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Anmerkungen
über einige Aspekte der Vorgeschichte - Sozialdemokratische Partei
Deutschlands
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Resolution, angenommen vom Parteitag der SPD abgehalten vom
17. bis 23. September 1905 in Jena
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Resolution zum
politischen Massenstreik
I. Bei dem Bestreben der herrschenden
Klassen und Gewalten, der Arbeiterklasse einen legitimen Einfluß auf die
öffentliche Ordnung der Dinge in den Gemeinwesen vorzuenthalten oder,
soweit sie durch ihre Vertreter in den parlamentarischen Vertretungskörpern
einen solchen bereits erlangten, diesen zu rauben und so die Arbeiterklasse
politisch und wirtschaftlich rechtlos und ohnmächtig zu machen, erachtet es
der Parteitag für geboten auszusprechen, daß es die gebieterische Pflicht
der gesamten Arbeiterklasse ist, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln
jedem Anschlag auf ihre Menschen- und Staatsbürgerrechte entgegenzutreten
und immer wieder die volle Gleichberechtigung zu fordern.
Insbesondere hat die Erfahrung gelehrt, daß
die herrschenden Parteien bis tief in die bürgerliche Linke hinein Gegner
des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts sind, daß sie
dasselbe nur dulden, aber sofort abzuschaffen oder zu verschlechtern
trachten, sobald sie glauben, daß durch dasselbe ihre Herrschaft in Gefahr
komme. Daher ihr Widerstand gegen eine Ausdehnung des allgemeinen,
gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts auf die Einzelstaaten (Preußen
usw.) und selbst die Verschlechterung bestehender rückständiger Wahlgesetze
aus Angst vor einem noch so geringen Einfluß der Arbeiterklasse in den
parlamentarischen Vertretungskörpern.
Beispiele hierfür sind die
Wahlrechtsräubereien durch eine herrschgierige und maßlos feige Bourgeoisie
und ein borniertes Kleinbürgertum in Sachsen und in den sogenannten
Republiken Hamburg und Lübeck und die Gemeindewahlverschlechterungen in den
verschiedenen deutschen Staaten (Sachsen, Sachsen-Meiningen) und Orten
(Kiel, Dresden, Chemnitz usw.) durch die Vertreter der verschiedenen
bürgerlichen Parteien.
In Erwägung aber, daß namentlich das
allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht die Voraussetzung für
eine normale politische Fortentwicklung der Gemeinwesen ist, wie es die
volle Koalitionsfreiheit für die wirtschaftliche Hebung der Arbeiterklasse
ist, in weiterer Erwägung, daß die Arbeiterklasse durch ihre stetig
wachsende Zahl, ihre Intelligenz und ihre Arbeit für das wirtschaftliche
und soziale Leben des ganzen Volkes sowie durch die materiellen und
physischen Opfer, die sie für die militärische Verteidigung des Landes zu tragen
hat, den Hauptfaktor in der modernen Gesellschaft bildet, muß sie nicht nur
die Erhaltung, sondern auch die Erweiterung des allgemeinen, gleichen,
direkten und geheimen Wahlrechts für alle Vertretungskörper im Sinne des
sozialdemokratischen Programms und die Sicherung der vollen,
Koalitionsfreiheit fordern.
Demgemäß erklärt der Parteitag, daß es
namentlich im Falle eines Anschlages auf das allgemeine, gleiche, direkte
und geheime Wahlrecht oder das Koalitionsrecht die Pflicht der gesamten
Arbeiterklasse ist, jedes geeignet erscheinende Mittel zur Abwehr
nachdrücklich anzuwenden.
Als eines der wirksamsten Kampfmittel, um
ein solches politisches Verbrechen an der Arbeiterklasse abzuwehren oder um
sich ein wichtiges Grundrecht für ihre Befreiung zu erobern, betrachtet
gegebenen Falles der Parteitag „die umfassendste Anwendung der
Massenarbeitseinstellung".
Damit aber die Anwendung dieses
Kampfmittels ermöglicht und möglichst wirksam wird, sind die größte
Ausdehnung der politischen und gewerkschaftlichen Organisation der
Arbeiterklasse und die unausgesetzte Belehrung und Aufklärung der Massen
durch die Arbeiterpresse und die mündliche und schriftliche Agitation
unumgänglich notwendig.
Diese Agitation muß die Wichtigkeit und
Notwendigkeit der politischen Rechte der Arbeiterklasse, insbesondere des
allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts und der vollen
Koalitionsfreiheit, darlegen, mit Hinweis auf den Klassencharakter des
Staates und der Gesellschaft und den täglichen Mißbrauch, welchen die herrschenden
Klassen und Gewalten durch den ausschließlichen Besitz der politischen
Macht an der Arbeiterklasse verüben.
Jeder Parteigenosse ist verpflichtet, wenn
für seinen Beruf eine gewerkschaftliche Organisation vorhanden ist und
gegründet werden kann, einer solchen beizutreten und die Ziele und Zwecke
der Gewerkschaften zu unterstützen. Aber jedes klassenbewußte Mitglied
einer Gewerkschaft hat auch die Pflicht, sich der politischen Organisation
seiner Klasse - der Sozialdemokratie - anzuschließen und für die
Verbreitung der sozialdemokratischen Presse zu wirken.
II. Der Parteitag beauftragt den
Parteivorstand, eine Broschüre herstellen zu lassen, in der die in der
vorstehenden Resolution gestellten Forderungen begründet werden. Für diese
Broschüre ist die Massenverbreitung in der gesamten deutschen
Arbeiterklasse zu organisieren.
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[2]
Resolution, angenommen vom Kongreß der Gewerkschaften
Deutschlands, abgehalten in Köln vom 22. bis 27. Mai 1905
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Resolution zum
politischen Massenstreik
Der fünfte deutsche Gewerkschaftskongreß
erachtet es als eine unabweisbare Pflicht der Gewerkschaften, daß sie die
Verbesserung aller Gesetze, auf denen ihre Existenz beruht und ohne die sie
nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, nach besten Kräften
fördern und alle Versuche, die bestehenden Volksrechte zu beschneiden, mit
aller Entschiedenheit bekämpfen. Auch die Taktik für etwa notwendige Kämpfe
solcher Art hat sich genauso wie jede andere Taktik nach den jeweiligen
Verhältnissen zu richten. Der Kongreß hält daher auch alle Versuche, durch
die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik
festlegen zu wollen, für verwerflich; er empfiehlt der organisierten
Arbeiterschaft, solchen Versuchen energisch entgegenzutreten. Den Generalstreik,
wie er von Anarchisten und Leuten ohne jegliche Erfahrung auf dem Gebiete
des wirtschaftlichen Kampfes vertreten wird, hält der Kongreß für
undiskutabel; er warnt die Arbeiterschaft, sich durch die Aufnahme und
Verbreitung solcher Ideen von der täglichen Kleinarbeit zur Stärkung der
Arbeiterorganisation abhalten zu lassen.
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[3]
Resolution, angenommen vom Parteitag der SPD abgehalten vom
23. bis 29. September 1906 in Mannheim
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Resolution zum
Massenstreik und zur Rolle der Gewerkschaften
I
Der Parteitag bestätigt den Jenaer
Parteitagsbeschluß zum politischen Massenstreik und hält nach der
Feststellung, daß der Beschluß des Kölner Gewerkschaftskongresses nicht im
Widerspruch steht mit dem Jenaer Beschluß, allen Streit über den Sinn des
Kölner Beschlusses für erledigt.
Der Parteitag empfiehlt nochmals besonders
nachdrücklich die Beschlüsse zur Nachachtung, die die Stärkung und
Ausbreitung der Parteiorganisation, die Verbreitung der Parteipresse und
den Beitritt der Parteigenossen zu den Gewerkschaften und der
Gewerkschaftsmitglieder zur Parteiorganisation fordern.
Sobald der Parteivorstand die Notwendigkeit
eines politischen Massenstreiks für gegeben erachtet, hat derselbe sich mit
der Generalkommission der Gewerkschaften in Verbindung zu setzen und alle
Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Aktion erfolgreich
durchzuführen.
II
Die Gewerkschaften sind unumgänglich
notwendig für die Hebung der Klassenlage der Arbeiter innerhalb der
bürgerlichen Gesellschaft. Dieselben stehen an Wichtigkeit hinter der
Sozialdemokratischen Partei nicht zurück, die den Kampf für die Hebung der
Arbeiterklasse und ihre Gleichberechtigung mit den anderen Klassen der
Gesellschaft auf politischem Gebiet zu führen hat, im weiteren aber über
diese ihre nächste Aufgabe hinaus die Befreiung der Arbeiterklasse von
jeder Unterdrückung und Ausbeutung durch Aufhebung des Lohnsystems und die
Organisation einer auf der sozialen Gleichheit aller beruhenden Erzeugungs-
und Austauschweise, also der sozialistischen Gesellschaft, erstrebt. Ein
Ziel, das auch der klassenbewußte Arbeiter der Gewerkschaft notwendig
erstreben muß. Beide Organisationen sind also in ihren Kämpfen auf
gegenseitige Verständigung und Zusammenwirken angewiesen.
Um bei Aktionen, die die Interessen der
Gewerkschaften und der Partei gleichmäßig berühren, ein einheitliches
Vorgehen herbeizuführen, sollen die Zentralleitungen der beiden
Organisationen sich zu verständigen suchen.
Um aber jene Einheitlichkeit des Denkens
und Handelns von Partei und Gewerkschaft zu sichern, die ein
unentbehrliches Erfordernis für den siegreichen Fortgang des proletarischen
Klassenkampfes bildet, ist es unbedingt notwendig, daß die
gewerkschaftliche Bewegung von dem Geiste der Sozialdemokratie erfüllt
werde. Es ist daher Pflicht eines jeden Parteigenossen, in diesem Sinne zu
wirken.
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Anmerkungen
über einige Aspekte der Vorgeschichte -Gewerkschaften
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Anmerkungen
über einige Aspekte der Vorgeschichte -Organisationen der Unternehmer
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Anmerkung über das politische System
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[4]
Erklärung des Vorstandes der SPD und der Generalkommission
der Gewerkschaften Deutschlands, 25. Juli 1916
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Arbeiter und
Arbeiterinnen!
Der langandauernde Krieg lastet schwer auf
allen Völkern, die Opfer sind gewaltig, und an die Spannkraft des einzelnen
im Felde und daheim werden hohe Anforderungen gestellt. Da ist es nur zu
begreifen, daß Mißmut und Unzufriedenheit ausgelöst werden.
Diese Stimmung wird leider in
unverantwortlicher Weise von einzelnen Leuten mißbraucht, die die
Arbeiterschaft verlocken wollen, zu Mitteln zu greifen, die nicht im
geringsten geeignet sind, die Last zu erleichtern, wohl aber den Druck zu
steigern".
In anonymen Flugblättern, die im Laufe der
letzten Monate in Partei- und Gewerkschaftskreisen verbreitet wurden, wird
versucht, Haß und Mißtrauen gegen die von den Arbeitern selbst gewählten
Vertrauensleute zu säen. Gegen Männer, die seit vielen Jahren an der Spitze
der Organisation der deutschen Arbeiterklasse stehen, wird der Vorwurf
erhoben, daß sie die sozialistischen Grundsätze preisgeben, die Beschlüsse
deutscher Parteitage und internationaler Kongresse mißachten, Parteiverrat
betreiben und anderes mehr.
Diese Verdächtigungen und wüsten
Schimpfereien könnte man unbeachtet lassen, wenn nicht zugleich die
Arbeiterschaft zu unbesonnenen Handlungen aufgefordert und gewissenlos die
Propaganda für Streiks und Massenaktionen betrieben würde, für die die
Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei jede Verantwortung
ablehnen müssen. Durch die Beschlüsse des Mannheimer Parteitages vom Jahre
1906 ist ausdrücklich die Vereinbarung mit den Gewerkschaften getroffen,
daß bei politischen Massenaktionen vorher eine Verständigung und Beratung
mit dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei und der Generalkommission
der Gewerkschaften Deutschlands erfolgen muß. Wir konstatieren
ausdrücklich, daß die Sozialdemokratische Partei und die Leitung der
Gewerkschaftsbewegung mit dieser Propaganda nichts gemein hat; sie ist das
Werk einzelner. Wohin soll es führen, wenn die Arbeiterschaft Aktionen
unternehmen würde, die von Unberufenen auf eigene Faust und zwecklos
eingeleitet sind? Die Folgen solch unbesonnener Handlungsweise müßte jeder
einzelne tragen; denn weder die Partei noch die Gewerkschaften könnten hier
mit Unterstützungen eingreifen. Wir halten es deshalb für unsere Pflicht,
die Arbeiterschaft vor dem Treiben der im Dunkel der Anonymität wirkenden
Protest- und Generalstreikapostel nachdrücklich zu warnen.
Die Einleitung von Lohnbewegungen und
Streiks ist Aufgabe der zuständigen Gewerkschaftsorganisationen; sie tun
zur Zeit alles, um den berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder Nachdruck
zu verleihen.
In der Lebensmittelversorgung bestehen
außerordentliche Schwierigkeiten; wir haben nicht unterlassen, mit den uns
zu Gebote stehenden Mitteln die hier auftretenden Mißstände zu bekämpfen.
Unausgesetzt sind wir bemüht gewesen, die Leistungen der Fürsorge für die
Arbeitslosen, die Kriegerfrauen, die Witwen und Invaliden zu verbessern.
Ablehnen müssen wir indes, Mittel in
Anwendung zu bringen, denen von vornherein jeder Erfolg versagt ist.
Deshalb haben wir auch sofort nach der Verkündigung des Kriegszustandes vor
unüberlegtem Handeln gewarnt unter ausdrücklichem Hinweis auf die im Kriege
geltenden Strafbestimmungen. Diese Warnung erneuern wir heute, wo mehr denn
je kaltes Blut und ruhige Besonnenheit am Platze ist.
Gerade jetzt, wo an allen Fronten unsere
Brüder im Waffenrock unter unsäglichen Opfern dem gewaltigen Ansturm der
gegnerischen Massenheere standhalten müssen, wo kurz vor der Ernte die
Lebensmittelversorgung die größten Schwierigkeiten bereitet, müßte jede
unbesonnene Aktion verhängnisvoll wirken und vor allem die Arbeiterklasse
selbst am schwersten treffen.
Wie bisher, so muß auch im Kriege die
einheitliche Aktion der Arbeiterklasse aufrechterhalten werden. Das war die
Stärke der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften, und diese
wollen wir uns auch für die Arbeit nach dem Kriege erhalten. Wem es ernst
ist mit der deutschen Arbeiterbewegung, der weise diejenigen, die die
Arbeiter zu törichten Handlungen verleiten wollen, mit aller
Entschiedenheit zurück. Wer das putschistische Treiben einzelner, jedes Verantwortlichkeitsgefühls
barer Personen mitmacht oder andere dafür zu gewinnen sucht, der dient
weder der Arbeiterbewegung noch der Sache des Friedens, sondern trägt eher
zur Verlängerung des Krieges bei.
Unsere wichtigste Aufgabe ist aber die
baldige Herbeiführung des Friedens. Dieser großen Pflicht sind sich die
berufenen Körperschaften der Arbeiterbewegung bewußt und sind unermüdlich
bestrebt, sie zu erfüllen.
Arbeiter, steht treu zu euren
Organisationen und weist alle Zersplitterungsversuche zurück!
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[5]
Resolution der streikenden Arbeiter in Leipzig,
16. April 1917
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Die Versammelten beauftragen die
Ortsverwaltung der Metallarbeiter Leipzigs, unter Hinzuziehung von
Vertretern der unabhängigen sozialdemokratischen Partei eine Delegation an den
Reichskanzler abzuschicken und an die Reichsregierung folgende Forderungen
zu stellen:
1. Ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit billigen
Lebensmitteln und Kohlen.
2. Eine Erklärung der Regierung zur sofortigen
Friedensbereitschaft unter Verzicht auf jede offene oder versteckte
Annexion.
3. Aufhebung des Belagerungszustandes und der Zensur.
4. Sofortige Aufhebung aller Schranken des Koalitions-, Vereins-
und Versammlungsrechtes.
5. Sofortige Aufhebung des schändlichen Arbeitszwangsgesetzes.
6. Sofortige Befreiung der wegen politischer Vergehen
Inhaftierten und Verurteilten, Niederschlagung der politischen
Strafverfahren.
7. Volle staatsbürgerliche Freiheit, allgemeines, gleiches,
geheimes und direktes Wahlrecht zur Wahl für alle öffentlichen Körperschaften
im Reich, in den Bundesstaaten und in den Gemeinden.
Der Deputation an den Reichskanzler bleibt
es überlassen, weitergehende Forderungen, die sich aus der politischen
Situation ergeben, im Namen der Versammelten zu erheben.
Die Versammelten fordern die ganze
Arbeiterschaft auf, sich diesen Forderungen anzuschließen.
Zur wirksamen Vertretung der
Arbeiterinteressen fordern die Versammelten alle Berufsgruppen auf,
Vertreter zu entsenden, um mit den Vertretern der Metallarbeiter und der
unabhängigen sozialdemokratischen Partei einen Arbeiterrat zu bilden.
Die Versammelten geloben, die Arbeit nicht
früher aufzunehmen, als bis von der Regierung befriedigende Zugeständnisse
gemacht worden sind.
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[6] Schreiben von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg an den Chef
des Kriegsamtes, Generalleutnant Wilhelm Groener, 17. April 1917
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In den letzten Tagen waren mir
Arbeitseinstellungen in einer großen Zahl der Berliner Fabriken für
Kriegsgerät gemeldet morden.
Aus den Mitteilungen Ew. Exzellenz ersehe
ich zwar, daß mit wenigen Ausnahmen die Arbeit wieder aufgenommen ist. Die
Tatsache jedoch, daß eine Arbeitsniederlegung in der Rüstungsindustrie in
größerem Umfange aus Gründen der Ernährungsfrage überhaupt möglich war,
zwingt mich zu folgenden Ausführungen:
Die Gesamtbevölkerung wird von der
notwendig gewordenen Verringerung der Brotration schwer getroffen. Ich
zweifle aber nicht, das; die gleichzeitig erfolgte Erhöhung der
Fleischration und die nunmehr wieder ein» setzende regelmäßige Belieferung
mit Kartoffeln als Ersatz für die verringerte Brotmenge gelten können. Auch
halte ich es für sicher, das; alle an der Aufbringung und Verkeilung dieser
Lebensmittel beteiligten Bevölkerungskreise und Behörden sich des Ernstes
der Lage bewußt sind und daß es ans diese Weise gelingen wird, die
gegebenen Zusagen zu erfüllen.
Um so weniger kann meines Erachtens die
heimische Ernährungslage ein Grund zur Arbeitseinstellung sein. Ich halte
es für meine Pflicht, Ew. Exzellenz darauf hinzuweisen, daß bei der
gegenwärtig auf der Westfront auszukämpfenden Schlacht eine ungeminderte
Erzeugung an Kriegsmaterial aller Art die allen anderen voranstehende
Aufgabe ist, und daß jede noch so unbedeutend erscheinende
Arbeitseinstellung eine unverantwortliche Schwächung unserer Verteidigungskraft
bedeutet und sich mir als eine unsühnbare Schuld am Heer und besonders an
dem Mann im Schützengraben, der dafür bluten müßte, darstellt.
Ich bitte Ew. Exzellenz darum, mit allen
Mitteln dafür Sorge zu tragen, daß die Erzeugung von Waffen und Munition in
nachdrücklichster Weise gefördert wird und daß ganz besonders von allen in
Frage kommenden Stellen die notwendige Aufklärung der Rüstungsarbeiter
betrieben wird, die mir die erste Vorbedingung zur Erreichung unseres
großen Zwecks zu sein scheint.
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Forderungen der Arbeiter von Knorr-Bremse [7].
1. Freilassung Liebknechts;
2. Freilassung der in Schutzhaft befindlichen Personen;
3. Aufhebung des Vereinsgesetzes;
4. völlige Freiheit in der politischen Entwicklung;
5. ausreichende Ernährung durch Sicherstellung von Lebensmitteln
;
6. Aufhebung des Belagerungszustandes und
7. Beendigung des Krieges ohne Anspruch auf Entschädigungen und
Eroberungen.
Weiter wurde beschlossen, "aus den
Arbeitern eines jeden größeren Betriebes einen sogenannten Arbeiterrat zu
bilden, der allein dann mit der Regierung zu verhandeln habe".
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[8] Schreiben der Zcntralleitungen der Gewerkschaften und
Angestelltenverbände an den Chef des Kriegsamtes, Generalleutnant Wilhelm
Groener, 26. April 1917
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Ew. Exzellenz
danken wir für die Übermittlung des
Schreibens des Herrn Generalfeldmarschalls von Hindenburg. Mit den
leitenden Gedanken der Darlegungen erklären wir uns völlig einverstanden.
Arbeitseinstellungen in der gegenwärtigen
Stunde sind zu vermeiden; Erhaltung und Sicherheit des Reiches stehen an
erster Stelle. Nach allen Kundgebungen der Gegner Deutschlands unterliegt
es für politisch reife Menschen keinem Zweifel, daß nicht eine Verminderung,
sondern nur eine Erhöhung der Widerstandskraft Deutschlands uns einen
baldigen Frieden bringen kann. Wo diese politische Erkenntnis nicht
vorhanden ist, sollte zum mindesten das Mitgefühl mit unseren an den
Fronten ihr Leben einsetzenden Söhnen und Brüdern die Arbeitnehmerschaft
von Handlungen fernhalten, die geeignet sind, die Kraft der Kämpfenden zu
lähmen.
Seit Jahresfrist haben England und
Frankreich, unterstützt von den Vereinigten Staaten Nordamerikas, ungeheure
Massen von Geschützen und Munition an der französisch-belgischen Front
aufgehäuft. Das Ungeheuerlichste, was Menschenhirn sich auszumalen vermag,
ist über unsere dort kämpfenden Volksgenossen hereingebrochen. Nur ein
herzloser, gewissenloser Mensch kann dazu raten, diesen die erforderlichen
Verteidigungsmittel zu versagen. Diese Auffassung beherrscht nach unserer
innersten Überzeugung auch die Bevölkerungskreise, die durch unsere
Organisationen vertreten werden. Unsererseits wird alles geschehen, sie
nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken und zu erweitern. Von
unverantwortlichen Leuten ist, glücklicherweise mit ganz vereinzeltem
Erfolg, versucht worden, die Arbeitseinstellungen der Waffen- und
Munitionsarbeiter politischen Zwecken dienstbar zu machen. Der Wunsch nach
baldiger Beendigung des blutigen Völkerringens ist, ebenso wie in anderen
kriegführenden Ländern, auch im deutschen Volke groß, er ist menschlich
erklärlich und verständlich. Das Bestreben, ein Mittel zu finden, die
Beendigung des Krieges herbeizuführen, beherrscht auch die arbeitende
Bevölkerung. Bedauerlich ist, daß einige, wenn auch unbedeutende Kreise
dieses Mittel in einer Verweigerung der Herstellung der zur
Landesverteidigung erforderlichen Waffen erblicken.
Solche Ideen hätten jedoch die beklagten
Arbeitseinstellungen in dem eingetretenen Umfange nicht herbeiführen
können, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen für die Mißstimmung in der
arbeitenden Bevölkerung vorhanden wären. Die wesentlichste Ursache, die die
Stimmung für die Arbeitsniederlegungen schuf, ist in den unzureichenden
Maßnahmen auf dem Gebiete der Ernährungspolitik zu erblicken. Den Arbeitern
und Angestellten ist bekannt und die Tatsache läßt sich nicht bestreiten,
daß immer noch verhältnismäßig große Mengen wichtiger Nahrungsmittel
außerhalb der Rationierung, jedoch nur zu Preisen, die von der
erwerbstätigen Bevölkerung nicht gezahlt werden können, erhältlich sind.
Diese Nahrungsmittel werden gerade vielfach von Kreisen konsumiert, die
nicht ihre volle Arbeitskraft in den Dienst der Landesverteidigung zu
stellen genötigt sind. Das Verlangen, Maßnahmen zu restloser Erfassung und
gerechter Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel schleunigst
herbeizuführen, hat im wesentlichen den Anlaß zu den Arbeitseinstellungen
gegeben. Deshalb erwarten wir bestimmt, daß die in Aussicht gestellten und
zum Teil in Angriff genommenen Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung der
Bevölkerung der Städte und Industriegebiete mit der nötigen Schärfe und
Rücksichtslosigkeit und dem dann zu erwartenden Erfolge durchgeführt
werden. Damit würde der wesentlichste Grund zur Beunruhigung der
arbeitenden Bevölkerung genommen sein. Des weiteren muß alles vermieden
werden, was geeignet ist, bei den Arbeitern und Angestellten das Gefühl
aufkommen zu lassen, daß sie nicht die volle Beachtung und Wertschätzung
ihrer Leistungen finden. Unzureichende Entlohnung, die Weigerung vieler
Unternehmer, die Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der für den
Lebensunterhalt erforderlichen Aufwendungen zu bezahlen, unnötige Härten
bei der Durchführung des Hilfsdienstgesetzes, die vielfachen Versuche, die
durch das Gesetz der Arbeitnehmerschaft zustehenden Rechte einzuschränken
oder zu beseitigen, sind geeignet, eine große Mißstimmung und steten
Konfliktstoff zu erzeugen. Leider haben viele Unternehmer, vornehmlich in
der Großindustrie, auch während der langen Dauer des Krieges, sich nicht
von den Methoden der Behandlung der Arbeitnehmer frei gemacht, die schon in
Friedenszeiten zu großer Unzufriedenheit und zu scharfen Kämpfen führten
und die auch jetzt unausgesetzte Reibungen hervorrufen. Hier eine Änderung
herbeizuführen, sollten sich Staats- und Heeresleitung nachdrücklichst
angelegen sein lassen. Wir werden immer wieder darauf hinweisen, daß
diejenigen sich an unserem Lande versündigen, die durch willkürliche
Herabminderung der Lieferung von Verteidigungsmitteln die Widerstandskraft
unserer Truppen schwächen. Auf der anderen Seite muß aber auch alles getan
werden, was erforderlich ist, die Leistungsfähigkeit der Heimarbeit zu
erhalten. Werden die Pflichten mit dem tiefen Ernst, den die gegenwärtige
Zeit erfordert, von allen Seiten erfüllt, so wird unser deutsches Volk auch
diese schwersten Wochen des furchtbaren Weltkrieges bestehen. Ew. Exzellenz
bitten wir, dem Herrn Generalfeldmarschall von Hindenburg von diesem
Schreiben Kenntnis zu geben.
Die Generalkommission der Gewerkschaften
Deutschlands C. Legien
Gesamtverband der Christlichen
Gewerkschaften F. Behrens
Verband der Deutschen Gewerkvereine (H.‑D.)
Gust. Hartmann
Polnische Berufsvereinigung J. Rymer
Arbeitsgemeinschaft für die kaufmännischen
Verbände Dr. Köhler
Arbeitsgemeinschaft für ein einheitliches
Angestelltenrecht S. Aufhäuser
Arbeitsgemeinschaft der technischen
Verbände Dr. Höfle
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[9]
Aufruf des Chefs des Kriegsamtes, Generalleutnant Groener, an
die Rüstungsarbeiter, 27. April 1917
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An die
Rüstungsarbeiter!
Im Westen bei Arras, an der Aisne und in
der Champagne stehen unsere feldgrauen Brüder in der schwersten und
blutigsten Schlacht der Weltgeschichte, Unser Heer braucht Waffen und
Munition.
Habt Ihr nicht Hindenburgs Brief gelesen?
„Eine unsühnbare Schuld nimmt derjenige auf
sich, der in der Heimat feiert statt zu arbeiten. Für Eure Schuld mühten
unsere Feldgrauen bluten".
Wer wagt es, dem Rufe Hindenburgs zu
trotzen? Ein Hundsfott, der streikt, solange unsere Heere vor dem Feinde
stehen.
Hiermit ordne ich an, daß unverzüglich in
den Rüstungsbetrieben aller Art hochgesinnte Arbeiter, mutige Männer und
Frauen sich zusammentun und ihre Kameraden aufklären, was die Not der Zeit
und die Zukunft des Vaterlandes von uns allen fordert: Arbeit und wiederum
Arbeit bis zum glücklichen Ende des Krieges. Diese mutigen Arbeiter sollen
rücksichtslos gegen alle diejenigen vorgehen, die Hetzen und auf» reizen,
um dem Heere die Waisen und die Munition zu e»t» ziehen. Lest Hindenburgs
Brief immer wieder, und Ihr werdet erkennen, wo unsere schlimmsten Feinde
stecken. Nicht draußen bei Arras, an der Aisne und in der Champagne - mit
diesen werden Eure feldgrauen Söhne und Brüder fertig, nicht drüben in
London - mit diesen werden unsere Blaujacken auf den Unterseebooten
gründliche Abrechnung halten. Die schlimmsten Feinde stecken mitten unter
uns. Das sind die Kleinmütigen und die noch viel Schlimmeren, die zum
Streike Hetzen. Diese müssen gebrandmarkt werden vor dem ganzen Volke,
diese Verräter am Vaterland und am Heere. Ein Feigling, wer auf ihre Worte
hört. Lest im Reichsstrafgesetzbuch, was § 89 über den Landesverrat sagt.
Wer wagt es, nicht zu arbeiten, wenn Hindenburg es befiehlt?
Der Brief Hindenburgs und dieser Aufruf
sind in allen Rüstungsbetrieben so anzuschlagen, daß jeder Arbeiter sie
tag» täglich vor Augen hat als dauernde Mahnung zur Überwindung des
Kleinmuts, zur Erfüllung der Pflichten gegen unser geliebtes deutsches
Vaterland. Wir sind nicht weit vom Ziel. Es geht ums Dasein unseres Volkes.
Glück auf zur Arbeit!
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[10]
Aufruf der Generalkommission der Gewerkschafton Deutschlands
und des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschland zum
1. Mai, 27. April 1917
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Der erste Mai 1917.
Zum dritten Male begehen wir den ersten Mai
im Weltkriege. Der Tag, den die Arbeiterklasse aller Länder zu gemeinsamen
Kundgebungen für Arbeiter- Schutz, für Volksfreiheit und für den Frieden
bestimmt hatte, kann inmitten des mörderischsten aller Kriege kein Tag der
Erhebung und der frohen Feier sein. Schmerz und Trauer beherrschen immer
mehr die Menschheit, je länger dieses die gesamte europäische Kultur mit
Vernichtung bedrohende Ringen dauert. Und trotzdem ist dem Wüten des
Krieges noch kein Halt geboten. Ja, es sind Kämpfe entbrannt, die an
Schwere alle bisherigen Schlachten übertreffen.
Im Westen machen die französischen und
englischen Truppen die größten Anstrengungen, um die Stellungen der
deutschen Heere zu durchbrechen. Was unsere Väter, Brüder und Söhne, was
die Gatten der deutschen Frauen in dem aus den Munitionswerkstätten der
ganzen Welt gespeisten Trommelfeuer auszuhalten haben, grenzt ans
Übermenschliche. Die dort mit ihren Leibern die deutschen Gaue vor
feindlichen Einfällen schützen, haben ein Recht darauf, daß wir ihrer
täglich gedenken. Gedenken nicht nur durch Worte, sondern durch die Tat.
Denn unsere Brüder im Artois und in der Champagne brauchen nicht nur Worte
der Anerkennung, sondern Waffen und Munition, damit sie dem Anprall ihrer
Kriegsgegner Stand halten können.
Diese Mittel zur Verteidigung von Heim und
Herd muß und wird ihnen die deutsche Arbeiterklasse liefern. Die deutschen
Arbeiter werden deshalb auch in diesem Jahre, wie in den beiden vorherigen,
auf die Arbeitsruhe am 1. Mai Verzicht leisten, ebenso wie es die
englischen und französischen Arbeiter tun und wie auch die russischen
Arbeiter nach Meldungen aus Petersburg beschlossen haben, von einer
Arbeitsruhe am l. Mai abzusehen.
Leider wird durch Verbreitung von
Flugblättern versucht, die Arbeiter zu einem politischen
Demonstrationsstreik oder zu einem "revolutionären Generalstreik"
am 1. Mai zu veranlassen. Diese Flugblätter gehen nicht von der
sozialdemokratischen Partei aus. Selbst der Abgeordnete Dittmann von den unabhängigen
Sozialisten hat am 23. April dieses Jahres in dem Reichstagsausschuß
für das Hilfsdienstgesetz und sein Fraktionskollege Ledebour am
24. April im Plenum des Reichstags jede Verantwortung für die durch
die Flugblätter betriebene Aktion abgelehnt. Diese muß deshalb von Leuten
ausgehen, die keine Gemeinschaft mit der Arbeiterbewegung haben.
Arbeitseinstellungen zu politischen Demonstrationszwecken sind gegenwärtig
unverantwortlich und müssen auf das schärfste verurteilt werden. Wer eine
solche fordert, ladet schwere Schuld auf si<h gegenüber den im Felde
Stehenden, der Arbeiterschaft und den Frauen und Kindern in der Heimat, die
einen baldigen Frieden ersehnen. Die Arbeiter werden unsere Mahnung
beherzigen. Von unseren Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern erwarten wir,
daß sie in diesen schwersten Stunden, die unser Volk zu ertragen hat, die
Organisationsdisziplin mehr denn je aufrechterhalten und jeder von
unverantwortlicher Seite kommenden Aufforderung zu Arbeitseinstellungen
Widerstand entgegensetzen werden.
Wenn wir unter dem Zwange der von uns nicht
gewollten und nicht geschaffenen Verhältnisse am 1. Mai keine besonderen
Kundgebungen veranstalten, so gibt uns doch gerade dieser den
Zukunftsforderungen des Proletariats gewidmete Tag Anlaß, die
Arbeiterklasse an die Verpflichtungen zu erinnern, die wir in der nächsten
Zeit erfüllen müssen.
Noch ist der Friede nicht da! Aber die
Aufgaben, die er uns bringt, erheischen heute schon die größte
Aufmerksamkeit aller Werktätigen. Schwer seufzen die breiten Massen des
Volkes in allen Ländern unter der Lebensmittelnot. Hier gilt es, die Kraft
der Arbeiterklasse einzusetzen für eine dauernde, gerechte, jede
Bevorzugung ausschaltende Verteilung der täglichen Nahrung. Es gilt weiter
dafür einzutreten, daß die durch die Kriegsverhältnisse erzwungene
übermäßige Arbeitszeit wieder herabgesetzt wird. Der unterernährte Körper
der Schwer- und Schwerstarbeiter und der werktätigen Frauen erheischt eine
längere Ruhezeit und erfordert dringend die Wiedereinführung und den
weitgehendsten Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung. Die Erhaltung der
menschlichen Rasse, ihre geistige und körperliche Entwicklung verlangt
geradezu die gesetzmäßige Einführung des Achtstundentages, für dessen
Propagierung 1889 der internationale Sozialistenkongreß in Paris den
1. Mai bestimmte.
Noch ist der Frieden nicht da! Aber wir
haben die zuversichtliche Hoffnung, daß nach Abschluß der mörderischen
Kämpfe im Westen der Tag des Friedens ‑ angesichts der grausigen
Opfer des Krieges zwar viel zu spät ‑ doch kommen wird. Dann
werden unsere Genossen wieder heimkehren und es gilt, für die Zeit der
Übergangswirtschaft für sie zu sorgen, Arbeite- und Verdienstlosigkeit von
ihnen fernzuhalten. Es gilt, ihnen die Treue zu halten, indem wir ihre
Rechte wahren. Und ihre Rechte mehren!
Das deutsche Volk kämpft seit fast drei
Jahren gegen zahllose Gegner um seine Existenz. Wegen seiner Leistungen ist
es als ein Volk von Helden gepriesen worden. Es gilt, aus dieser
Lobpreisung die Folgerung zu ziehen, und zwar nicht erst nach Friedensschluß.
Die volle Gleichberechtigung in Reich, Staat und Gemeinde muß für alle
Volksgenossen durchgesetzt werden. Das muß die Gabe sein, die für das ganze
Volk bereit steht, wenn es die Waffen ablegt, um sich wieder im Frieden
unter den schwierigsten wirtschaftlichen Verhältnissen der Arbeit zu
widmen.
Die Zeit des freien Wahlrechts ist aber
nicht nur für unsere Kämpfer draußen, sondern auch für unsere
Frauengekommen. Sie haben in der Heimat, in schwerer Not und unter einem
die Seele zermürbenden Bangen um das Schicksal ihrer Lieben draußen
ausgehalten und damit allein den Weiterbestand der deutschen
Volkswirtschaft ermöglicht. Wir fordern, daß den Frauen die gleichen
Staatsbürgerrechte nicht länger vorenthalten werden.
Noch ist der Friede nicht da! Aber die
Zeichen deuten, daß dieser grausamste der Kriege aller Zeiten endlich
seinen Höhepunkt überschreitet. In allen Ländern wird in den breiten Massen
in steigendem Maße die Friedenssehnsucht zum Friedenswillen. Wir erwarten,
daß dieser Friedenswille jetzt so erstarkt, daß er die Kräfte niederzwingt,
deren Politik geeignet ist, den Krieg sinnlos und zwecklos zu verlängern.
Die Organisationen der deutschen Arbeiterklasse haben seit Kriegsbeginn
ihren Friedenswillen betont. Sie waren unablässig bemüht, die Internationale
der Arbeiter um. das Programm für einen Frieden zu sammeln, der die
politische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit der
Völker gewährleistet, der von Annexionen absieht, die den Keim zu neuen
Kriegen 'legen würden, und der die Gewähr der Dauer in sich trägt, weil er
kein Volk demütigt.
Nachdem das russische Volk in
bewundernswerter Weise den Zarismus weggefegt, nachdem die russische
Arbeiterklasse gezeigt hat, daß sie nicht nur imstande ist, die
Errungenschaften der Revolution zu sichern und zu festigen, sondern daß sie
auch ihre Macht in die Wagschale des Friedens werfen will, dürfen wir
erwarten, daß der Frieden siegt.
Für einen baldigen Frieden zu arbeiten, ist
jetzt die wichtigste Aufgabe. Wir werden tun so erfolgreicher für ihn und
für die gesamte Zukunft der Arbeiterklasse wirken können, je fester wir
unsere Reihen schließen. Wir wollen am ersten Mai wie in vergangenen Jahren
uns wieder in Partei und Gewerkschaft zusammenscharen, um mit vereinter
Kraft für unsere Ideale zu wirken, bis wir die Macht haben, sie
durchzusetzen.
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[11]
Flugblatt der Spartakusgruppe, April 1917
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Die Lehren des
großen Massenstreiks
Arbeiter! Genossen!
Der Massenstreik der Berliner Arbeiter ist
vorbei ‑ das Massenelend, die Massenentrechtung, der
Belagerungszustand und der Völkermord dauern fort!
Und auch die Hungersnot!
Die Regierung hat zwar versprochen, den
Ausfall an Brot durch reichlichere Zuteilung von Fleisch und Kartoffeln auszugleichen.
Das Volk solle es nicht schlimmer haben als vor der Kürzung der Brotration.
Ja, aber war denn unsere Ernährung vordem auch nur halbwegs ausreichend?
Hatten wir nicht den größten Mangel an unentbehrlichen Lebensmitteln zu
ertragen? Haben wir nicht zusehen müssen, wie unsere Frauen und Kinder
dahinsiechten, wie unsere Arbeitskraft ‑ die einzige Quelle
unseres Lebensunterhalts ‑ immer mehr schwand?!
Wir haben uns also von der Regierung mit
der Zusage des alten Elends abspeisen lassen!
Aber die Hauptsache ist, daß die Regierung
gar nicht imstande ist, ihre Zusage einzuhalten, es sei denn unter
Bedingungen, die uns mit Grauen und Entsetzen um die nahende Zukunft
erfüllen müssen. Es gibt nämlich weder Kartoffeln noch Vieh genug in
Deutschland, um die versprochenen Zulagen auf die Dauer gewähren zu können.
Wenn es jetzt möglich wäre, die Arbeiter reichlicher zu versorgen, so wäre
es doch ein unerhörtes Verbrechen gewesen, sie bis dahin am Hungertuch
nagen zu lassen. Tatsächlich aber verheimlichen die Anstifter des Krieges
dem Volke die Wahrheit.
Die Zusatzrationen können nur dann verabfolgt
werden, wenn wir die Saatkartoffeln und das Zuchtvieh zu einem
beträchtlichen Teile verzehren.
Betritt aber die Regierung ‑ um
sich vor dem Volkszorn und einer Revolution wie in Rußland zu retten ‑
diesen Weg, so gehen Millionen deutsche Männer und Frauen schon im nächsten
Winter dem nackten Hunger und Hungertod entgegen.
Die einzige Rettung aus dem Abgrund, in den
die Regierung das Land hinabgestoßen hat, ist
die sofortige Herbeiführung des Friedens!
Die Regierung geht aber auf Länderraub aus,
sie will keinen Frieden, der auch für die sog. „feindlichen" Staaten
annehmbar wäre. Und sollte sie den Frieden nach eigenem Herzen gestalten
und schließen dürfen, so würde er immer ‑ das wissen wir alle
nur zu gut ‑ im Interesse des Militarismus und Imperialismus,
der Junker- und Kapitalistenklasse und gegen die Lebensinteressen des
deutschen Proletariats ausfallen. Daher ist es die dringendste Aufgabe der
deutschen Arbeiter, den Frieden ‑ ganz so wie es jetzt unsere
russischen Brüder tun ‑ zu erzwingen und ihn den Interessen des
internationalen Proletariats entsprechend zu gestalten, damit wir unsern
Frieden und nicht den Frieden der Imperialisten haben.
Es galt daher, den Massenstreik zu einem
millionenstimmigen Ruf nach Frieden anschwellen zu lassen, der in den
Kasernen und Schützengräben wie ein zündender Funke gewirkt hätte; es galt
für Berlin, unbeugsam im Kampfe auszuharren, bis das ganze Proletariat im
Reiche sich um die Berliner Arbeiterschaft geschart hätte; es galt, eine
neue Massen- und Kampforganisation zur Erringung des Friedens und der
Freiheit im Gefecht selbst zu schaffen; und vor allem galt es, die
Ernährungsfrage dem Friedenskampf ganz unterzuordnen, da jene mit diesem
unlösbar verbunden und für sich allein gar nicht gelöst werden kann. Statt
dessen haben sich die streikenden Massen hinters Licht führen lassen. Statt
die große politische Friedensfrage in ihrer ganzen Tragweite aufzurollen,
ließen sie sich auf das enge Gebiet der Verhandlungen über die Kartoffel-
und Fleischzulage locken. Und zu den hundert behördlichen und bürgerlichen "Kommissionen",
die bereits seit bald drei Jahren an der Unterernährung des Volkes
erfolglos herumdoktern, fügten sie eine neue "ständige
Kommission" aus Arbeitern mit den Herren Cohen, Körsten und Siering an
der Spitze hinzu, der die Regierung gnädigst das Recht zugestanden hat, im
Notfall bei der hohen Obrigkeit "beschwerdeführend" "vorstellig"
zu werden und unter obrigkeitlicher Leitung in die wirtschaftliche Lage "Einsicht
zu nehmen". Als ob die Beschwerden ohne ständige Kampforganisation und
Kampfbereitschaft der Massen zu etwas führen könnten, als ob die
Arbeiterkommission die Möglichkeit hätte, die Angaben der Geheimräte vom
Ernährungsamt irgendwie zu prüfen!
Auch hier also ist das Zugeständnis der
Regierung nichts als eine hohle Nuß!
Arbeiter! Genossen!
Der soeben beendete Kampf ist nur der
Anfang einer Reihe schwerer Kämpfe, die unser harren. Und deshalb ist es
geboten, sich die begangenen Fehler mit aller Offenheit und
Rücksichtslosigkeit einzugestehen und vor Augen zu halten. Woran lag es,
daß die Bewegung nicht schon auf den ersten Anlauf hin zum Ziele gelangen
konnte? Vor allem zweifellos an der Unklarheit bei großen Teilen der
breiten Masse über das Ziel selbst und die Mittel seiner Erreichung. Dann
aber daran, daß wir es nicht vermochten, den politischen Massenstreik, der
sich gegen die Regierung und die durch den Krieg geschaffene Lage richtete,
von den hergebrachten gewerkschaftlichen Kämpfen zu unterscheiden, bei
denen die Gewerkschaftsinstanzen als anerkannte und berufene Führer der
Arbeiter fungierten. Nur deshalb konnten Individuen wie ein Siering,
Körsten und der Vorsitzende des Metallarbeiterverbandes, der sattsam
bekannte und berüchtigte Cohen, es wagen, die Zügel der Bewegung zu
ergreifen. Denn in der Tat ‑ was hatten die offiziellen
Gewerkschaftsinstanzen, die Herren Cohen und Konsorten, mit der
Massenauflehnung der Arbeiter zu tun, daß sie das maßgebende Wort
mitsprechen durften?! Zahlen etwa die Gewerkschaften eine Entschädigung für
die Streiktage? Waren es die Gewerkschaftsführer, die die Masse zum
Ausstand aufgefordert haben? Oder sind diese drei Herren begeisterte
Anhänger des politischen Massenstreiks? Mitnichten! Das Gegenteil von
alledem ist der Fall. Die Gewerkschaftsinstanzen suchten der Bewegung mit
allen Mitteln entgegenzuarbeiten. Seit Jahr und Tag toben und wüten sie in
Versammlungen, Presse und Flugblättern gegen die "Streikapostel"
und "Aufwiegler", sie drohten den Arbeitern mit dem
Schützengraben, sie verleumdeten die Anhänger der Massenaktion als "Agenten
der feindlichen Regierungen" und handelten selbst wie freiwillige
Agenten des Berliner Polizeipräsidiums. Und trotzdem duldeten die
Streikenden, daß die drei "Durchhalter", diese Stützen des
Burgfriedens und geschworenen Feinde des Massenstreiks, mit den Behörden
verhandelten und in der "ständigen Kommission" als Vertreter der
Arbeiter Sitz und Stimme erhielten!
Arbeiter! Genossen!
Wir haben den Bock zum Gärtner bestellt!
Die drei Judasse haben sich an die Spitze der Bewegung gestellt, nur um dem
Massenstreik das Genick zu brechen, um den Kampf auf falsche Bahnen
hinüberzuleiten und die Bewegung im ganzen zu verzetteln. Die Regierung
brauchte weder Maschinengewehre noch ihre Polizistenscharen in Aktion
treten zu lassen. Die drei haben die schmutzige Arbeit übernommen, die
kämpfenden Arbeiter durch niederträchtige Hinterlist zu überwältigen. Aber
so darf es nicht bleiben! Die begangenen Fehler müssen gutgemacht werden:
1. Die drei "Durchhalter"
müssen aus der "ständigen Kommission" entfernt werden. Letztere
ist nicht von Gottes Gnaden, sie wurde von der Obmännerversammlung gewählt,
und diese Versammlung kann eine neue Kommission einsetzen, wobei außer der
Metallindustrie auch die Arbeiterschaft anderer Branchen eine Vertretung in
der Kommission haben soll.
2. Unabhängig von dieser Kommission,
der für den weiteren Kampf wenig Bedeutung zukommt, ist es dringendste
Aufgabe, eine besondere Massenorganisation der Berliner Arbeiterschaft zum
Kampf für den Frieden ins Leben zu rufen. Die dazu stehenden Arbeiter eines
jeden Betriebes hätten dann ihre Delegierten zu wählen. Die Delegierten
müßten einen Ausschuß einsetzen, dem die Leitung des Massenkampfes und der
Massenaktionen übertragen werden soll.
Arbeiter! Genossen! Dies ist der einzige
Weg, der zum Ziele führt: durch Kampf, durch Massenstreik zum Sieg! Und
dazu ist vor allem eine Kampforganisation notwendig.
Trotz der begangenen Fehler ist und bleibt
der Massenstreik vom 15./17. April ein Ruhmesblatt und ein Markstein in der
Geschichte des deutschen sozialistischen Proletariats. Ohne
Belagerungszustand ‑ vielmehr trotz desselben ‑, ohne
Zwangsgesetze und militärische Disziplin hat sich eine Proletarierarmee von
über 300 000 Arbeiterinnen und Arbeitern ‑ was einer Stärke
von 10 Armeekorps entspricht ‑ in wunderbarer Einmütigkeit
und Ordnung von selbst mobilisiert. Die verlegenen Berichte in der
bürgerlichen Presse, die schlotternde Angst der Regierung, die verlogene
Botschaft des Abgottes der Imperialisten, Hindenburgs, sind der beste
Beweis dafür, wie sehr sich die Feinde der Arbeiter vor der neuen Waffe
fürchten. Das in der offiziellen Arbeiterbewegung von den Instanzen
verpönte und gehaßte Prinzip der selbständigen Massenaktion ist auf der
ganzen Linie zum Durchbruch gekommen und hat gesiegt; neue gewaltige
Ausblicke eröffnen sich für die Arbeiterbewegung in Deutschland.
Das war der erste große Massensturmlauf der
deutschen klassenbewußten Arbeiterschaft. Am 1. Mai wird der zweite
Sturmlauf folgen.
Arbeiter! Rüstet zum 1. Mai! An diesem
Tag soll in den Werkstätten und Fabriken die Arbeit vollständig ruhen! Auf
zum Kampf für Frieden, Freiheit, Brot!
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will!
Nieder mit dem Krieg!
Nieder mit der Regierung!
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10. Januar, USPD, Erklärung (Auszüge) [12]:
[...] Männer und Frauen des werktätigen
Volkes! Es ist keine Zeit zu verlieren! Nach allen Schrecken und Leiden
droht neues, schwerstes Unheil unserem Volke, der gesamten Menschheit! Nur
ein Frieden ohne Annexionen und Kontributionen auf der Grundlage des
Selbstbestimmungsrechts der Völker kann uns davor retten. Die Stunde ist
gekommen, eure Stimme für einen solchen Frieden zu erheben! Ihr habt jetzt
das Wort!
Flugblatt, Spartakusgruppe (Auszüge) [13]:
[...] Bevor wir die Betriebe verlassen,
müssen wir uns eine frei gewählte Vertretung nach russischem und
österreichischem Muster schaffen mit der Aufgabe, diesen und die weiteren
Kämpfe zu leiten. Jeder Betrieb wähle pro tausend beschäftigter Arbeiter je
einen Vertrauensmann; Betriebe mit weniger als tausend Arbeitern wählen nur
einen Vertreter. Die Vertrauensmänner der Betriebe müssen an jedem Orte
sofort zusammentreten und sich als Arbeiterrat konstituieren. Außerdem wird
für jeden Betrieb ein leitender Ausschuß gewählt. Sorgt dafür, daß die
Gewerkschaftsführer, die Regierungssozialisten und andere
„Durchhalter" unter keinen Umständen in die Vertretungen gewählt
werden. Heraus mit den Burschen aus den Arbeiterversammlungen! Diese
Handlanger und freiwilligen Agenten der Regierung, diese Todfeinde des
Massenstreiks haben unter den kämpf enden Arbeitern nichts zu suchen! [...]
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[14]
Aufruf der Spartakusgruppe, Januar 1918
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Hoch der
Massenstreik! Auf zum Kampf!
Arbeiterinnen! Arbeiter!
Die Kriegsziele der deutschen Regierung
liegen nunmehr klar zutage. Alle Zweifel sind zerstreut, alle Ableugnungen
vergeblich. Bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk mußte der deutsche
Militarismus endlich die Maske lüften. Raub fremder Länder, Unterjochung
fremder Völker, gewaltsame Annexionen und die Herrschaft des deutschen
Säbels in der Welt: das sind die Kriegsziele der deutschen Regierung.
Sie hat sich in Brest-Litowsk geweigert,
die deutschen Truppen aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Nicht
genug, daß Polen, Litauen, Estland, Livland jetzt von den deutschen
Machthabern erdrosselt und ausgeplündert werden, die dortige Bevölkerung
soll auch nach Friedensschluß durch deutsche Kanonen und deutsche
Maschinengewehre verhindert werden, eine freie Entscheidung über ihr
künftiges politisches Schicksal und ihre Staatszugehörigkeit zu treffen.
Und um die Brutalität durch Schamlosigkeit noch zu überbieten, verlangten
die deutschen Vertreter in Brest-Litowsk, daß der Wille der von Deutschland
in den besetzten Gebieten ernannten Beamten, dieser elenden Drahtpuppen in
der Hand der Berliner Machthaber, bei der Entscheidung der Frage über die
Zukunft dieser Ländereien als Willensausdruck der betreffenden Nationen
gelten soll. So sieht das "Selbstbestimmungsrecht der Völker"
aus, das die deutsche Regierung sich feierlich verpflichtete anzuerkennen
und zu respektieren, und so der "Friede ohne gewaltsame Annexionen",
den sie vorschützte zu wollen und anzunehmen!
Arbeiter! Man will uns einreden, der
Separatfriede mit Rußland sei der Anfang zum allgemeinen Frieden. Eitle
Hoffnung dies und törichte Verblendung bei den Gläubigen, bewußter
Volksbetrug seitens der Regierung! Das Gegenteil ist die Wahrheit. Das
ganze Streben und Trachten der Regierung ist darauf gerichtet, durch einen
Separatfrieden mit Rußland Rückendeckung im Osten zu bekommen, um das
menschliche Kanonenfutter vom Osten nach dem Westen zu kommandieren und
alle Kräfte mit doppelter Wucht gegen England, Frankreich und Italien zu
werfen. Jeder Separatfrieden mit Rußland, auch wenn der deutsche
Imperialismus auf die sofortige Bergung der russischen Beute, das heißt auf
eine offene Annexion der russischen Gebiete, zunächst verzichten würde,
bedeutet nur eine ungeheuere Verschärfung und Verlängerung des Krieges und
ist in Wirklichkeit der schwerste Schlag gegen den Frieden. Zugleich ist er
aber der schwerste Schlag gegen die kümmerlichen Freiheiten, die wir in
Deutschland vor dem Kriege besaßen, denn sowohl die Fortdauer des Krieges
wie ganz besonders der Sieg des deutschen Militarismus über die Weststaaten
und die Unterjochung fremder Völker führen unabwendbar zur schwärzesten
Reaktion, zur Übermacht der Säbelherrschaft, also zur politischen Knechtung
der Volksmassen im Innern Deutschlands selbst.
Arbeiter! Jetzt gilt es wirklich, unsere
Existenz und die deutsche Freiheit mit aller Kraft zu verteidigen. Aber
nicht gegen die äußeren Feinde ‑ gegen die Engländer und
Franzosen jenseits der Schützengräben, sondern gegen die "Engländer
und Franzosen" in unserem eigenen Hause ‑ , gegen die
deutschen Junker, gegen die deutsche imperialistische Bourgeoisie und die
deutsche Regierung gilt es zu kämpfen: denn wenn nicht diese Interessenten
des Völkermordens wären, so hätten wir schon längst einen loyalen
demokratischen Frieden mit England und Frankreich.
Die Verhandlungen in Brest-Litowsk haben
sogar den Blinden und Tauben die einfache, handgreifliche Wahrheit
beigebracht: Entweder muß die Regierung untergehen, oder das deutsche Volk
ist unabwendbar dem Untergange geweiht!
Es ist keine Hoffnung und es gibt keine
Mittel, von dieser Regierung und von den sie stützenden imperialistischen
Klassen den Friedensschluß zu erzwingen. Nur der Sturz dieser Regierung,
nur die Zerschmetterung der Macht der Bourgeoisie, mit anderen Worten:
Nur die Volksrevolution und die
Volksrepublik in Deutschland
würden imstande sein, den allgemeinen
Frieden in kürzester Frist herbeizuführen. Denn vor der Deutschen Republik
werden auch die jetzt von unserem Halbabsolutismus und Imperialismus bedrohten
Weststaaten unter dem Druck der Arbeiter dieser Länder sofort die Waffen
strecken müssen. Die proletarische Revolution in Deutschland bedeutet die
Arbeiterrevolution in der ganzen Welt.
Daher fort mit dem Separatfrieden!
Allgemeiner Frieden und Republik in Deutschland! Das ist das Ziel, an das
wir unsere Blicke heften, indem wir in den Kampf treten.
Deutsche Proletarier! Wir rufen euch zum
ersten Waffengang in diesem Kampfe auf:
Rüstet zum allgemeinen Massenstreik in den
nächsten Tagen!
Setzt alles dran, daß die Arbeitsruhe eine
allgemeine, eine vollständige wird, daß vor allem die Produktion der
Mordwerkzeuge in der Munitionsindustrie aufhört. Sorgt dafür, daß aller
Verkehr, auch der Verkehr der Eisenbahnen und Straßenbahnen, eingestellt
werden muß und daß auch in den städtischen und anderen öffentlichen Werken
die Arbeit ruht. Vor allem aber sorgt dafür, daß die Kunde von dem
Massenstreik auch an die Front, in die Schützengräben dringt und dort einen
mächtigen Widerhall findet, daß die Urlauber überall mit den Arbeitern
gemeinsame Sache machen, die Streikversammlungen besuchen und an
Straßenaktionen teilnehmen.
Arbeiter! Es gilt zu kämpfen, nicht zu
demonstrieren!
Keine Schaustellungen und hohle Paraden,
die jeden Eindruck verfehlen und zu nichts führen! Es handelt sich nicht
darum, unsern Willen kundzutun, sondern unsern Willen durchzusetzen. Die
Regierung hat tausendmal bewiesen, daß sie auf den Volkswillen pfeift, wenn
er nicht durch entschlossene Taten und rücksichtslosen Kampf zum Ausdruck gebracht
wird.
Die Arbeit soll nicht eher aufgenommen
werden, als bis unsere folgenden Forderungen erfüllt sind:
1. Die sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes, der Zensur
und aller sonstigen Beschränkungen der Presse.
2. Unbeschränkte Vereins- und Versammlungsfreiheit.
3. Unbeschränktes Koalitions- und Streikrecht.
4. Aufhebung des Arbeitszwangsgesetzes.
5. Die Befreiung aller wegen politischer Betätigung Verurteilten
und Inhaftierten und die Niederschlagung aller politischen Prozesse.
Es sind dies Mindestforderungen, deren
Erzwingung uns erst die notwendige Freiheit verschaffen soll, um den Kampf
für den Frieden und die Republik auf der ganzen Linie mit aller Kraft
aufzunehmen. Kein Arbeiter soll in das Joch der kapitalistischen Fron
zurückkehren, solange diese Forderungen nicht verwirklicht worden sind.
Arbeiter! Fort mit dem Kadavergehorsam, mit
der Trägheit, mit allen egoistischen Rücksichten und Bedenken! Ermannen wir
uns auf unsere Pflicht uns selbst, unsern Brüdern in den Schützengräben und
unsern Brüdern jenseits der Grenzen gegenüber! Wir kämpfen ums Leben, ums
Leben der ganzen Menschheit, die im Blutmeer untergeht.
Auf zum Massenstreik!
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne Deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn Dein starker Arm es will.
Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der
Regierung!
Frieden! Freiheit! Brot!
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[15]
Resolution des Parteiausschusses der SPD, 30 Januar 1918
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I.
Der Parteiausschuß stellt fest, daß sich
die gegenwärtige Streikbewegung nicht gegen die Landesverteidigung richtet
und nicht die Ziele eines feindlichen Imperialismus fördern will. Sie ist
aus einer tiefen Mißstimmung entstanden, die durch die
Ernährungsschwierigkeiten und den Druck des Belagerungszustandes
hervorgerufen wurde. Das Treiben der Reaktion im preußischen
Dreiklassenhaus, das auf die Verhinderung der preußischen Wahlreform
gerichtet ist, das herausfordernde Auftreten der sogenannten
Vaterlandspartei und die unklare Haltung der Regierung in der Friedensfrage
haben diesen Stimmungsdruck verschärft. Da alle Ratschläge und Warnungen
der Sozialdemokratischen Partei ungehört verhallten, wurde ein Ausbruch
dieser Volksstimmung unvermeidlich.
Durch den Eintritt sozialdemokratischer
Abgeordneter beider Fraktionen in die Streikleitung war die volle Gewähr
dafür gegeben, die Bewegung in geordneten Bahnen zu halten und sie rasch,
ohne Schädigung der Allgemeinheit zum Abschluß zu bringen. Voraussetzung
war, daß die Regierung auf Gewaltmaßregeln verzichtete und Forderungen
erfüllte, die von einer erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung als
berechtigt anerkannt werden.
Statt diesen Weg zu gehen, hat die
Regierung unter kleinlich formalistischen Vorwänden Verhandlungen mit den
Arbeitervertretern der Streikenden abgelehnt. Sie hat zugleich geduldet,
daß ihr nachgeordnet« Organe mit erbitternden Unterdrückungsmaßregeln gegen
die Bewegung vorgingen. Das Versammlungsrecht wurde vollständig
unterdrückt, der „Vorwärts" verboten, schließlich der gewählten Streikleitung
jede Betätigung untersagt. Die Folge davon ist, daß sich der Streik
explosionsartig auf immer neue Gruppen ausdehnt und daß er auf immer neue
Orte überspringt, jeder Regelung und Kontrolle entbehrend.
Die Verantwortung für diese Entwicklung der
Dinge trifft jene Stellen, die sich vor Ausbruch des Streiks und während
seiner Dauer beharrlich geweigert haben, die Stimme der Vernunft zu hören,
und deren Politik offensichtlich auf die Erzwingung eines Macht- und
Gewaltfriedens gegen die eigene Bevölkerung hinsteuert.
Die Sozialdemokratische Partei hat sich
während des ganzen Krieges rückhaltlos zur Landesverteidigung bekannt. Die
Landesverteidigung wird jedoch gefährdet durch die politische
Einsichtslosigkeit derer, die den Krieg zu kriegverlängernden, vom Volke
nicht gebilligten Zielen führen wollen, die dem Volk versprochenen Rechte
verweigern und jeden Protest gegen einen immer unerträglicher werdenden
Druck mit verstärktem Druck beantworten. Darum müssen sich heute alle
Kräfte vereinigen, um eine Abkehr von dem verhängnisvollen Kurs
herbeizuführen, im Interesse der Selbsterhaltung unseres Volkes und eines
baldigen, gerechten Friedens.
II.
Der Parteiausschuß fordert die
Reichsregierung auf, sich in eindeutiger Weise zu erklären:
1. für die ausgiebigere Lebensmittelversorgung durch Erfassung
der Lebensmittelbestände bei den Erzeugern und in den Handelslagern zur
gleichmäßigen Zuführung an alle Bevölkerungsklassen;
2. für ihre Bereitwilligkeit, schleunigst den Belagerungszustand
aufzuheben; sofort aber alle, das Vereins- und Versammlungsrecht sowie die
freie Meinungsäußerung durch die Presse einschränkenden Bestimmungen zu
beseitigen;
3. für die Aufhebung der Militarisierung der Betriebe;
4. daß sie entschlossen ist, die schnellste Durchführung des
allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für Preußen mit
allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu sichern;
5. daß sie bereit ist zu einem allgemeinen Frieden ohne offene
oder verschleierte Annexionen und Kontributionen auf Grund des nach
demokratischen Grundsätzen durchzuführenden Selbstbestimmungsrechts der
Völker.
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[16]
Entschließung einer Konferenz von Vorstandsvertretern der
gewerkschaftlichen Zentralverbände, 1. Februar 1918
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Die Vertreter der Gewerkschaften haben
einmütig die Auffassung, daß für die jetzigen politischen Streiks in erster
Linie die innerpolitischen Verhältnisse und die Haltung der Regierung
verantwortlich zu machen sind. Die Gewerkschaften stehen diesen Streiks
fern, ihre Leitungen sind an ihnen in keiner Weise beteiligt. Wohl aber
sind von den Gewerkschaftsleitungen die entscheidenden Stellen im Reich
seit Monaten mündlich und schriftlich ersucht worden, die Ursachen zu
beseitigen, welche die steigende Erbitterung der arbeitenden Bevölkerung
hervorgerufen haben. Leider haben diese Warnungen keine genügende Beachtung
gefunden.
1. Die Anordnungen der stellvertretenden
Generalkommandos, die der Arbeiterschaft die Ausübung des Vereins- und
Versammlungsrechts beschränken oder völlig unmöglich machen sowie die freie
Meinungsäußerung durch die Presse verhindern, sind nicht gemildert, sondern
zum Teil verschärft worden.
2. Die Ernährung der Bevölkerung ist
entgegen den Vorschlägen der Gewerkschaften in einer Weise geregelt worden,
die den Schleichhandel und Lebensmittelwucher ermöglicht und die Produkte
nicht bei dem Erzeuger erfaßt. Die unzureichende Ernährung der großen Masse
des Volkes ist nicht allein auf den Mangel an Nahrungsmitteln, sondern zum
großen Teil auf die ungenügende Organisation zu ihrer Erfassung
zurückzuführen.
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[17]
Schreiben der Generalkommission der Gewerkschaften an den
Reichskanzler, mit der obenstehenden Entschließung als Beilage,
4. Februar 1918
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Ew. Exzellenz beehren wir uns in der Anlage
eine Entschließung der Konferenz der Vertreter der Vorstände der
gewerkschaftlichen Zentralverbände vom 1. Februar 1918 ergebenst zu
überreichen. Wir möchten auch hierbei besonders nochmals betonen, daß die
Wiederholung der bedauerlichen Streikbewegung am sichersten dadurch
vermieden werden kann, daß den berechtigten Wünschen und Beschwerden der
Arbeiter Rechnung getragen wird. Ergebenst Die Generalkommission der
Gewerkschaften Deutschlands G. Bauer, Mitglied des Reichstags
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[18]
Flugblatt der Spartakusgruppe, Februar 1918
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Ausharren um jeden Preis!
Wir bleiben felsenfest ‑ bis zum
Siege!
Die Machthaber wollen nicht den Frieden.
Nicht nur mit dem "äußeren Feind" wollen sie ihn nicht, auch
gegen das deutsche Volk selbst wollen sie Krieg führen. Der Arbeiterrat
wird von den Behörden nicht anerkannt, die streikenden Arbeiter werden als
Verbrecher hingestellt, mit dem Polizeisäbel und der Polizeifaust mißhandelt,
durch Kriegsgerichte mit Gefängnisstrafe bedroht!
Arbeiterinnen und Arbeiter! Den
verschärften Belagerungszustand beantworten wir durch zehnfach verstärkten
Kampf!
Die Regierung will uns die
Zentralkommission der Gewerkschaften, die Herren Bauer, Legien und
Konsorten, das heißt ihre eigenen Helfer, die mit ihr während des Krieges
durch dick und dünn gingen, als Vertreter der Berliner Arbeiterschaft
aufzwingen. Wir weisen diesen anmaßenden und hinterlistigen Versuch mit
untauglichen Mitteln mit Entrüstung und Verachtung zurück! Der einzige
berufene Vertreter der kämpfenden Berliner Arbeiterschaft ist der frei
gewählte Berliner Arbeiterrat, und wenn die Regierung unsere Vertreter
nicht anerkennt, so beantworten wir diese Herausforderung durch Nichtanerkennung
der Regierung und ihrer Organe, durch den Kampf der Massen mit allen
Mitteln gegen ihre brutale Gewaltpolitik.
Gewalt gegen Gewalt!
Man konnte voraussagen, daß alle
Verhandlungen mit der Regierung zwecklos sind; nur ein Tor kann von ihr
etwas erwarten. Aber es galt, dies den Arbeitermassen, dem ganzen deutschen
Volke vor Augen zu führen. Die Weigerung der Regierung hat alle Zweifel
zerstreut.
Nun gilt es jetzt, nicht zu verhandeln,
sondern zu handeln!
Arbeiter der militarisierten Betriebe!
Keiner von euch darf dem Ukas des Oberkommandos Folge leisten. Hinter euch
steht die gesamte Berliner Arbeiterschaft. Es sind mehrere Drohungen der
Gewalthaber, die euch durch schwere Strafen einzuschüchtern versuchen. Die
Zehntausende von Arbeitern, die in diesen Betrieben streiken, kann man
nicht ins Gefängnis stecken. Pfeift auf diese Drohungen! Einer für alle,
alle für einen l Wenn wir nur fest zusammenhalten und wie eine Mauer den
Drohungen und Gewaltakten der Säbelritter trotzen, werden alle Maßnahmen
rückgängig gemacht werden müssen, dessen kann man im voraus sicher sein.
Arbeiter! Es darf keinen Stillstand in der
Bewegung geben. Tragen wir Sorge dafür, daß sie immer um sich greift,
schreiten wir in unserem Kampfe vorwärts. Erwarten wir nicht alles vom
Arbeiterrat und seinem Aktionsausschuß. Der Segen kommt nicht von oben. Er
liegt in den Massen selbst, in ihrem unmittelbaren Kampfe. Die Entscheidung
über den Ausgang unseres Kampfes wird nicht auf dem Verhandlungstisch,
nicht im Aktionsausschuß und sogar nicht im Arbeiterrat,
sondern einzig und allein auf der Straße
fallen.
Der Arbeiterrat ist von den Polizeibütteln
gesprengt, der Aktionsausschuß ist verfolgt, um die Leitung der Bewegung
unmöglich zu machen. Wir fordern daher die gewählten Betriebsvertreter in
den einzelnen Stadtteilen auf, sich ‑ überall, wo dies noch
nicht geschehen ist ‑ nach Bezirken und Unterbezirken zu
organisieren und Ausschüsse einzusetzen, die die Bewegung im Bezirk zu
leiten haben.
Den Gewaltakten der Polizei muß
rücksichtsloser, hartnäckigster Widerstand mit allen Mitteln geleistet
werden.
Die noch arbeitenden Betriebe müssen um
jeden Preis stillgelegt und der Straßenbahnverkehr muß eingestellt werden.
Arbeiter! Vor allem sucht mit allen Mitteln
unsere Brüder im Waffenrock, das Heer, für die Sache des Friedens und der
Freiheit zu gewinnen. Die Gewaltherrschaft stützt sich auf Bajonette und
ist verloren, sobald diese ihr aus der Hand gewunden sind.
Arbeiter! Genossen! Wir müssen mit der Reaktion
"russisch" reden!
Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der
Regierung!
Hoch der Kampf um Frieden, Freiheit und
Brot!
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Philippe Scheidemann und Friedrich Ebert über den Streik von Januar
1918
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[19]:
Darstellung durch P. Scheidemann:
Am 28. Januar 1918 lief schon am frühen
Morgen die Nachricht im Vorstand der Sozialdemokratischen Partei ein, daß
in zahlreichen Berliner Betrieben die Arbeit niedergelegt worden sei. Es
erschienen dann in schneller Folge Arbeiterdeputationen von Mitgliedern
unserer Partei aus vielen Betrieben, die über die rasch um sich greifende
Bewegung informierten und die Bitte aussprachen, daß der Vorstand der
Sozialdemokratischen Partei Vertreter in die Streikleitung entsenden möge;
das sei zweifellos für den guten Verlauf des Streiks, der auch nach ihrer
Überzeugung notwendig geworden sei, von der größten Wichtigkeit.
Wir entgegneten, daß der Streik ohne
irgendwelches Zutun der Partei oder der Gewerkschaften entstanden sei; die
Arbeiter der vom Streik betroffenen Betriebe hätten bereits Delegierte
entsandt, die sich zu einem „Arbeiterrat" konstituiert hätten, der
eine Streikleitung gewählt und bestimmte politische Forderungen aufgestellt
habe. Angesichts dieser Tatsachen könne uns niemand zumuten, nachträglich eine
Verantwortung zu übernehmen.
Die Frage der Arbeiter, ob wir eine
Delegation in die Streikleitung zu entsenden bereit sein würden, wenn die
Delegiertenversammlung der Streikenden uns selbst darum ersuche, wurde nach
eingehender Aussprache bejaht. Es kam für uns in Betracht, die Bewegung in
geordneten Bahnen zu halten und so schnell als möglich durch Verhandlungen
mit der Regierung geschlossen zum Abschluß zu bringen.
Daraufhin ging eine Kommission der bei uns
vorstellig gewordenen Arbeitervertreter in die gerade tagende Versammlung
der Delegierten, um zu beantragen, daß Vertreter der Sozialdemokratischen
Partei in die Streikleitung eintreten sollten. Noch ehe sie ihren Antrag
einbringen konnten, war bereits ein ähnlicher Antrag debattiert und mit 198
gegen 196 Stimmen abgelehnt worden. Die geringe Stimmendifferenz und der
neue Antrag veranlaßten die Delegiertenversammlung, die Debatte von neuem
aufzunehmen. Ein sozialdemokratischer Vertrauensmann begründete den Antrag
in sachlicher Weise und fügte hinzu, daß der Parteivorstand bereit sein
werde, eine Vertretung in die Streikleitung zu entsenden, falls die
Versammlung entsprechend beschließe. Der Abg. Ledebour bekämpfte den Antrag
in heftigster Weise. Er wurde aber häufig stürmisch unterbrochen. Nach den
beiden Reden wurde die Debatte geschlossen. Die Abstimmung ergab nunmehr
zirka 360 Stimmen für und nur etwa 40 gegen den Antrag.
In das Aktionskomitee der
Delegiertenversammlung traten nun zu den bereits gewählten elf
Arbeiterdelegierten und den drei (unabhängigen) Abgeordneten Dittmann,
Haase und Ledebour, drei Mitglieder des sozialdemokratischen
Parteivorstandes: Braun, Ebert, Scheidemann. Der Eintritt erfolgte unter
der den Arbeiterdelegierten unserer Partei gegenüber ausgesprochenen
Voraussetzung, daß das Aktionskomitee entsprechend der mittlerweile
erfolgten großen Ausdehnung des Streiks erweitert, dh in paritätischem
Sinne umgestaltet und eine nochmalige Beratung der bereits aufgestellten
Forderungen ermöglicht werde.
1924, Ph. Scheidemann, Magdeburger Prozeß [20]:
Wir standen in der Kohlrübenzeit, Seife gab
es auch nicht mehr. Alle Anzeichen deuteten auf die Weiterdauer des
Krieges. Alle Familien hatten schwere Verluste. Glücklicherweise ging es
nicht allen wie Ebert, der zwei Sohne verlor. Die Friedensresolution verpuffte;
sie war mit der Gründung der Vaterlandspartei beantwortet worden, die neue
Kriegsziele aufstellte. Die Erregung der Arbeiterschaft war auch durch die
Art der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk gesteigert worden. Im
Januar teilte Friedrich Naumann im Hauptausschuß des Reichstags mit, daß
Flugblätter verteilt würden, in denen die Arbeiter zum Massenstreik
aufgefordert wurden.
Der Streik brach aus, ohne daß wir davon
etwas gewußt hätten. Auf den dringenden Wunsch unserer zum Mitstreiken
genötigten Parteigenossen traten wir in die Streikleitung ein mit der
ausgesprochenen Absicht, den Streik so rasch wie möglich zu Ende zu
bringen, durch Verhandlungen mit der Regierung den Versuch zu einer
Verständigung zu machen. Kurz darauf wurde vom Oberkommandierenden in den
Marken die Betätigung der Streikleitung verboten. In der
Funktionärversammlung herrschte große Mißstimmung gegen uns als "Streikabwürger".
Unsere Leute setzten unsern Eintritt aber durch, und es wurde uns bald
darauf verboten, in dem Aktionskomitee tätig zu sein. Man verbot auch den
„Vorwärts", und wir empfanden das als eine große Dummheit. Wallraf
lehnte auch eine Verhandlung mit den Arbeitern ab und wir baten Giesberts,
Wallraf auf die sich ergebenden Gefahren aufmerksam zu machen. Wallraf
lehnte aber ab, und so waren die Arbeiter sich selbst überlassen. Ich
fühlte mich verpflichtet, mich an das Verbot nicht zu kehren, und selbst
auf die Gefahr einer Gefängnisstrafe hin stellte ich mich den Arbeitern zur
Verfügung. Und wie notwendig das war, sah ich aus einigen Sitzungen, an
deren einer auch der Reichspräsident teilnahm. Die Arbeiter wollten als
Erwiderung des Kesselschen Befehls die Elektrizitätsversorgung lahmlegen.
Wenn wir nicht in das Streikkomitee
hineingegangen wären, dann würde wahrscheinlich das Gericht heute nicht
tagen können und dann wäre der Krieg und alles andere meiner festen
Überzeugung nach schon im Januar erledigt gewesen. Die Arbeiter hätten sich
nicht, ohne sich zu wehren, niederschießen lassen. Es wäre ein tolles Tohuwabohu
eingetreten. Andererseits bestand die Gefahr des totalen Zusammenbruchs und
des Eintritts russischer Zustände. Durch unser Wirken wurde der Streik bald
beendet und alles in geregelte Bahnen gelenkt. Man sollte uns eigentlich
dankbar sein, statt uns zu beschimpfen.
1924, F. Ebert,
Magdeburger Prozeß
[21]:
Ich habe nicht aufgefordert, die Arbeit
wieder aufzunehmen. Das konnte ich bei der Erregung, die damals unter den
Streikenden herrschte, nicht. Hätte ich es doch getan, dann hätte ich nur
öl ins Feuer gegossen. Die Forderungen der Streikenden waren
wirtschaftliche und auch politische. Mir ist nichts davon bekannt, daß die
Partei etwa, nachdem in Berlin der Streik zu Ende war, beschlossen hätte,
den Streik anderswo ins Werk zu setzen, und daß etwa der jetzige
Oberpräsident Noske so etwas in Chemnitz versucht hätte. Ich bin mit der
bestimmten Absicht in die Streikleitung eingetreten, den Streik zum
schnellsten Abschluß zu bringen und eine Schädigung des Landes zu verhüten.
Ich kann auf das bestimmteste erklären, daß die Leitung der
Sozialdemokratischen Partei in Fragen der Munitionsarbeiterstreiks in ihrem
Innern den Standpunkt gehabt hat, den sie äußerlich vertreten hat, daß sie
diese Streiks also verurteilt hat.
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[22]
Aufruf des Parteivorstandes der SPD, 17. Oktober 1918
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An Deutschlands
Männer und Frauen!
Die innerpolitischen Verhältnisse des
Deutschen Reiches haben in wenigen Tagen eine tief gehende Umwälzung
erfahren, deren Bedeutung weitesten Volkskreisen noch nicht zum vollen
Bewußtsein gekommen ist. Deutschland ist auf dem Wege vom Obrigkeitsstaat
zum Volksstaat. In Preußen ist das gleiche Wahlrecht gesichert und damit
der erste entscheidende Schritt zur Zertrümmerung der Junkerherrschaft
getan. Auch in allen anderen Bundesstaaten regen sich die Volksmassen, um
die Hindernisse zu beseitigen, die der freien Geltendmachung des
unverfälschten Volkswillens im Wege stehen. Der Wille des Volkes oberstes
Gesetz, das wird, das muß in kurzem entscheidendes Leitmotiv für die
Regierung des Reiches und der Bundesstaaten werden und bleiben.
Leider mußte sich die außenpolitische Lage
unseres Landes erst so ungünstig gestalten, um diese Umwälzung, für die die
Sozialdemokratie seit Jahrzehnten kämpft, herbeizuführen. Millionen
blühender Menschenleben und unermeßliche Kulturgüter wären vor Vernichtung
bewahrt geblieben, wenn das deutsche Volk in seiner Mehrheit sich nicht den
Herrschenden anvertraut, sondern längst seine Geschicke in die eigene Hand
genommen hätte. Jetzt ist die Lage unseres Landes bitter ernst. Die
Südostfront ist zusammengebrochen, und an der Westfront stürmen die
Massenheere der Entente, der die Menschen und Wirtschaftskräfte von drei
Weltteilen zur Verfügung stehen, mit furchtbarem Übergewicht an Menschen
und Material gegen unsere Truppen an.
Deutschland und das deutsche Volk ist in
Gefahr, das Opfer der Eroberungssucht englisch- französischer Chauvinisten
und Eroberungspolitiker zu werden. Was wir am 4. August 1914 erklärt haben:
„In der Stunde der Gefahr lassen wir unser Vaterland nicht im Stich",
gilt heute in verstärktem Maße. Mit einem Frieden der Vergewaltigung, der
Demütigung und der Verletzung seiner Lebensinteressen wird sich das
deutsche Volk nie und nimmer abfinden.
Nur um unser Land und sein Wirtschaftsleben
vor dem Zusammenbrach zu bewahren, haben Vertreter unserer Partei das Opfer
auf sich genommen und sind in die Regierung eingetreten. Sie haben in
dieser furchtbaren Situation ihr verantwortungsvolles Amt angetreten mit
dem heißen Bestreben, unserm Volke Frieden und Freiheit zu bringen.
Die Regierung, der Sozialdemokraten
angehören, muß eine Regierung des Friedens und der demokratischen
Ausgestaltung unseres Landes sein. Nur solange sie es ist, werden ihr
Sozialdemokraten angehören.
Um das entsetzliche Morden zu beenden, hat
die neue Regierung schnellstens einen Waffenstillstand angeboten und sich
bereit erklärt zu einem Frieden des Rechts und der Völkerversöhnung, wie
ihn die Sozialdemokratische Partei seit Kriegsbeginn angestrebt hat. Auch
die Parlamentarisierung und Demokratisierung unseres Landes ist tatkräftig
in Angriff genommen. Die Sozialdemokratische Partei setzt sich mit ganzer
Kraft dafür ein, daß die notwendige innerpolitische Umwälzung sich schnell
und restlos vollzieht. Je zahlreicher und entschlossener die großen
Volksmassen sich hinter die Partei stellen, um so schneller wird diese ihr
Ziel erreichen, um so leichter wird sie die Kräfte überwinden, die sich ihr
hemmend und hindernd in den Weg stellen.
Schon regen sich gegen diese friedliche
Revolution die dunklen Mächte der Gegenrevolution. Jene
alldeutsch-konservativ-schwerindustriellen Eroberungs- und
Interessenpolitiker, jene chauvinistischen Demagogen und Phantasten, die,
unterstützt von den Millionen der Kriegsgewinnler aller Art und gefördert
durch eine unverantwortliche Militärkamarilla, seit Jahr und Tag mit
ekelhaften, verlogenen Buntbilderplakaten und nationalistischen
Siegesphrasen in den Versammlungen der Vaterlandspartei und deren Schriften
wie in einer willfährigen Presse das deutsche Volk in eine Wolke
künstlichen Nebels voll Lug und Trug gehüllt haben, alle jene Schuldigen,
die das deutsche Volk in die schlimme Lage gebracht haben, sie erklimmen
jetzt, nachdem ihr Kartenhaus zusammengestürzt, es dem Volke wie Schuppen
von den Augen fällt, den Gipfel der Schamlosigkeit: Sie versuchen, den
Unmut des Volkes gegen die neue Regierung zu lenken.
Nicht die Ausplünderung und Aushungerung
des Volkes durch die agrarischen und sonstigen Lebensmittelwucherer, nicht
die Korruption und die viel Erbitterung auslösende Behandlung an und hinter
der Front, nicht die parteiische Unterbindung des Versammlungsrechts und
die empörende mißbräuchliche Handhabung der Zensurgewalt, durch die das
freie Wort unterdrückt und die alldeutsche Lüge gezüchtet wurde, hätten die
geistige und wirtschaftliche Widerstandskraft des deutschen Volkes untergraben,
nein, die Mies- und Flaumachcrei der Männer in der neuen Regierung haben
das verschuldet; so behaupten die alldeutschen Demagogen im Lager der
agrarischen und schwerindustriellen Kriegsgewinnler. Mit Aufrufen und
Resolutionen laufen sie Sturm gegen die neue Regierung, weil sie ehrlich
den Verständigungsfrieden und die Demokratisierung unseres Landes anstrebt.
Durch skrupellose Ausnutzung der wirtschaftlichen Abhängigkeit versucht man
sogar die Arbeiterausschüsse industrieller Werke als Sturmbock zu mißbrauchen;
auch mehren sich die Anzeichen dafür, daß agrarische Kreise durch
Zurückhaltung der Lebensmittel die Schwierigkeiten der neuen Regierung
erhöhen wollen.
Gegen dieses verderbliche Treiben muß das
deutsche Volk wie ein Mann Front machen. Besonders die arbeitenden
Volksmassen müssen ihre ganze Macht einsetzen, um den Einfluß jener Kreise,
die soviel Unheil über Deutschland und das deutsche Volk gebracht haben,
gründlich und endgültig zu brechen.
Auch alle jene Treibereien durch
bolschewistische Revolutionsphrasen verwirrter, unverantwortlicher
Personen, die die Arbeiter zu jetzt sinn- und zwecklosen Streiks und
Demonstrationen gegen die Regierung aufzuputschen versuchen, erschweren den
Frieden und die Demokratisierung Deutschlands und arbeiten, wenn vielleicht
auch ungewollt, den alldeutschen Kriegstreibern und Feinden der Demokratie
in die Hände.
Die klassenbewußte Arbeiterschaft muß es
ablehnen, sich zum Sturmbock der Gegenrevolution und zum Helfer der
imperialistischen Gewaltpolitiker diesseits und jenseits der Front
mißbrauchen zu lassen.
Nicht durch Herbeiführung eines
bolschewistischen Chaos, durch Entfesselung des Bürgerkrieges, der zu dem
Blutstrom, der an den Fronten fließt, zu dem Unglück, das über das deutsche
Volk gekommen ist, neues Unglück und neue Ströme Blutes bringen, Not und
Elend nur noch steigern und die Eroberungsgier unserer Feinde anreizen
würde, kann die innere Erneuerung Deutschlands erfolgen. Nein, wie die
berufenen Vertreter der Sozialdemokratischen Partei immer erklärt haben, im
Wege friedlicher Umwälzung wollen wir unser Staatswesen zur Demokratie und
das Wirtschaftsleben zum Sozialismus überleiten.
Wir sind auf dem Wege zum Frieden und zur
Demokratie.
Alle putschistischen Treibereien
durchkreuzen diesen Weg, dienen der Gegenrevolution.
Angesichts der Morgenröte des Friedens und
der Freiheit darf und wird sich die klassenbewußte Arbeiterschaft an und
hinter der Front nicht zu Unbesonnenheiten verleiten lassen, die letzten
Endes nur den Feinden des Volkes nützen. Bis zum nahen Frieden und auch
nach Friedensschluß stehen uns noch schwere Tage bevor. Wir müssen sie
überstehen, wir können sie überstehen in dem sicheren Bewußtsein, die
Zukunft gehört der Völkerversöhnung, der Demokratie und dem Sozialismus!
Berlin, den 17. Oktober 1918.
Der Vorstand der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands
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Flugblatt der
Spartakusgruppe, Oktober 1918[23]
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Arbeiter und
Soldaten!
Nun ist eure Stunde gekommen. Nun seid ihr
nach langem Dulden und stillen Tagen zur Tat geschritten. Es ist nicht zuviel
gesagt: In diesen Stunden blickt die Welt auf euch und haltet ihr das
Schicksal der Welt in euren Händen.
Arbeiter und Soldaten! Jetzt, da die Stunde
des Handelns gekommen ist, darf es kein Zurück mehr geben. Die gleichen
»Sozialisten«, die vier Jahre lang der Regierung Zuhälterdienste geleistet
haben, die in den vergangenen Wochen von Tag zu Tag euch vertröstet haben
mit der »Volksregierung«, mit Parlamentarisierung und anderem Plunder, sie
setzen jetzt alles daran, um euren Kampf zu schwächen, um die Bewegung
abzuwiegeln.
Arbeiter und Soldaten! Was euren Genossen
und Kameraden in Kiel, Hamburg, Bremen, Lübeck, Rostock, Flensburg,
Hannover, Magdeburg, Braunschweig, München und Stuttgart gelungen ist, das
muß auch euch gelingen. Denn von dem, was ihr erringt, von der Zähigkeit
und dem Erfolge eures Kampfes hängt auch der Sieg eurer dortigen Brüder ab,
hängt der Erfolg des Proletariats der ganzen Welt ab.
Soldaten! Handelt wie eure Kameraden von
der Flotte, vereinigt euch mit euren Brüdern im Arbeitskittel. Laßt euch
nicht gegen eure Brüder gebrauchen, folgt nicht den Befehlen der Offiziere,
schießt nicht auf die Freiheitskämpfer.
Arbeiter und Soldaten! Die nächsten Ziele
eures Kampfes müssen sein:
1. Befreiung aller zivilen und militärischen Gefangenen.
2. Aufhebung aller Einzelstaaten und Beseitigung aller Dynastien.
3. Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten, Wahl von Delegierten
hierzu in allen Fabriken und Truppenteilen.
4. Sofortige Aufnahme der Beziehungen zu den übrigen deutschen
Arbeiter- und Soldatenräten.
5. Übernahme der Regierung durch die Beauftragten der Arbeiter-
und Soldatenräte.
6. Sofortige Verbindung mit dem internationalen Proletariat,
insbesondere mit der russischen Arbeiterrepublik.
Arbeiter und Soldaten! Nun beweist, daß ihr
stark seid, nun zeigt, daß ihr klug seid, die Macht zu gebrauchen.
Hoch die sozialistische Republik!
Es lebe die Internationale!
Die Gruppe »Internationale«
(Spartakusgruppe)
Karl Liebknecht, Ernst Meyer
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