußten Rückschritts folgen können.
Diese Erfahrung wird den Glauben an die Macht und die Zukunft der
gewerkschaftlichen Organisation in ihren Anhängern nicht ertöten, dieser
Glaube wird auch diejenigen wieder ergreifen und zu ihren Fahnen führen,
die heute die wirtschaftliche Not unseren Organisationen entfremdet hat.
Keine deutsche Regierung wird die deutsche Arbeiterschaft und ihre
Organisationen überwältigen können, weil sie ihren Geist nicht unterdrücken
kann. Es wird auch dieser Regierung nicht gelingen.
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Vorwärts, Leitartikel von Friedrich Stampfer, 31. Januar 1933[14]
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Nun erst recht! Gegen die Einigkeit der
Arbeiterfeinde: Einigkeit der Arbeiter!
Mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler ist der Entscheidungskampf zwischen Demokratie und Faschismus,
zwischen Kapital und Arbeiterklasse in ein neues
Stadium getreten. Entschieden ist er noch lange nicht!
Die Arbeiterklasse, die Demokratie und der Sozialismus sind nicht geschlagen. Stimmungen
der Resignation oder der Verzweiflung sind den politisch
geschulten Massen der Sozialdemokratie unbekannt. Sie
werden kaltblütig beobachten und sich zu entscheidendem Handeln bereithalten, sowie die Stunde es erfordert.
Wenn es gestern Leute
gegeben hat, die zähneklappernd zu Bett gegangen sind,
so waren es bestimmt keine Sozialdemokraten! Aber
wahrscheinlich waren es Nationalsozialisten, die sich fragten, wie ihre
Partei es ertragen wird, daß ihr Führer mit Papen und Hugenberg an der Spitze einer großkapitalistischen Regierung
steht.
Wenn gestern Leute zähneklappernd zu Bett gegangen sind, so mögen es die Deutschnationalen gewesen
sein, die nicht wissen, wann und
wie sie ihre lieben Bundesgenossen wieder loswerden können.
Es mögen Großkapitalisten gewesen sein, die daran
dachten, was aus ihrem Geschäft werden soll, wenn es drüber und drunter geht.
Den meisten Grund,
zähneklappernd zu Bett zu gehen, hatte aber der neue Reichskanzler selbst,
der nun alle Versprechungen erfüllen soll, die er gemacht hat. Wer möchte da in seiner Haut stecken?
Adolf Hitler, ein Mann aus dem Arbeiterstande, Führer einer Partei, die sich heute noch eine
Arbeiterpartei und sozialistisch nennt, steht an der Spitze einer Regierung
der großagrarisch-großkapitalistischen Reaktion. Wie
ihm diese Regierung, wie dieser Regierung dieser Chef
bekommen wird, wird die nächste Zeit lehren. Die neue Regierung hat sich beeilt zu erklären, daß sie sich auf den Boden der Verfassung und des
Gesetzes stellt und daß sie nichts gegen Verfassung
und Gesetz unternehmen will. Sie kann daher, ohne ihr Wort zu brechen, auch
nicht die Kommunistische Partei verbieten.
Der "Vorwärts" hat gestern vor
kopflosen Parolen gewarnt. Wie recht er hatte, zeigen
die Erklärungen des neuen Reichsinnenministers Frick. Die
Herren erklären, sie stehen auf dem Boden der
Legalität. Wir nehmen diese Erklärung ohne Vertrauen zur Kenntnis und denken darum nicht daran, uns vom Boden
der Legalität abdrängen zu lassen. Wenn er verlassen werden soll: meine Herren,
nach Ihnen! Wir wollen aber versuchen, Sie schon vorher davon zu überzeugen, daß Ihnen dieses Experiment verdammt
schlecht bekommen würde.
Das Mittel der Arbeitseinstellung ist ein
legales Mittel. Seine Anwendung zur Abwehr eines Angriffs auf die Freiheitsrechte des Volkes, auf die sozialen und politischen
Rechte der Arbeiterklasse ist hundertmal gerechtfertigt. Aber taktische Vernunft
rät, mit ihm hauszuhalten, damit ein entscheidender
Augenblick nicht eine abgekämpfte Arbeiterschaft
finde. Sehr bald kann alles anders sein ‑ in Zeiten wie den
jetzigen ändern sich die Verhältnisse und die Taktik sehr schnell! Heute Generalstreik machen, hieße die Munition der Arbeiterklasse zwecklos in die leere Luft verschießen!
Auf die Einigung aller
Feinde der Arbeiterklasse gibt es nur eine Antwort: Einigung der
Arbeiterklasse! Das Gewesene ist gewesen, ein neuer Kampfabschnitt hat begonnen. Alles ist zu gewinnen,
wenn die Arbeiter einig sind, alles ist zu verlieren, wenn sie es nicht sind!
Darum keine Zänkereien, keine Stänkereien, keine Sonderparolen und
Sonderaktionen! Keine falschen Einheitsfrontmanöver, sondern echte Einheit
der Arbeiterklasse! Sie ist nur zu erreichen durch ehrliches Zusammenstehen in Not und Kampf!
Klassenkampf, nicht Bruderkampf!
Her zur Eisernen Front! Proletarier
Deutschlands vereinigt euch!
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Sitzung Büro und Fraktion SPD, und Vertreter der Eisernen Front,
31. Januar 1933 (Auszüge)
|
•
|
Rudolf Breitscheid[15]:
[...]
Die Entwicklung ist zwangsläufig gewesen,
und doch muß eine Einschränkung gemacht werden. Bei aller Anerkennung der
Notwendigkeit der Entwicklung dürfen wir nicht an der Schuld derjenigen
vorübergehen, die an der Beschleunigung dieser Entwicklung mitgeholfen
haben. Das haben einmal die Nationalsozialisten getan dadurch, daß sie die
Demokratie bekämpft und die Diktatur proklamiert haben. Für sie hatte das,
von ihrem Standpunkt aus gesehen, einen Sinn, es war die Politik, die zur
Vorbereitung ihrer Sache notwendig war. Verbrecherisch war aber, daß die Kommunisten
dasselbe taten. Sie haben ebenso wie die Nationalsozialisten gegen uns
Front gemacht und den Willen zur Demokratie gelähmt mit dem Erfolg, daß die
Gegner der Arbeiterschaft den Weg zur Macht für sich gebahnt fanden.
Protokoll
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Veröffentlichung
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die an der
Beschleunigung dieser Entwicklung mitgeholfen haben
|
die die Entwicklung bewußt oder unbewußt
gefördert haben
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gegen uns Front
gemacht
|
gegen die Demokratie und ihre Träger,
nicht zuletzt gegen die Sozialdemokratie, die sie immer wieder als den
schlimmsten Feind verlästerten, Front gemacht
|
[...]
Hitler ist zwar Reichskanzler, aber es
sitzen mehrere Aufpasser des Reichspräsidenten im Kabinett, wie Papen,
Krosigk, von Neurath. Wir dürfen überzeugt sein, daß sie dahin gebracht
worden sind durch den Reichspräsidenten, um Herrn Adolf Hitler, dem Mann,
dessen Idee doch die Alleinherrschaft ist, Schranken zu setzen und Fesseln
aufzuerlegen. Ich glaube, es wäre bedenklich, wenn die Sozialdemokratische
Partei und wenn die Arbeiterschaft überhaupt durch irgendwelche ungestümen
und voreiligen Aktionen eine Entwicklung, die sich innerhalb der Regierung
vollziehen muß, hindern und hemmen würde; wenn sie dazu beiträgt, diese
einander widerstrebenden Kräfte zusammenzuschweißen.
[...]
Wir stehen selbstverständlich zu der
Regierung Hitler in der schärfsten Opposition, viel schärfer als zu der
Regierung Papen und Schleicher. Selbstverständlich haben wir auch gestern
ein Mißtrauensvotum gegen das Kabinett ausgesprochen. Aber das genügt
nicht, vor allen Dingen denen genügt es nicht, die draußen im Lande mit
einer begreiflichen Erregung die Nachricht von der Ernennung Hitlers
aufgenommen haben. Wir können die Erregung verstehen, wir können begreifen,
daß der Groll gewachsen ist und daß sie laut oder leise an uns die Frage
richten, was wir zu tun gedenken, daß sie wissen wollen, ob die Partei und
die Gewerkschaften darauf vorbereitet sind, um etwas zu unternehmen. Es ist
begreiflich, daß man in Diskussionen jetzt in erster Linie spricht von den
außerparlamentarischen Aktionen und die Frage ventiliert: Massenstreiks,
Einzelstreiks, Demonstrationen mit dem Ziel, daß etwas anderes und mehr
daraus wird als eine Manifestation in der Öffentlichkeit. Wir stellen die
Gegenfrage: Ist der Augenblick zu einer großen außerparlamentarischen
Aktion gekommen? Welches Ziel soll eine solche außerparlamentarische Aktion
haben, und wenn wir bereit sind, sie zu unternehmen, verspricht diese
Aktion dann Erfolg? Ich will meine Meinung dazu sagen. Wenn Hitler sich
zunächst auf dem Boden der Verfassung hält, und mag das hundertmal
Heuchelei sein, wäre es falsch, wenn wir ihm den Anlaß geben, die
Verfassung zu brechen, ihn von dem Boden des Rechtes entfernen, abgesehen
von dem Grund, daß wir in demselben Augenblick die widerstrebenden Kräfte
innerhalb des Kabinetts zusammenschweißen. Wenn Hitler den Weg der
Verfassung beschreitet, steht er an der Spitze einer Rechtsregierung, die
wir bekämpfen können und müssen, mehr noch als die früheren, aber es ist
dann eben eine verfassungsmäßige Rechtsregierung. Man wird den Einwand
erheben, Hitler denkt nicht daran, auf dem Wege zu bleiben, er wird die
Verfassung brechen. Die Konsequenz ist die, daß wir alles zu tun haben, um
für den Augenblick dieses Verfassungsbruches gerüstet zu sein. Dann ist es
zu spät, wird man sagen, dann hatte er die Möglichkeit, bereits etwas zu
tun. Aber wenn wir heute etwas unternehmen, glaubt nur, daß in derselben
Minute von seiten der Regierung alles geschehen würde, um uns durch das
Verbot von Zeitungen, Versammlungen, durch Hindernisse aller Art unsere
Aktionsfähigkeit gegen die Regierung zu rauben.
[...]
Ich glaube sagen zu können: Wir stehen
jetzt in einem Klassenkampf in seiner reinsten Form. Es stehen zwei Fronten
einander gegenüber: die Arbeiterklasse auf der einen, die vereinigte
Reaktion, der vereinigte Kapitalismus, unterstützt von den braunen Scharen
des Herrn Hitler, auf der anderen Seite. Nie gab es eine klarere,
einwandfreiere Klassenkampfsituation als in diesem Moment, in dieser Zeit.
Parteigenossinnen und -genossen! Wir müssen uns bewußt sein, daß nach
Hitler nichts anderes mehr kommen kann und kommen darf als eine Regierung,
auf die die Arbeiterschaft den maßgebenden Einfluß ausübt. Für diese
Entscheidungsstunde gilt es frei zu sein, für diese Entscheidungsstunde
gilt es die Kräfte zu sammeln. Zu früh losschlagen hieße nur die
Lebensdauer des Gedankens der Autorität verlängern. Wir müssen wissen, was
wir wollen, und wir müssen wollen, was wir wissen; aber wir müssen an diese
Dinge mit jener Kaltblütigkeit herangehen, die nicht durch irgendwelches
hysterisches Geschrei getrübt werden darf. Wir müssen auch, wenn wir es für
richtig halten, in diesem Augenblick innerhalb der Bahn bleiben, die wir
bisher beschritten haben. Ich wiederhole: Wir müssen alles tun, um im
einzelnen gerüstet zu sein für den Moment, wo Hitler von der Demokratie
abweicht.
Protokoll
|
Veröffentlichung
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eine Regierung, auf die die
Arbeiterschaft den maßgebenden Einfluß ausübt
|
Regierung des arbeitenden Volkes
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Wir müssen wissen, was wir wollen, ...
für den Moment, wo Hitler von der Demokratie abweicht.
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Wir müssen wissen, was wir wollen, und
wir müssen wollen, was wir wissen; aber wir müssen an die Dinge mit jener
Kaltblütigkeit herangehen, die nicht durch hysterisches Geschrei sich
beeinflussen läßt. Ich wiederhole: Wir müssen alles tun, um im einzelnen
gerüstet zu sein für die Stunde, in der wir gerufen werden.
|
Peter Graßmann[16]
Die Gewerkschaften, auf deren Bedeutung
Breitscheid angesichts der neuen politischen Konstellation besonders
hinwies, sind sich des Ernstes der Lage bewußt. Ich darf gegenüber
Meldungen, die gestern zu uns kamen und die dahingingen, daß bereits in
einigen großen Versorgungs- und öffentlichen Betrieben Stimmung für ein
Vorprellen der Arbeiterschaft vorhanden sei, sagen, daß nach Prüfung der
Dinge sich folgendes ergeben hat: Man sprach von einem heute morgen
einsetzenden Streik in der Reichsdruckerei und in den Gaswerken. Es ist
möglich, daß es in der Reichsdruckerei zu kleineren Unruhen kommt, daß aber
die Entrepreneure mit dem Ziel der Herbeiführung eines Sowjetdeutschlands
die anderen davon abhalten werden, sich der Aktion anzuschließen. Ich darf
für Berlin sagen, daß die städtischen Betriebe fast ausschließlich in den
Händen der Organisation sind, daß anscheinend die Gewähr dafür vorhanden
ist, daß sie nur den Weisungen ihrer Organisation folgen werden. Wir waren
zusammen und sind durchaus der Meinung, daß im Augenblick ein Vorprellen
einzelner Belegschaften verhütet werden muß, weil damit die Schaffung einer
Rechtsbasis vermieden wird. Wir sind uns über den Ausgang der
Zwangsmaßnahmen klar. Wir rechnen ernstlich damit, daß die Möglichkeit
besteht ‑ der Name Hugenberg gibt eine Gewähr dafür ‑,
unter der Bezeichnung eines neuen Burgfriedens eine Situation zu schaffen,
durch die politische Streiks vermieden werden sollen und dadurch auch die
Führung wirtschaftlicher Streiks eingeengt wird. Wir rechnen mit der letzten
Möglichkeit nicht heute und morgen, aber in absehbarer Zeit stellt man
vielleicht auch solche Streiks unter schärfste Strafen. Wenn die
Arbeiterschaft sich jetzt zu verfrühtem, unzweckmäßigem politischen oder
gewerkschaftlichen Vorprellen bereit findet, tastet man eventuell die
Gewerkschaften selbst an, nimmt die Führer in Schutzhaft, beschlagnahmt die
Häuser und Kassen usw. Wir betrachten die Lage als sehr ernsthaft. Trotzdem
haben wir gestern eine kurze Erklärung an die Mitglieder herausgegeben, in
der sie aufgefordert werden, nur Weisungen ihrer Organisation zu folgen. Es
kann nichts anderes geben, als daß unsere Mitglieder nur dann in Aktion
treten, wenn es von oben herab befohlen wird, damit wir nicht vorher
erwürgt am Boden liegen. In dieser Situation, verzeihen Sie, wenn ich das
sage, betrachte ich die Wiedereinführung der Solidarität aller Richtungen
als ein großes politisches Plus. Um einen gewissen Einfluß zu behalten auf
bestimmte politische Parteien, haben wir auf eine sehr ruhige Proklamation,
die heute im "Vorwärts" zu finden ist, Wert gelegt. Wir richten
uns ein auf ein Bereitsein für längere Dauer. Das kostet Nerven, das
fordert Takt. Ich bitte die Parteipresse, uns in den Bemühungen zu
unterstützen. Es muß immer wieder gesagt werden: Leute, seid wachsam,
haltet Euch bereit, tut nichts, ehe nicht von denen, die das Gesamtmaß der
Verantwortung tragen, die Weisung ergeht, jetzt muß losgeschlagen werden.
Ich bin mit Breitscheid der Meinung, daß ein befristeter Generalstreik in
dem Moment ein politischer Unsinn wäre. Er würde das herbeiführen, was
Breitscheid bereits gesagt hat. Ein solches Ruhenlassen der Arbeit würde,
wenn man es ohne zwingende Veranlassung einsetzte, nach einer derartigen
Generalprobe jede spätere Aktion in ihrer Wirkung verpuffen lassen. Wir
haben ja auch vor dem Kapp-Putsch kein Probeexempel gemacht, und trotzdem
hat es geklappt. Wir wollen uns den Generalstreik als die äußerste
Eventualität aufheben. Für eine in der Verteidigung befindliche Truppe, wie
wir das sind, kann ich Ihnen sagen, daß, soweit es im menschlichen Ermessen
liegt, die notwendigen Vorbereitungen, die seit langem getroffen sind,
nachgeprüft und vervollständigt wurden. Ferner kann ich sagen, daß im
Gegensatz zu dem, was an nervösen Störungen sich da und dort abgespielt
hat, heute morgen verschiedene Betriebsdeputationen auch von außerhalb bei
uns waren, die ihre Besorgnisse nicht glaubten dem Telefon anvertrauen zu
dürfen und denen wir erklärt haben, welche Haltung wir einnehmen. Sie haben
volles Einverständnis mit unserer Haltung bekundet und sind gegangen mit
der Versicherung: Wenn Ihr ruft, sind wir da.
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|
Adolf Hitler
(Auszüge)[17]
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Soll aber Deutschland diesen politischen
und wirtschaftlichen Wiederaufstieg erleben und seine Verpflichtungen den
anderen Nationen gegenüber gewissenhaft erfüllen, dann setzt dies eine
entscheidende Tat voraus: die Überwindung der kommunistischen Zersetzung
Deutschlands.
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Protokoll Sitzung
Parteivorstand SPD und Vertreter des ADGB, 5. Februar 1933[18]
|
•
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Anwesend: Otto Wels, Vorsitzender der SPD,
Hans Vogel, Crispien, Litke, Künstler, E. Schmidt, Dittmann, Rudolf
Hilferding, Friedrich Stampfer (SPD-Vorstand, Chefredakteur des
”Vorwärts”); Crummenerl, Hildenbrand, Breitscheid (PV); Hertz (MdR);
Friedrich Adler (SA!); Theodor Leipart, Vorsitzender des ADGB, Graßmann,
Eggert, Hermann Schlimme (ADGB-Bundesvorstand), Spliedt (ADGB); Aufhäuser
(AJA- Bund).
Wels erklärt, er habe die Sitzung mit
Vertretern der Gewerkschaften einberufen, um zu besprechen, welche letzten
Abwehrmaßnahmen eventuell zu treffen wären. Aus den Betrieben kämen immerzu
Anfragen, zu welchem Zeitpunkt die Arbeit niedergelegt werden sollte. Die
Genossen seien beruhigt worden, die Diskussion in den Betrieben über die
Einheitsfront sei aber sehr stark. Verhaftungen und Zeitungsverbote mehrten
sich, und es bestände die Gefahr, daß aus irgendeinem besonderen Anlaß der
Stein ins Rollen käme. Ein gewisser Anstoß dazu sei die Schlägerei und
Verhaftung in Lübeck mit Genossen Leber gewesen, die unter der
Arbeiterschaft eine große Erregung ausgelöst habe. Dazu käme die Auflösung
des Landtags durch Notverordnung und andere reaktionäre Maßnahmen, die so
aufpeitschend wirken könnten, daß die Arbeiter nicht mehr zu halten seien.
Wir wüßten uns gewiß fern von jeder Nervosität und Überstürzung, aber wir
müßten uns auch einig werden, was gegebenenfalls zu tun wäre. Wenn ein
Generalstreik käme, wäre ja an Wahlen nicht zu denken. Wenn die Lawine ins
Rollen komme, müßten wir doch versuchen, sie in unsere Bahnen zu leiten.
Crummenerl berichtet, daß ein gewisser
Herzfelde vom Malik-Verlag telefonisch angerufen habe, um mit Genossen aus
dem Büro über Bestrebungen für eine Einheitsfront mit den Kommunisten zu
reden. Es war niemand weiter im Büro als Nau, der mit ihm gesprochen habe.
Es stellte sich heraus, daß Herzfelde Münzenberg nahesteht; hinter der
Sache stände jedenfalls nicht die Zentrale der KPD.
Hertz verweist darauf, daß durch einen
Artikel im "Montag-Morgen" es wiederum klar hervorgehe, daß die
KPD noch immer in ihren alten Anschauungen befangen sei.
Vogel meint, daß ein ernsthafter Versuch
von der KPD für irgendwelchen Nichtangriffspakt nicht vorliege. In den
Betrieben würde aber geflissentlich die Meinung verbreitet, daß die KPD uns
ein Angebot gemacht habe. Sicher sei aber, daß die Arbeiter nur unseren
Parolen folgen würden und nicht denen der Kommunisten, was ja bisher auch
bereits bewiesen wurde.
Crispien erklärt, er habe den Eindruck aus
den letzten Versammlungen und aus der Stimmung in Arbeiterkreisen, daß die
Entschlossenheit und Kraft sehr gestiegen sei.
Graßmann erklärt, daß von den
Gewerkschaften alle Vorbereitungen für einen Eventualfall getroffen seien.
Leipart teilt mit, daß auch er mit
Einheitsfrontvorschlägen bedacht worden sei, und zwar von Leuten wie Käthe
Kollwitz und Einstein. Auch habe man von ihm verlangt, er müßte eine
Deutsche Arbeiterpartei gründen. Er führe das hier nur als Kuriosum an. Der
ADGB habe mit den Christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften
gesprochen. Besonders die Christlichen seien sehr scharf in Abwehrstellung.
Er aber müßte doch die Frage aufwerfen, welches Ziel wir bei einem
Generalstreik stellen könnten. Die Arbeiter, die jetzt noch in Stellung
seien, würden doch jedenfalls befürchten, ihren letzten Arbeitsplatz zu
verlieren. Die Begeisterung würde also wahrscheinlich nicht sehr stark für
einen Generalstreik sein. Wahrscheinlich würden sie unseren Parolen folgen.
Dann müsse aber auch bedacht werden, daß die Nazis mit ihrer SA sehr stark
seien, die bei einem Streik die Betriebe besetzen würden. Wenn wir als Ziel
nur erklären könnten: Wir rufen zum Generalstreik auf, um wieder
verfassungsmäßige Zustände zu schaffen, würde das wohl als Parole nicht
ausreichend sein, und er frage sich, ob wir andere Parolen hätten. Und wenn
selbst die kommunistischen Arbeiter mitmachten, so sei in der Bewegung doch
immer eine gewisse Spaltung, denn wir kämpften für die Verfassung und die
Kommunisten dagegen. Die Technische Nothilfe durch die Nazis würde
einsetzen, und es käme sofort zu Zusammenstößen. Ein Proteststreik, etwa
auf Stunden beschränkt, hätte doch keinen Zweck. Er käme deshalb zu dem
Ergebnis, daß wir doch noch zuwarten müßten, bis ein offener
Verfassungsbruch vorliege. Die Kommunisten hätten gewiß damit nicht ganz
unrecht, wenn sie sagen, wir kämen in immer schwierigere Situationen.
Täglich schreite die Reaktion in ihren Maßnahmen fort. Jedenfalls aber
müßten wir uns sehr überlegen, welche Verantwortung wir damit übernähmen.
Stampfer: Nach dem gewissen Erfolg, den wir
im Landtag bei der Abstimmung über den Auflösungsantrag mit den Kommunisten
haben, scheine es ihm doch notwendig, den Kommunisten direkt ein Angebot zu
machen. Wir müßten mit ihnen sprechen, wie sie sich zu einem Generalstreik
stellten. Er sei nicht so ganz gegen einen befristeten Generalstreik von
etwa einem Tag. Das wäre ein Demonstrationsstreik, durch den auch
gewissermaßen ein Ventil geöffnet würde. Aber das sei nur möglich, wenn
vorher eine Verständigung mit der KPD stattfände. Dabei müßte ihnen ganz
klipp und klar gesagt werden, daß unser Ziel nicht die Errichtung eines
Sowjetdeutschlands wäre.
Vogel verweist darauf, daß die Leitung der
deutschen Kommunistischen Partei ja nicht nur in der Zentrale liege,
sondern in Moskau. Wenn bei der nächsten Präsidentenwahl Hindenburg nicht
mehr kandidiert, die Kommunisten wieder mit ihren 6 Millionen Stimmen
für einen Sonderkandidaten stimmten, so sei mit Wahrscheinlichkeit damit zu
rechnen, daß Hitler gewählt werde. Sie scheinen nicht so viel Überlegung zu
haben, daß sie sich sagen, daß es auch ihnen dann an Kopf und Kragen gehe.
Von einer Einigkeit mit ihnen könnte natürlich keine Rede sein, es würde
sich nur um eine gewisse Koalition handeln können.
Graßmann meint, wenn wir Stampfers
Ausführungen folgen wollten, wäre es schon am besten, wir würden abdanken.
Aus einer Unterredung mit den Kommunisten käme sicher nichts heraus. Er
erinnere nur an die Gegenparole, die sie 1922 herausgegeben hätten, und an
ihr Verhalten nach dem Rathenau-Mord, sie hielten doch nach der Leninschen
Anweisung nicht ihr Wort. Wäre das alles nicht, dann ständen wir auch
anders zum Generalstreik. Er habe gestern erst eine Riesenversammlung in
Düsseldorf abgehalten, in der wieder zum Ausdruck kam, daß unsere Genossen
und Gewerkschafter absolutes Vertrauen zu uns hätten. Was sich bis jetzt
politisch ereignet habe, sei immer noch keine Veranlassung zum Losschlagen.
Wir dürften das nicht verfrüht tun, wir befänden uns doch jetzt in einer
Situation wie etwa im Juli. Wir müßten uns jetzt zunächst für die Wahl
einsetzen. Das ewige Gerede, daß wir mit den Kommunisten wegen der
Einheitsfront verhandeln sollten, macht unsere Leute nur irre.
Dittmann meint, bei den Kommunisten
herrsche sicher eine zwiespältige Stimmung. Sicher sei, daß im wesentlichen
die Turkestaner* die Leitung hätten. Wir hätten keine Ursache, uns von der
Reaktion mit den Kommunisten zusammentreiben zu lassen.
Stampfer sollte nicht dieser ewigen Idee
nachhängen, sondern im "Vorwärts" uns scharf gegen die
Kommunisten abgrenzen.
Hilferding bedauert, daß Stampfer sich immer
wieder mit der Idee beschäftige, wir müßten mit den Kommunisten reden. Eine
Besprechung habe doch überhaupt nur mit der Leitung einen Zweck, unter
keinen Umständen dürfte der Gedanke einer gemeinsamen Kampfleitung
aufkommen. Wenn die Situation sich verschärfe und die Beunruhigung wachse,
müßten wir die Führung in der Hand behalten. Es wäre doch nicht damit zu
rechnen, daß ein Generalstreik einen so friedlichen Verlauf nehme wie der
beim Kapp-Putsch. Es müßte doch schon in den ersten Stunden mit dem Bürgerkrieg
gerechnet werden.
Schlimme bemerkt, daß die Stimmung in den
Betrieben für einen Generalstreik nicht sehr stark sei. Auch die Beamten
hätten wir nicht mehr völlig auf unserer Seite. Jetzt müßte zunächst
Stimmung für die Wahlen gemacht werden.
Künstler meint, der Verkehrsstreik wäre für
uns ein Anschauungsunterricht gewesen. Mit jeder Maßnahme der
Hitler-Regierung wachse in den Arbeiterkreisen der Widerstand. Es ergebe
sich für uns die Frage, ob wir die Arbeiter immer weiter zurückhalten
sollten, wenn sich die Stimmung steigere und sie schließlich den
kommunistischen Parolen Folge leisteten. Stampfers Artikel** wäre in den
Betrieben sehr gut aufgenommen worden. In der KPD sei auch schon eine
andere Einstellung, das habe die Rede Piecks im Landtag*** bewiesen.
Aufhäuser wünscht, daß wir uns nicht so
viel mit akademischen Erörterungen beschäftigen sollten, die politische
Atmosphäre könnte sich in kurzer Zeit sehr stark erhitzen. Stampfers
Artikel habe eine sehr gute Wirkung gehabt, er könne aber Stampfer darin
nicht folgen, daß die Haltung der Eisernen Front für die Partei bestimmend
sein müsse. Je mehr wir zu starken Abwehrmaßnahmen entschlossen seien,
desto mehr werde die Leitung in unserer Hand bleiben. Die Maßnahmen gegen
uns gingen löffelweise weiter. Er erinnere nur an das Staatsbegräbnis, das
am heutigen Tage stattfinden solle. Die Aktion gegen Preußen, alles würde
nach dem Muster Mussolinis weitergetrieben. Er sei auch dafür, von jeder
vorläufigen Maßnahme Abstand zu nehmen, aber die Einzelakte spitzten sich
doch dermaßen zu, daß mit einer spontanen Auslösung der Wählermassen zu
rechnen wäre. Er glaube überhaupt nicht an ein Stattfinden der Wahlen. Als
Ziel käme nach seiner Meinung doch nur in Frage, daß wir erklären müßten,
wir wollten die politische Macht übernehmen.
Wels: Die Aussprache habe wohl gezeigt, daß
wir in unseren Ansichten völlig einig gingen und daß jeder der Meinung sei,
wir müßten uns an die Spitze der Bewegung stellen. In der Wahlbewegung
müßte immer wieder herausgestellt werden, daß Hitler den Vierjahresplan
verlange.
* Dittmann meint damit die “moskauhörige
Fraktion in der KPD-Führung”.
** Ein Artikel Stampfers vom 1. Februar
spricht sich für einen "Nichtangriffspakt" der SPD mit der KPD
aus.
*** Im Verlaufe der
Sitzung des preußischen Landtags am 4. 2. 1933 war Pieck dem
national-sozialistischen Antrag auf Auflösung des
Landtags entgegengetreten.
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Schilderung
Wilhelm Hoegner über die Sitzung am 5. Februar 1933[19]
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Ich hatte Breitscheid gefragt, ob ihm über
geplante Abwehrmaßnahmen der Gewerkschaften nach der Ernennung Hitlers zum
Reichskanzler etwas bekannt sei. Er teilte mir am 23. Juli 1935 mit: "Ich
erinnere mich nur einer Sitzung des Parteivorstandes vom 5. Februar
1933, an der die Mitglieder des Gewerkschaftsvorstandes Leipart und
Graßmann und außerdem Friedrich Adler von der Sozialistischen
Internationale teilnahmen. Graßmann sprach damals das stolze Wort: “Wir
brauchen nur auf den Knopf zu drücken, dann steht alles still”". Er,
Breitscheid, habe diese Worte in den folgenden Tagen noch mehrfach gehört,
nur ‑ "es ist eben nicht auf den Knopf gedrückt worden".
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Versammlung Eiserne Front, O. Wels [20]:
Ein Stacheldraht von Verboten,
Strafandrohungen umgibt uns, wohin wir blicken. Die verfassungsmäßig
gewährleisteten Rechte, Freiheit des Wortes und der Schrift, sind in einer
nie dagewesenen Weise eingeengt. Wir erinnern an das alte Wort: Gestrenge
Herren regieren nicht lange! Es sind nicht starke Regierungen, die die
Gewalt zu ihrem Regierungsprinzip erheben. Es ist das Gefühl der Schwäche,
das Gefühl der Ohnmacht, das aus all diesen drakonischen Strafbestimmungen
spricht. Die Arbeiterschaft wird durch solche Bestimmungen nicht
eingeschüchtert. Sie hat in anderen Zeiten den Kampf zu führen gewußt mit
ihren ureigensten Mitteln und wird ihn führen in der Art, wie sie es für
richtig hält.
Disziplin und Geschlossenheit! Das ist es,
was die Eiserne Front in ihrem Kampf für die Freiheit zusammenhält. Die
Eiserne Front folgt ihren eigenen Parolen. Die Eiserne Front weiß, in
diesem Sinne geht unser Kampf um die Einheit des erwerbstätigen Volkes.
Vorwärts [21]:
Berlin ist nicht Rom. Hitler ist nicht
Mussolini. Berlin wird niemals die Hauptstadt eines Faschistenrechtes
werden. Berlin bleibt rot!
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Interview Wolf
von Helldorff in Le Petit Journal, Anfang Februar 1933[22]
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Frage:
Sie scheinen die Erklärungen der
Sozialdemokratie nicht ernst zu nehmen? Glauben sie, daß die
sozialdemokratische Opposition eine platonische ist...?
Antwort:
Die Sozialdemokraten? Wann haben Sie sie
schon handeln gesehen? Am 20. Juli, als ihre Preußenregierung
davongejagt wurde? Und seitdem? Es sind gesetzte Leute. Trotz ihrer vielen
Reden ist ihre Partei nicht wirklich gefährlich. Der Feind, den wir
Vernichten müssen, das ist der Kommunismus. Das ist eine lebenswichtige
Frage.
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Peter Graßmann,
13. Februar 1933 (Auszüge)[23]
|
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Der Streik ist die letzte Maßnahme im
wirtschaftlichen Kampf, anzuwenden nur, wenn alle anderen Mittel versagen.
Und erst recht der Generalstreik [...] Der Generalstreik ist eine
furchtbare Waffe nicht nur für den Gegner; ihn veranlassen und verantworten
kann man nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, wenn es sich um Leben und
Sterben der Arbeiterklasse handelt.
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Aufruf ADGB und
Afa-Bund, 15 Februar 1933[24]
|
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An die Mitglieder
der Gewerkschaften!
Zum sechstenmal innerhalb eines Jahres
werdet Ihr an die Wahlurne gerufen.
Bei allen diesen Wahlen stand die gleiche
Frage zur Entscheidung, die Schicksalsfrage von der künftigen Gestalt des
deutschen Staates, von dem Geist seiner Gesetzgebung und seiner Verwaltung.
Soll die Staatsgewalt einer kleinen Herrenschicht, soll sie der Diktatur
einer Partei, soll sie einer Einheitsfront der sozialen Reaktion
überantwortet oder soll das Volk wieder souverän im Staate werden?
Um diese Frage geht der erbitterte Kampf Er
ist noch nicht entschieden, trotzdem seit langem schon die Staatsgewalt
nicht mehr vom Volke ausgeht, sondern beim Reichspräsidenten und seinen
Ratgebern konzentriert ist.
Ihr habt bisher bei jeder Wahl Euren
Gegnern innerhalb und außerhalb der Regierung Euren festen Willen
entgegengestellt, die Souveränität des Volkes in vollem Umfange
wiederzugewinnen. Ihr habt das Volksrecht gegen jegliches Diktaturgelüst
verteidigt. Wirtschaftliche Not und politischer Terror haben Euren
Freiheitswillen nicht gebrochen.
Euer Kampf war nicht vergebens, wenn auch
zur Zeit die soziale Reaktion im Sattel sitzt. Denn heute ist Euer
rechtmäßiger Widerstand gegen jeglichen Umsturz der stärkste, der einzig
wirksame Schutz der Verfassung und Eurer Rechte.
Deutsche Arbeiter und Angestellte, Frauen
und Männer!
Ihr wißt, was auf dem Spiel steht. Ihr
kennt die Geschichte der letzten vierzehn Jahre, Ihr habt nicht vergessen,
wie sie wirklich gewesen ist. Ihr glaubt keine schwarzweißroten Märchen
über den Marxismus. Ihr wißt, was Ihr der deutschen Arbeiterbewegung zu
verdanken habt.
Erst als die Staatsgewalt vom Volke
ausging, erst im November 1918, wurde die Schmach des
Dreiklassen-Wahlrechts ausgelöscht. Erst damals wurden die letzten
Schranken der Koalitionsfreiheit niedergerissen. Erst damals wurde das
Sklavenrecht der Landarbeiter, die Gesindeordnungen, beseitigt. Erst seit
jenen Tagen wurde der Bau der deutschen Sozialpolitik zum Bollwerk der
inneren Freiheit unseres Volkes. Erst damals wurde das deutsche
Arbeitsrecht zu der Brücke zwischen Arbeiterbewegung und Nation, an deren
Grundpfeilern Eure Feinde heute rütteln.
Gewerkschaftsmitglieder! Die Staatsgewalt
darf nicht jenen Mächten und politischen Gruppen ausgeliefert werden, die
ihre Willkür an Stelle Eures rechtschöpferischen Willens setzen wollen.
So unabsehbar die wirtschaftliche Not ist,
Ihr habt noch viel zu verlieren. Schützt Euer Recht! Verteidigt am
5. März das neue Deutschland gegen den Generalangriff seiner inneren
Feinde.
Ihr wißt in welcher Front Ihr diesen
Freiheitskampf führt. Ihr wißt, wem Ihr Eure Stimme zu geben habt.
Eure Entscheidung wird fallen
für Volksherrschaft gegen Diktatur,
für ein freies, sozialistisches
Deutschland!
Die Bundesvorstände
des Allgemeinen Deutschen
Gewerkschaftsbundes
und des Allgemeinen freien Angestelltenbundes.
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Verordnung
Hermann Göring, 17. Februar 1933[25]
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Ich glaube, mir einen besonderen Hinweis
darauf ersparen zu können, daß die Polizei auch nur den Anschein einer
feindseligen Haltung oder gar den Eindruck einer Verfolgung gegenüber nationalen
Verbänden (SA, SS und Stahlhelm) und nationalen Parteien unter allen
Umständen zu vermeiden hat. Ich erwarte vielmehr von sämtlichen
Polizeibehörden, daß sie zu den genannten Organisationen, in deren Kreisen
die wichtigsten staatsaufbauenden Kräfte enthalten sind, das beste
Einvernehmen herstellen und unterhalten. Darüber hinaus sind jede
Betätigung für nationale Zwecke und die nationale Propaganda mit allen
Kräften zu unterstützen. Von polizeilichen Beschränkungen und Auflagen darf
insoweit nur in dringendsten Fällen Gebrauch gemacht werden.
Dafür ist dem Treiben staatsfeindlicher
Organisationen mit den schärfsten Mitteln entgegenzutreten. Gegen
kommunistische Terrorakte und Überfälle ist mit aller Strenge vorzugehen
und, wenn nötig, rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen.
Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schußwaffe Gebrauch
machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des Schußwaffengebrauchs von
mir gedeckt; wer hingegen in falscher Rücksichtsnahme versagt, hat dienststrafrechtliche
Folgen zu gewärtigen.
Der Schutz der immer wieder in ihrer
Betätigung eingeengten nationalen Bevölkerung erfordert die schärfste
Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen gegen verbotene Demonstrationen,
unerlaubte Versammlungen, Plünderungen, Aufforderung zum Hoch- und
Landesverrat, Massenstreik, Aufruhr, Pressedelikte und das sonstige
strafbare Treiben der Ordnungsstörer.
Jeder Beamte hat sich stets vor Augen zu
halten, daß die Unterlassung einer Maßnahme schwerer wiegt als begangene
Fehler in der Ausübung.
Ich erwarte und hoffe, daß alle Beamten
sich mit mir eins fühlen in dem Ziele, durch die Stärkung und
Zusammenfassung aller nationalen Kräfte unser Vaterland vor dem drohenden
Verfall zu retten.
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Aussage Hjalmar
Schacht (Auszüge)[26]
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Justice Jackson: Nun, bei dieser
Zusammenkunft, auf die Sie sich beziehen ‑ es ist Beweisstück D‑203,
das Protokoll der Zusammenkunft ‑, hat Göring im wesentlichen
folgendes gesagt, nicht wahr?:
"Das erbetene Opfer würde der
Industrie sicherlich um so leichter fallen, wenn sie wüßte, daß die Wahl am
5. März die letzte sicherlich innerhalb zehn Jahren, voraussichtlich
aber in hundert Jahren sei."
Sie hörten das, nicht wahr?
Schacht: Ja.
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Tagebuch Joseph
Goebbels (Auszüge)[27]
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20. Februar 1933.
[...] Abends rede ich wieder in den
überfüllten Tennishallen. Jetzt ist es eine wahre Lust, Versammlungen
abzuhalten. Man hat wieder ein Thema, man hat Begeisterung, Schwung und
Hingabe an die Sache, man hat ein Publikum, das mitgeht, man darf reden,
wie es einem ums Herz ist, und braucht den Gegner nicht zu schonen. wir
treiben für die Wahl eine ganz große Summe auf, die uns mit einem Schlage
aller Geldsorgen enthebt. Ich alarmiere gleich den ganzen
Propagandaapparat, und eine Stunde später schon knattern die Rotationsmaschinen.
Jetzt werden wir auf Höchsttouren aufdrehen. wenn keine außergewöhnliche
Panne mehr unterläuft, dann haben wir bereits auf der ganzen Linie
gewonnen.
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(Text der Verordnung: ►.) :
Beschränkungen der persönlichen Freiheit,
des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit,
des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen-
und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von
Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst
hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen.
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4. März 1933
Gewerkschaftszeitung, über die Sitzung des Bundesausschusses des
ADGB, 28. Februar 1933 (Auszüge)[28]
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Die Aussprache ergab volle Übereinstimmung
über die vom Bundesvorstand in der letzten Zeit befolgte Politik. Die
jüngsten Ereignisse, der Brand im Reichstag und seine politischen Folgen,
wurden in ihrer weittragenden Bedeutung gewürdigt. Die Vertreter der
Gewerkschaften sprachen ihren Abscheu und ihre Entrüstung über die
Brandstifter aus. Die Gewerkschaften nehmen die deutsche organisierte
Arbeiterschaft entschieden in Schutz gegen den Verdacht, daß einer aus
ihren Reihen zu den Anstiftern des Attentats gehöre. Sie erblicken in der
Brandstiftung nicht nur einen Anschlag gegen den Sitz des Parlaments,
sondern einen Angriff gegen den Parlamentarismus überhaupt.
Die deutschen Gewerkschaften und ihre Mitglieder
gehören zu den treuesten Hütern der Demokratie und der parlamentarischen
Ordnung. Sic verwerfen Terrorakte jeglicher Art auf das entschiedenste und
sie sind auch in dieser Auffassung der Gefolgschaft der Arbeiter und
Arbeiterinnen gewiß. Die Verbandsvertreter sind sich bewußt, daß die
gegenwärtige politische Situation an die Schulung und erprobte Disziplin
der Arbeiterschaft unerhörte Anforderungen stellt. Die deutschen Arbeiter
werden aber ebenso, wie es die Pflicht der Verbandsleitungen ist, auch
unter den heutigen schweren Verhältnissen kühles Blut bewahren und sich
nicht von ihrem rechtmäßigen Kampf gegen alle Gefahren für die
verfassungsmäßigen Freiheiten abdrängen lassen.
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