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Vorwärts
(29. März) [1]:
Der Kampf gegen den Faschismus kann nicht
in einer Front mit den Vätern des Faschismus geführt werden. Die
Bolschewisten sind nicht nur die Erzeuger des Faschismus im geschichtlichen
Sinne, sie haben nicht nur in Italien, Ungarn, Bulgarien usw. den Faschismus
oder Halbfaschismus durch ihre wahnsinnige Putschpolitik groß werden
lassen, sie sind auch ideologisch die besten Stützen des Faschismus, denn
sie kämpfen in einer Front mit ihm gegen die Demokratie.
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Albert Grzesinski
23. März 1929[2]
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In den letzten
Tagen habe ich durch die Presse nachstehenden Aufruf verbreiten lassen:
Die verfassungsmäßig gewährleistete
Vereins- und Versammlungsfreiheit wie das Recht der freien Meinungsäußerung
werden in fortschreitendem Maße unter völliger Verkennung ihrer Bedeutung
und ihres Zwecks mißbraucht. Ausschreitungen bedauerlichster Art, die sogar
Menschenleben gefordert und gefährdet haben, und in Verbindung damit
versteckte oder gar offene, zum Teil planmäßig vorbereitete, technisch
organisierte Auflehnung gegen die Polizei, bei der Beamte erheblich zu
Schaden gekommen sind, sind gerade in letzter Zeit eine häufige
Erscheinung. Auch vor Denkmalsbeschädigungen und antisemitischen
Friedhofsschändungen ist man nicht zurückgeschreckt. Parlamentarische
Anträge, Große und Kleine Anfragen von allen Seiten im Landtage, wie auch
weite Kreise der Öffentlichkeit verlangen von mir dringend Abhilfe und
fordern mit Recht vorbeugende Maßnahmen. Ich habe wiederholt Anlaß
genommen, vor einer Fortsetzung dieses Treibens, das mit Politik und
politischem Kampfe nichts mehr zu tun hat, zu warnen. Zuletzt habe ich am
1. 3. 1929 im Landtage die aus diesen Vorfällen erkennbare
Unduldsamkeit gegeißelt und an die Führer der verschiedenen politischen
Richtungen und Parteien die dringende Mahnung gerichtet, auf ihre Anhänger
in mäßigendem Sinne nachdrücklich Einfluß auszuüben. Meine Warnungen und
Hinweise haben bisher bedauerlicherweise nicht überall die notwendige
Wirkung gehabt. Ich wiederhole daher heute noch einmal sehr ernstlich meine
Mahnung an alle politischen Organisationen, Bünde und die Führer der ihnen
nahestehenden politischen Parteien und ersuche auch die in Frage kommende
Presse dringend, durch Abkehr von dem gerade in den letzten Wochen vielfach
wieder beobachteten verhetzenden und die auch von ihnen für erforderlich
gehaltene Autorität des Staates untergrabenden Ton auch ihrerseits zu einer
Befriedung des öffentlichen Lebens beizutragen, so daß politische
Meinungsverschiedenheiten wieder in vernünftigen Formen ausgetragen und Andersdenkende
von ihren politischen Gegnern unbelästigt bleiben. Wenn dieser letzte
Versuch, die politische Betätigung der Staatsbürger im Rahmen der Gesetze
gegen jede Beeinträchtigung zu schützen und die Ausartung des politischen
Kampfes durch Anwendung gewaltsamer Mittel zu unterdrücken, ungehört
verhallen sollte, werde ich zum Besten der friedlichen und friedliebenden
Bevölkerung gegen die radikalen Organisationen mit allen mir zu Gebote
stehenden Mitteln rücksichtslos einschreiten. Dabei würde ich auch vor der
Auflösung solcher Verbände und Vereinigungen nicht zurückschrecken, die
gleichzeitig die Form politischer Parteien haben. Die Polizeiverwaltungen
in Preußen habe ich mit dem Erlaß vom heutigen Tage mit entsprechenden
strikten Anweisungen versehen.
Unter dem Hinweis auf diesen Aufruf ersuche
ich die nachgeordneten Behörden, auch von sich aus alle Maßnahmen zu
treffen, die geeignet sind, dem in letzter Zeit beobachteten Treiben der
radikalen Organisationen wirksam entgegenzutreten. Organisationen, die ungeachtet
meiner Warnung ihr gefährliches Treiben fortsetzen und dadurch zu erkennen
geben, daß sie die Herbeiführung von Friedensbrüchen geradezu bezwecken,
sind, soweit nicht noch andere gesetzliche Bestimmungen in Frage kommen,
gemäß § 2 Reichsvereinsges. aufzulösen; gegen Versuche, sich weiter zu
betätigen, ist nachdrücklich einzuschreiten. Öffentliche Versammlungen
unter freiem Himmel und Umzüge, die eine unmittelbare Gefahr für die
öffentliche Sicherheit darstellen, sind vorbeugend polizeilich zu verbieten
und zu verhindern. Versammlungen in geschlossenen Räumen, deren
unfriedlicher Charakter von vornherein feststeht, sind gleichfalls
vorbeugend zu verbieten; Versammlungen in geschlossenen Räumen, die nach
Beginn einen unfriedlichen Charakter annehmen, sind polizeilich aufzulösen.
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K. Zörgiebel [3]:
Denn ich bin entschlossen, die
Staatsautorität in Berlin mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln
durchzusetzen.
[...]
So soll nach dem Willen der Kommunisten am
L Mai in den Straßen Berlins Blut fließen! Das aber darf nicht sein.
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19. April:
Die KPD will Tote [...] sie fordert auf,
Zusammenstöße zu provozieren.
20. April:
KPD braucht Leichen! Sie wünscht Schüsse am
1. Mai.
29. April:
200 Tote am 1. Mai:
Verbrecherische Pläne der Kommunisten. Nach Mitteilung des
sozialdemokratischen Vorsitzenden Künstler hat am 25. April die
kommunistische Bezirksleitung im Karl-Liebknecht-Haus getagt, um die
endgültigen Aufmarschpläne festzulegen. Dabei wurde von der Bezirksleitung
mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß man mit etwa 200 Toten rechne
[...] Vielleicht hofft man auch, daß bei Zusammenstößen am Alexanderplatz
Demonstranten in die Baugruben der Untergrundbahn gehetzt werden können, so
daß man auf diese Art zu 200 Toten käme, die man unbedingt für die
Kommunistische Agitation braucht.
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Verbot Rote
Fahne, 2. Mai 1929[5]
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Hiermit verbiete ich auf Grund des § 7
Ziffer 4 und § 21 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom
21. Juli 1922 (Reichsgesetzblatt S. 585) die Zeitung "Die Rote
Fahne" auf die Dauer von drei Wochen, bis einschließlich 23. Mai
1929, weil sie durch ihre Schreibweise in der Nr. 102 vom 2. Mai
1929 und in den Nummern der letzten Tage die Kommunistische Partei
Deutschlands in ihre Bestrebung, die verfassungsmäßig festgestellte
republikanische Staatsform des Reiches zu untergraben, durch die Tat
unterstützt hat. Dieses Verbot umfaßt auch jede angeblich neue
Druckschrift, die sich sachlich als die alte darstellt.
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Ausnahmezustand
Berlin, 3. Mai 1929[6]
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Um die Unruhezentren Wedding und Neukölln,
in denen es auch am gestrigen Abend und im Laufe der Nacht wieder zu
schweren Zusammenstößen gekommen ist, zu beseitigen, habe ich folgende
Maßnahmen getroffen:
Von 9 Uhr abends bis 4 Uhr früh
ist jeder Verkehr in den nachstehend verzeichneten Straßen verboten.
Ausnahmen gelten nur für Ärzte, Hebammen und Sanitätspersonal. Jedes
Umherstehen in den Hausfluren oder Hausnischen sowie Toreinfahrten ist
verbeten. Die straßenwärts gelegenen Fenster müssen in der angegebenen Zeit
geschlossen bleiben. Auch darf in den straßenwärts gelegenen Räumen während
der angegebenen Zeit kein Licht brennen. Zuwiderhandelnde Wohnungsinhaber
setzen sich der Gefahr aus, daß die Fenster von der Straße aus durch die
Polizei unter Feuer genommen werden.
Am Tage darf in den in Betracht kommenden
Bezirken und genannten Straßen, sowie in den Hausfluren, Hausnischen und
Toreinfahrten keine Person stehen bleiben. Die Polizei wird besonders
darauf achten daß sich niemand länger auf der Straße aufhält als unbedingt
erforderlich ist. Personen die sich ohne festes Ziel auf der Straße
bewegen, werden festgenommen. Zusammengehen von drei oder mehr Personen ist
nicht gestattet. Jeder Radfahrverkehr ist untersagt. Die in den genannten
Bezirken gelegenen Gastwirtschaften werden abends 9 Uhr geschlossen
[...]
Alle Personen, welche diese Bestimmungen
nicht beachten, setzen ihr Leben aufs Spiel.
Der Polizeipräsident.
gez.: Zürgiebel. (Stempel).
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Auflösung RFB,
3. Mai 1929[7]
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Auf Grund des § 14 in Verbindung mit
§ 7 Ziff. 4 und 5 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom
21. Juli 1922 (RGBl. I S. 585), 2. Juni 1927
(RGBl. I S. 235)*, des § 1 des Gesetzes vom 22. März
1921 (RGBl. S. 235) in Verbindung mit der Verordnung zur Ausführung
dieses Gesetzes vom 12. Februar 1926 (RGBl. I S. 100) und
auf Grund des § 2 des Reichsvereinsgesetzes vom 19. April 1908
(RGBl. S. 151) in Verbindung mit § 129 des Reichsstrafgesetzbuchs
wird für das Gebiet des Freistaates Preußen mit Zustimmung der
Reichsregierung der Rote Frontkämpferbund e. V. einschließlich der
Roten Jugendfront und der Roten Marine mit allen seinen Einrichtungen
aufgelöst, weil aus seinem Verhalten hervorgeht, daß sein Zweck in
Widerspruch zu den genannten gesetzlichen Bestimmungen steht.
Das Vermögen der betroffenen Organisationen
wird gemäß § 18 des Gesetzes zum Schutze der Republik und § 3 des
Gesetzes vom 22. März 1921 zugunsten des Reichs beschlagnahmt und
eingezogen.
Die Durchführung der Beschlagnahme und
Einziehung obliegt den örtlichen Polizeiverwaltungen**.
Der Preußische Minister des Innern:
Grzesinski.
* Republikschutzgesetz vom 21. Juli 1922 in der Fassung vom
2. Juni 1927.
** Gesetz zur Durchführung der Art. 177, 178 des
Friedensvertrags vom 22. Marz 1921.
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4. Mai:
Im Laufe des Freitag und der Nacht zum
Sonnabend sind schwerverletzt in die städtischen Krankenanstalten
eingeliefert worden und später in den Krankenhäusern verstorben: Hermann
Landenberger, 25 Jahre, Wohnung unbekannt, Brustschuß; Ernst
Maschloch, 20 Jahre, Wohnung unbekannt, Bauchschuß; Martin Baledowski,
21 Jahre, Harzer Straße 2, Brustschuß; Otto Scherwat,
17 Jahre, Neukölln, Einhornstraße 7, Bauchschuß; Charl. Makay,
Korrespondent der "Waitara Daily", New Zealand, 46 Jahre,
Bauchschuß. Die vorgenannten Personen verstarben im Krankenhaus Buckow.
Außerdem Otto Engel, 19 Jahre, Ackerstraße 45, Bauchschuß (im
Virchow-Krankenhaus); Walter Bath, Neukölln, Wehnerstraße 37,
Bauchschuß (im Urban-Krankenhaus).
Ferner wurden drei Personen direkt getötet.
Die Krankenhäuser bezw. städtischen Rettungsstellen haben aufgenommen 29 Verwundete.
Die Zahl der Getöteten hat damit 25 erreicht.
6. Mai:
Der
Polizeipräsident teilt mit:
"[...] Meine Warnung, das Sperrgebiet
zu betreten und meinen Hinweis, daß jeder, der den getroffenen Anweisungen
nicht folgt, sein Leben aufs Spiel setzt, haben verschiedene Personen
mißachtet und sind dabei zu Schaden gekommen... Von welcher Seite der
tödliche Schuß abgefeuert worden ist, konnte nicht festgestellt werden
[...]"
13. Mai:
Dresden, den 13. Mai 1929. Beschluß.
In der Strafsache gegen den unbekannten
Verfasser der Druckschrift "Blutige Maitage in Berlin" von Werner
Hirsch, Internationaler Arbeiterverlag, Berlin, wegen Hochverrats,
Gefährdung des öffentlichen Friedens, wird hiermit auf Antrag der
Staatsanwaltschaft Dresden die Beschlagnahme der vorbezeichneten
Druckschrift verfügt.
Nach dem Inhalt der erwähnten Druckschrift,
deren entgeltliche bezw. unentgeltliche Verteilung begonnen hat, wird mehr
oder weniger versteckt zur gewaltsamen Änderung der Verfassung des
Deutschen Reiches aufgefordert und es werden in einer, den öffentlichen
Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu
Gewalttätigkeiten gegeneinander öffentlich angereizt.
So heißt es u. a. Blatt 27:
"Zörgiebel handelte im Auftrage der
Sozialdemokratie. Das Verbrechen Zörgiebels war nicht das Verbrechen eines
einzelnen Mannes. So sehr gerade dieser Mann, der, gleich Noske, den Typ
des ehemaligen preußischen Feldwebels zu repräsentieren scheint, für seine
Rolle als Bluthund alle notwendigen Eigenschaften mitbrachte, die skrupellose
Brutalität wie die dumpfe, bornierte Rohheit, so wenig ist das Problem des
vergossenen Arbeiterblutes dieser Berliner Maitage lediglich ein Problem
Zörgiebel."
Blatt 28:
"Die SPD wollte das Blutvergießen."
Blatt 29:
"Die KPD. und der bewaffnete Aufstand.
Die Kommunisten haben es nicht nötig, mit ihren Absichten und Plänen
Versteck zu spielen. Die Kommunistische Partei ist eine revolutionäre
Partei, und sie macht kein Hehl daraus, daß ihr Ziel der Umsturz der
kapitalistischen Ordnung und die Errichtung der proletarischen Diktatur als
Vorbedingung für den Sozialismus ist."
Verbrechen nach § 81 Ziffer 2
RStGB. und § 86 RStGB.
Hierdurch und weil die Druckschrift als
Beweismittel für das begangene Verbrechen bezw. Vergehen dient und der
Einziehung unterliegt, rechtfertigt sich die verfügte Beschlagnahme.
(§§ 94, 98 RStGB.) Das Amtsgericht Dresden, Abt. V.
gez. Busch.
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Verbot Rote
Fahne, 26. Mai 1929[9]
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26 Mai 1929.
Der Polizeipräsident
Abteilung I A Tgb.‑Nr, 458 IA 1/29
An die Redaktion "Die Rote Fahne"
Berlin C 25
Kleine Alexanderstraße 28
Anliegend überreiche ich beglaubigte
Abschrift des heute an den Verlag und die Redaktion "Die Rote
Fahne" abgesandten Schreibens von heute zur Kenntnis und Beachtung.
gez. Zörgiebel. beglaubigt: Peters Pol.-Kzl.-Assistent
(Stempel)
Hiermit verbiete ich auf Grund § 7 und
§ 21 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922
(Reichsgesetzblatt S. 585) die Zeitung "Die Rote Fahne"
nebst ihren Kopfblättern "Das Volksecho" und die "Volkswacht"
auf die Dauer von 4 Wochen bis einschließlich 22. Juni 1929. Das
Verbot umfaßt auch jede angeblich neue Druckschrift, die sich sachlich als
die alte darstellt. Gegen diese Verfügung ist die Beschwerde binnen zwei
Wochen vom Tage der Zustellung ab zulässig. Die Beschwerde ist unter
Beifügung zweier Abschriften der Beschwerdeschrift bei mir einzulegen.
Gründe:
In Nr. 104 der "Roten Fahne"
vom 25. Mai 1929 wird in dem Artikel "Moskau ist schuld?" in
dem Absatz "Erlaubt oder verboten ‑ der Kampf wird
fortgesetzt" folgendes ausgeführt:
"Die Kommunistische Partei und das
revolutionäre Proletariat sind aus den Kämpfen des 1. Mai gestärkt
hervorgegangen. Sie haben sich zu einer Entscheidungsschlacht nicht
provozieren lassen, aber sie haben den Kampf aufgenommen und werden ihn mit
allen Mitteln, ob erlaubt oder verboten, fortsetzen. Die Kommunistische
Partei als Avantgarde der ausgebeuteten und unterdrückten Massen, erklärt
in aller Offenheit, daß die Zörgiebel-Morde vom 1. bis 3. Mai
eine neue Etappe des Klassenkampfes einleiten, in welcher die
rücksichtslose Brutalität des Sozialfaschismus, der im Dienste des von der
Geschichte zum Tode verurteilten kapitalistischen Systems handelt, auf die
eiserne Entschlossenheit und Opferwilligkeit der Arbeiterklasse stoßen
wird. Sie verkündet laut und offen, daß der gewaltsame Sturz des
bürgerlichen Staates allein allen Schrecken des kapitalistischen Regimes,
der Ausbeutung der Millionen Massen und den Greueln des herannahenden
imperialistischen Krieges ein Ende setzen kann."
In der gleichen Nummer heißt es in dem
Artikel "Die Wahrheit über den Berliner Blut-Mai", in dem Absatz "Die
Berliner Arbeiter demonstrieren":
"In Wirklichkeit war es gerade die
heroische Kampfdisziplin, die unbeirrbare Standhaftigkeit der
Arbeitermassen, die dem 1. Mai trotz des Polizeiterrors sein Gesicht
gab. Die Polizei wütete, schlug, spritzte aus Hydranten ‑ die
Masse blieb. Die Polizeikordons trieben die angesammelten Arbeiter und
Arbeiterfrauen mit der Brutalität sadistischer Kosaken von irgendeinem
Platz herunter, ritten zu Pferde in die Menge hinein ‑ Minuten
später standen die Massen von neuem, hielten von neuem die Straße besetzt.
Der Heroismus der Berliner Arbeiterschaft feierte an diesem 1. Mai
einen überwältigenden Triumph!"
Diese Ausführungen enthalten eine Verherrlichung
des Widerstandes der Berliner Arbeiter gegen die vom Polizeipräsidium
erlassenen Verordnungen. Sie sind eine folgerichtige Fortsetzung der von
der Kommunistischen Partei vor dem 1. Mai in der "Roten
Fahne" und anderwärts immer wieder erhobenen Forderungen, sich dem
Demonstrationsverbot vom 13. 12. 1929 keinesfalls zu fügen, es
vielmehr mit Gewalt zu brechen.
Durch derartige Forderungen ist dargetan,
daß die Kommunistische Partei eine staatsfeindliche Organisation im Sinne
des § 129 StGB. ist, weil es zu ihren Zwecken oder Beschäftigungen
gehört, Maßregeln der Verwaltung durch ungesetzliche Mittel, nämlich durch
Gewalt, zu verhindern oder zu entkräften. Die Ausführungen, daß es nur auf
gewaltsamem Wege möglich sei, allen Schrecken des kapitalistischen Regimes,
der Ausbeutung der Millionen Massen und den Greueln des herannahenden
imperialistischen Krieges ein Ende zu setzen, dienen der Untergrabung der
verfassungsmäßig festgestellten republikanischen Staatsform, und darüber
hinaus der Vorbereitung des gewaltsamen Umsturzes der Verfassung. Indem die
"Rote Fahne" derartige Ausführungen der Kommunistischen Partei
als deren Zentralorgan (vergleiche den Kopf des Blattes) in ihren Spalten
veröffentlicht, unterstützt sie das Bestreben der staatsfeindlichen
Organisation, der KPD., durch die Tat. Hiernach sind die Voraussetzungen
der §§ 7 und 21 des Republikschutzgesetzes erfüllt. Das Verbot
ist somit gerechtfertigt.
Für die Verbotsdauer war das Höchstmaß
festzusetzen, weil die Zeitung aus gleichem Anlaß erst vom 2. bis 23. Mai
1929 verboten war und trotzdem ihre Schreibweise fortgesetzt hat.
gez. Zörgiebel.
(Stempel des Polizeipräsidenten)
Beglaubigt: (unleserlich)
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Otto Wels, Mai 1929 (Auszüge)[10]
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Wels (Berlin): Parteigenossinnen und
Parteigenossen! Ich danke zunächst den Magdeburger Parteigenossen für die
freundlichen Worte der Begrüßung, die soeben an uns gerichtet worden sind.
Dieser Dank wird aus tiefstem Herzen auf die vielen Zehntausende von Genossinnen
und Genossen, von allen Dingen auch auf die Jugend übertragen, die uns in
den vergangenen Stunden ein unvergeßliches Erlebnis bereitet hat. (Bravo
und Händeklatschen.) Dieses an Zahl, an Geist, an Disziplin und
Geschlossenheit, an Rhythmus und Farbe so prächtige Bild einer
sozialdemokratischen Heerschau im Innern Deutschlands ist nicht nur ein
erhebendes Zeugnis der Lebenskraft unsrer Bewegung, es ist zugleich die
lebendige Bekräftigung folgender Worte:
"Wir dürfen wohl sagen, daß
heute die Blicke aller auf Magdeburg gerichtet sind, und zwar nicht nur die
Blicke des Proletariats, sondern auch die Blicke der Gegner, die da hoffen,
daß Zustände eintreten können, wo sich die Genossen gegenseitig
zerfleischen. Die Gegner glauben, daß solche Zeiten wiederkommen können und
sie warten darauf. Sie warten darauf, weil sie wissen, daß das einst so
geknechtete und unterdrückte Proletariat allmählich der bedeutendste Faktor
im politischen Leben geworden ist. Das Proletariat hat sich eine Stellung
auf der politischen Bühne erobert, daß alle andern Klassen mit Furcht und
Schrecken auf seine Weiterentwicklung sehen. Darum warten sie darauf, daß
durch gegenseitige Zerfleischung oder sonstwie ein Rückgang in der
Arbeiterbewegung stattfindet."
Diese wahrhaft prophetischen Worte sind der
Begrüßungsrede entnommen, die Hermann Molkenbuhr im Jahre 1910 im Auftrag
des Parteivorstandes an den Parteitag zu Magdeburg richtete.
Heute ist die Sozialdemokratische Partei in
Wahrheit der stärkste Faktor im Staatsleben Deutschlands geworden. Die
Stellung der Arbeiterschaft im Staat und ihre Stellung zum Staate hat eine
Änderung erfahren. Die politische Demokratie ist errungen. Ist auch die
Arbeiterklasse heute noch durch die Zerfleischungsmethode eines Teiles
ihrer selbst in ihrer Wirkung geschwächt, trotzdem aber marschiert die
Sozialdemokratie vorwärts. Mit dem Aufstieg der Sozialdemokratie wächst die
Gesamtmacht der Arbeiterklasse. Der Aufstieg der Partei gerade nach dem
Kieler Parteitag hat seinen Ausdruck in der erfreulichen Entwicklung der
Organisation, in der Zunahme der Mitgliedschaften, in der Belebung des
innerparteilichen Lebens und der Zunahme der Geschlossenheit gefunden,
trotz aller Meinungsverschiedenheiten in der Partei, in der Belebung der
kulturellen und Bildungsarbeit, in der wachsenden Anziehungskraft der
Jugend von den Roten Falken angefangen, während wir sehen, daß die
kommunistische Jugendbewegung vollkommen daniederliegt.
Dieser Parteitag in Magdeburg unterscheidet
sich nicht unwesentlich von dem letzten Parteitag vor zwei Jahren in Kiel.
Die Partei als solche ist in ihrem Geist, in ihrem Ziel und in ihrer
Führung dieselbe geblieben. Wir zählen heute rund 114 000 Mitglieder
mehr, die Zahl unsrer Zeitungen hat sich um 5 gesteigert. Aber
grundverschieden ist die politische Situation. Aus der stärksten
Oppositionspartei sind wir nach dem klar ausgesprochenen Willen von mehr
als einem Drittel des deutschen Volkes, der deutschen Wähler zur stärksten
Regierungspartei geworden. Durch diesen Erfolg ist die Situation geschaffen,
in der wir uns seitdem befinden, die uns vor neue Aufgaben stellt. Unser
Streben, unser Kampf, ob in der Opposition oder in der Regierung, gilt
unverändert der Verteidigung, der Förderung der Interessen der arbeitenden
Massen Deutschlands, gilt unverändert dem Sozialismus. (Bravo und
Händeklatschen.) Unser Aufstieg berechtigt uns zu dem höchsten und
stärksten Optimismus. Er kann für uns aber nur eine Quelle zu noch höherer
Energieentfaltung sein, der Energie, die wir brauchen, um der
Schwierigkeiten Herr zu werden, die uns unsre gegenwärtige Lage bringt.
In der Regierung sind unsre Mittel und Wege
des Kampfes selbstverständlich anders als in der Opposition. Für alle
Parteien in allen Ländern gilt die Regel, daß die Verantwortung in der
Regierung eine Belastung besonders in agitatorischer Hinsicht bedeutet. Das
gilt besonders für uns in Deutschland 10 Jahre nach dem verlorenen
Kriege, 10 Jahre nach dem Vertrag von Versailles in dem Stadium des
Wiederaufbaues unsers wirtschaftlichen Lebens. So große Fortschritte seit
1919 auf allen Gebieten der Wirtschaft und Politik auch erzielt wurden, wir
fühlen das gerade jetzt angesichts der wechselvollen Verhandlungen in
Paris, daß wir noch weit davon entfernt sind, uns in unsern Entschlüssen
frei zu fühlen. Teilen auch die europäischen Siegerstaaten im Weltkrieg die
finanzielle Abhängigkeit vom amerikanischen Gläubiger mit uns, so fühlen
wir als die Besiegten im Weltkrieg diese Unfreiheit doch in besonderm Maße.
Wir müssen mit der Tatsache rechnen, die durch keinen Parteibeschluß aus
der Welt geschafft werden kann, daß ein erheblicher Teil der Arbeit und der
Produktion des deutschen Volkes nicht dem Gemeinwohl des eignen Landes
dienen kann, sondern noch Jahrzehnte hindurch den Reparationsgläubigern
zufließen wird. Ihre Beseitigung kann nur international durch das Wirken
der sozialistischen Internationale erfolgen, die in gemeinsamem Wirken die
Streichung aller Kriegsschulden in bewußtem Gegensatz zu den
kapitalistischen Parteien in ihren Ländern zu einer programmatischen
Forderung erhoben hat. Wir denken dabei an die Vierländerkonferenz, die
erst im Februar dieses Jahres die sozialistischen Parteien Englands,
Belgiens, Frankreichs und Deutschlands zur Besprechung der
Reparationsfragen in London zusammenführte. Unsre heißesten Wünsche
begleiten gerade am heutigen Tage unsre belgischen Freunde in ihrem heute
durchzufechtenden Wahlkampf und unsre englischen Freunde in dem Kampfe, den
sie im Laufe dieses Parteitages noch ausfechten. (Bravo! und
Händeklatschen.)
Der Sieg der britischen Arbeiterpartei, den
die gesamte für Frieden und Fortschritt kämpfende Welt erhoffen muß, wäre
eins der bedeutungsvollsten und der glücklichsten Ereignisse der
Nachkriegszeit. Denn die fast fünfjährige konservative Herrschaft Englands
ist eine der Hauptursachen der außenpolitischen Stagnation und der
reaktionär-faschistischen Teilerfolge in Europa. Die Torry-Regierung war
bisher eins der Haupthindernisse auf dem Wege zur Abrüstung, zum wirklichen
Frieden und jener außenpolitischen Ziele, für die die deutsche
Sozialdemokratie mit der gesamten sozialistischen Internationale
einträchtig zusammenwirkte. Der Erfolg der Arbeiterklasse in einem Lande
ist der Erfolg der Arbeiterklasse in aller Welt, und die Niederlage der
Arbeiter in einem Lande erfolgt zu Lasten des gesamten Proletariats. (Sehr
richtig!) Darum lehnen wir Sozialdemokraten auch die kommunistische
Auffassung ab, als ob eine Reihe von Niederlagen dem großen endgültigen
Siege des Sozialismus vorangehen müsse und ihn nur wirksam vorbereiten könne.
Nein, wir glauben an die Entwicklung, die von Erfolg zu Erfolg zum
endgültigen Siege führen muß. (Bravo! und Händeklatschen.) Ich hoffe, daß
wir noch während der Tagung des Parteitages Siegesnachrichten aus Belgien
und England entgegennehmen können, wie wir uns des prachtvollen Wahlsteges
unsrer dänischen Parteigenossen freuen konnten. (Bravo! und
Händeklatschen.)
Wir wissen, die Übernahme der Regierung
gemeinsam mit andern Parteien schränkt uns in unsrer Handlungsfreiheit
stärker ein, aber wir wissen auch, daß das nicht nur für unsre Partei
zutrifft, sondern daß das Zusammenwirken mit andern Parteien der Regierung dieses
mit sich bringt, und daß es den Vorteil für uns in sich schließt, daß auch
andre große Parteien mit uns zusammen die Last der Verantwortung für die
Geschicke des Volkes tragen müssen, daß also auch sie und nicht wir allein
in unsrer Agitation gehemmt sind. Das war für uns nichts Neues und doch
haben wir es immer betont. Es gibt niemand unter uns, der nicht lieber eine
sozialistische Regierungsbildung begrüßen würde als den Zwang für die
Partei, eine Regierungsbildung einzugehen. Aber heute steht die Frage in
der Tat nicht so für uns, ob wir gern oder ungern regieren, ob wir gern
oder ungern eine Koalition in fester oder in loser Form eingehen. Die
politische, parlamentarische, wirtschaftliche und soziale Struktur
Deutschlands ist gegenwärtig so, daß die Frage, was wir vorziehen, ganz
sekundär geworden ist. Im Vordergrund steht dagegen die Frage, was wir tun
müssen.
Schon in die Freude über den Wahlerfolg vom
20. Mai mischte sich für uns die Sorge um die Zukunft. Jeder von uns wußte,
daß eine Zeit anbrechen würde, in der es an Belastungen und Enttäuschungen
für uns nicht fehlen würde. Denn die Anspannung der wirtschaftlichen Lage,
insbesondere durch die dauernde Arbeitslosigkeit einerseits und aus der
schon früher geschaffenen, jetzt besonders offen zutage tretenden Finanznot
im Reich, war das bezeichnendste der allgemeinen politischen Situation, wie
sie sich insbesondere nach den Wahlen gestaltet hat. Die Schwankungen der
Konjunktur, die Wellen des Aufstiegs, des krisenhaften Zustandes oder der
schleichenden Depression der Wirtschaft sind zwar mit der kapitalistischen
Wirtschaftsweise untrennbar verbunden, in Deutschland aber sind all die
geschilderten Lasten des verlornen Krieges, die Pflichten der Reparationen,
die Belastung der Reichsfinanzen durch die Unterstützung der
Kriegsinvaliden und auch die dringliche Aufgabe, das Schicksal der
Erwerbslosen zu mildern, noch hinzugetreten und haben die Belastung für uns
ganz außerordentlich erhöht.
Wir täuschen uns keinen Augenblick darüber:
die bürgerlichen Parteien, mit denen wir uns im Koalitionsverhältnis
befinden, haben kein Interesse an politischen und wirtschaftlichen Erfolgen
der Sozialdemokratischen Partei an sich, also auch nicht an dem Erfolg
einer sozialdemokratisch geführten Regierung. Wir befinden uns auch in der
Koalition in einem schweren Abwehrkampf. Denn es wurde und wird noch immer
versucht, auch aus den Kreisen der Parteien, mit denen wir in der Regierung
zusammen sind, die schwierige Finanzlage zu einem generellen Ansturm gegen
die Sozialpolitik und vor allem gegen die Arbeitslosenversicherung zu
führen.
Wir Sozialdemokraten sehen in der
Arbeitslosenversicherung nicht nur die Unterstützung der wirtschaftlich
Schwächsten, der Arbeitslosen, wir sehen in ihr auch für die in
Beschäftigung befindlichen Arbeiter eine Sicherung gegen Lohndruck, ein
Mittel zur Hebung der Löhne und der Kaufkraft der breiten Massen des
Volkes. Die gezahlten Arbeitslosen-Unterstützungsbeiträge sind nicht in die
Sparkasse geflossen. Sie wanderten restlos zum Bäcker, zum Fleischer, zum
Krämer, in die Hände des die Arbeitslosenversicherung durch die
Wirtschaftspartei mit geradezu fanatischem Haß kämpfenden Mittelstandes und
durch diesen wiederum in den Kreislauf der deutschen Wirtschaft. Die
Arbeitslosenversicherung ist deshalb eine Angelegenheit, die nicht nur die
Arbeitslosen, sondern die gesamte werktätige Bevölkerung angeht.
Die Arbeitslosenversicherung ist eine der
wichtigsten Errungenschaften des deutschen Proletariats in der
Nachkriegszeit. Wenn heute die bürgerlichen Parteien, um diese
Errungenschaft leichter aushöhlen zu können, auf den Egoismus und die
Kurzsichtigkeit solcher Schichten der Arbeiterschaft spekulieren, die
gegenwärtig scheinbar nur die Lasten, aber nicht die Vorteile dieser
Institution tragen, so antworten wir: In der kapitalistischen Gesellschaft
ist keiner, wer er auch sei, vor den Rückwirkungen einer Wirtschaftskrise
gesichert. Die Arbeitslosenversicherung kann daher morgen oder übermorgen
jedem kommen, auch dem, der sich heute in der trügerischen Sicherheit einer
ungefährdeten wirtschaftlichen Existenz wiegt.
Die Sozialdemokratie wird deshalb, ob in
der Opposition oder in der Regierung, für gesunde Umgestaltung der
wirtschaftlichen Verhältnisse kämpfen. Sie schließt sich der
freigewerkschaftlichen Forderung nach Demokratisierung der Wirtschaft, die
in ihrer Vollendung nichts andres als der Sozialismus sein kann, vollauf
an. Sie kämpft für den weitern Ausbau der Sozialpolitik und des
Arbeitsrechts, das sich zum Recht aller Arbeitenden gestalten muß. Sie kämpft
um eine soziale Verteilung der Lasten, damit die finanziellen Bedürfnisse
des Reiches, der Länder und der Kommunen nicht einseitig auf Kosten der breiten
Massen befriedigt werden.
Nur wer politisch blind ist, kann
verkennen, daß es der Sozialdemokratie auch unter den gegenwärtigen
schwierigen Verhältnissen gelungen ist, nicht nur Angriffe zugunsten der
sozial Schwächeren abzuwehren, sondern auch eine Reihe von Fortschritten zu
erringen, die unter dem Bürgerblock sicher nicht eingetreten wären und über
die Reichstagsfraktion noch zu reden sein wird. Darüber aber sei von Anfang
an jeder Zweifel ausgeräumt: An der Arbeitslosenversicherung läßt die
deutsche Arbeiterschaft, lassen die deutschen Gewerkschaften und läßt die
Sozialdemokratische Partei nicht rütteln. (Bravo! und Händeklatschen.) Ihre
Leistungen müssen ausreichen, um einem Versinken des Arbeitslosen in das
graue Nichts entgegenzuwirken. Sie müssen ihm ein Existenzminimum gewähren,
ihm den Anspruch sichern, den er gegenüber der Gesellschaft hat. Die
Sozialdemokratische Partei hat von jeher den Mut zur Unpopularität gehabt.
Sie wird auch diese Forderung durchsetzen. Unser gegenwärtiger Kampf wird
von jedem voll verstanden werden, der ihn im Zusammenhang mit der
allgemeinen politischen Lage zu betrachten vermag.
Die Wahlen im Mai 1928 brachten einen
Wendepunkt in der politischen Entwicklung Deutschlands. Die bürgerlichen
Parteien waren durch den Mißerfolg des Bürgerblocks auf die Zusammenarbeit
mit der Sozialdemokratie angewiesen. In der Demokratie braucht jede Partei
die Wählermassen. Sie sind die Grundlage ihres Wirkens. War die
Koalitionspolitik für die Sozialdemokratie nach dem Zusammenbruch von 1918
eine Notwendigkeit, um den Staat überhaupt zu erhalten, um die neue
Staatsform aufzubauen und die internationale Politik der Versöhnung und
Verständigung anzubahnen, war die Koalition im Jahre 1923 die einzige
Rettung aus der Inflationskatastrophe, die nach der Erfüllung ihrer
dringendsten Aufgaben auseinanderbrechen mußte, so steht heute fest: Die Bürgerblockpolitik
bewirkte im Mai 1928 die Flucht der Massen aus den bürgerlichen Parteien.
Die Rücksicht auf die Massen Hwang die bürgerlichen Parteien zur Koalition
mit der Sozialdemokratie. Dabei täuschen wir uns nicht darüber, daß das
Unbehagen in weiten Kreisen des Bürgertums über die Koalition mit der
Sozialdemokratie stark und stärker wird.
Aber aus diesem Unbehagen sehen wir auch
all die Erscheinungen entstehen, die von mancher Seite als Krise des
Parlamentarismus bezeichnet werden. Wir sind uns ja darüber klar: sie
entstehen nicht, so sehr aus dem Wesen des demokratisch-parlamentarischen
Systems selbst, sondern daraus, daß man den demokratischen
Parlamentarismus, in dem die Macht der Sozialdemokratie wächst, lahmlegen
will. Aus diesem Bestreben heraus entsteht immer wieder der Ruf nach dem
starken Mann, und daher spukt auch heute wieder in manchen Kreisen von
neuem der Gedanke von einem Triumvirat, der in den Zeiten der Bürgerbräu-Revolution
des Jahres 1923 schon einmal eine Rolle spielte.
So ist für uns Sozialdemokraten die
Koalitionspolitik nur eine neue Form des schwierigen Kampfes um die
Demokratie, um ihren Ausbau, um die Durchsetzung unsrer Ziele geworden, und
von diesem großen Gesichtspunkt aus muß der Parteitag hier in Magdeburg
auch die gegenwärtigen Probleme der Politik unsrer Parte! betrachten und
ihre Aufgaben für die Zukunft bestimmen. Hier gilt das Wort Hilferdings von
Kiel: wir sollten aufhören, die Koalitionspolitik als eine Art
Suspendierung des Klassenkampfes, als eine Art des politischen Friedens zu
betrachten!
Es ist nicht zu leugnen, daß das
parlamentarische Regime eine schwierige Zeit durchmacht. In großen Ländern
ist es durch ein System der Diktatur ersetzt, sei es die faschistische oder
die bolschewistische. Da gilt es für uns in Deutschland, ganz besonders
verantwortungsbewußt zu handeln. Es gilt besonders für uns in Deutschland,
wo das demokratische Regime noch jung ist und durch die wachsende Parteienzersplitterung
belastet wird.
Wir konnten uns der Mitarbeit in der
Regierung nicht versagen, denn sonst wäre eine parlamentarische Regierung
überhaupt nicht zustande gekommen. Die Deutschnationalen hatten einstweilen
genug vom Regieren, und das Zentrum hatte genug vom Bürgerblock. Sollten
wir nun dazu beitragen, daß in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes,
auch in der Arbeiterschaft das Nichtzustandekommen der Regierung als ein
Schiffbruch der demokratischen Republik empfunden werden mußte? Wenn als
Ausweg etwa ein Beamtenkabinett ernannt worden wäre? Parteigenossen, denkt
daran, welch einen ungeheuern Antrieb ihr damit dem Gedanken der Diktatur
in Deutschland und in der ganzen Welt gegeben hättet.
Nein, es ist unsre Aufgabe, die Demokratie
zu stärken und die Republik zu schützen. Gelänge es den Feinden der
Republik, der Demokratie in Deutschland so schweren Schaden zuzufügen, daß
einmal kein anderer Ausweg bliebe als Diktatur dann, Parteigenossen, sollen
Stahlhelm, sollen Nationalsozialisten, sollen ihre kommunistischen Brüder
von Moskau das eine wissen: die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften als
die Vertreter der großen Masse des deutschen Volkes, festgefügt in ihren
Organisationen, in verantwortungsbewußtem Handeln und in unzerbrechlicher
Disziplin, würden auch trotz ihrer demokratischen Grundeinstellung die
Diktatur zu handhaben wissen. (Lebhafter Beifall.)
Das Recht auf Diktatur fiele ihnen allein
zu, niemand anderm, und bei ihnen wäre allein auch die Garantie für eine
Rückkehr zur Demokratie nach Überwindung von Schwierigkeiten, die wir nicht
wünschen, gegeben. Allen Desperados aber, wo sie auch sitzen mögen, sei es
mit aller Deutlichkeit gesagt ‑ und, Parteigenossen, dafür wird
die Sachlichkeit und die Kameradschaftlichkeit der Auseinandersetzungen auf
diesem Parteitag sorgen ‑ , daß an der Geschlossenheit der
Sozialdemokratie im Kampfe für diesen Staat und um diese Republik kein
Zweifel aufkommt. (Bravo!)
Wohl stehen Fragen zur Debatte, über deren
Beurteilung die Meinungen auseinandergehen. Aber gerade deshalb werden wir
beweisen, daß wir als Parteigenossen unsre gegenseitigen Ansichten
auszufechten wissen, und wir werden damit ein für unsre Anhänger
leuchtendes und ermutigendes, für unsre Gegner aber beschämendes und
beneidenswertes Beispiel geben. Denn wo wir auch hinsehen, nach rechts und
links, es ist überall dasselbe Bild: Rechts von uns in der
Deutschnationalen Partei der Kampf zwischen Hugenberg und Westarp um die
Führung der Deutschnationalen hat längst aufgehört, sich hinter den
Kulissen dieser Partei abzuspielen. Heute ist die Welt Zeuge des
ergötzlichen Schauspiels, wie sich die proletarischen Elemente im
nationalistischen Lager, die Lambach, Hülser usw., die Gewerkschafts- und
Angestelltenführer um den feudalen Grafen Westarp scharen müssen im Kampfe
gegen die plutokratische Parteidiktatur des politischen Parvenüs Hugenberg.
Wir sind auch nicht blind dafür, daß ein
Teil der demokratischen Presse im politischen Teile zuweilen mit dem
intellektuellen Linksradikalismus lieb- äugelt und im Handelsteil den
veraltetsten Wirtschaftslehren des 19. Jahrhunderts huldigt. (Lebhafte
Zustimmung.)
Wir sehen die Kommunisten von innern
Zerwürfnissen und Rivalitäten zerfressen. Keiner traut mehr dem andern. Jeder
fürchtet, daß er morgen in Ungnade bei jenem Allmächtigen fallen könnte,
der im Augenblick zufällig das Vertrauen der Moskauer Oberinstanz genießt.
Die wenigen, die sich nicht fügen und es ablehnen, sich selbst ins Gesicht
zu spucken, werben über Nacht als Renegaten, Konterrevolutionäre und
Verräter über Bord geworfen. Fürwahr, Moskau hat es weit gebracht! Der
Sozialismus asiaticus hat zwar die Befreiung der Kulis auf sein Programm
geschrieben, in Schanghai und Kanton Tausende in aussichtslose
Putschabenteuer und in den Tod gehetzt, dafür in Europa Menschen, die sich
Arbeiterführer nennen, zu politischen Kulis gemacht, die sich innerhalb der
kommunistischen Internationale aus dieser moralischen Knechtschaft niemals
befreien werden. (Bravo l)
Selbstbewußtsein und Würde, das ist eines
der vielen Kennzeichen, die unsre Partei von den Kommunisten unterscheiden
muß. Selbstbewußtsein und Würde werden auch die Merkmale dieses Magdeburger
Parteitags sein, obwohl Fragen auf ihm zur Debatte stehen, die manchem von
uns seit einem Jahre manch bittere Stunde bereitet haben. [...]
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Verordnung
Wilhelm Groener, 19. November 1929 (Auszüge)[11]
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Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die
NSDAP auf die Zersetzung der Wehrmacht hinarbeitet. Unter dem Deckmantel
des “Nationalen” arbeitet diese Partei bewußt gegen den Staat und seine
Regierung und versucht das Machtmittel des Staates, die Wehrmacht, zu
untergraben, um bei gegebener Zeit ihre hochverräterischen Pläne um so
leichter durchführen zu können [...] Die loyale, überparteiliche
Pflichterfüllung der Reichswehr im Rahmen der Verfassung wird von Hitler
als Charakterlosigkeit bezeichnet [...] Mit dem Eide, den die Angehörigen
der Wehrmacht auf die Verfassung abgelegt haben, ist es unvereinbar, wenn
sie mit einer Partei sympathisieren, die sich den Sturz dieser Verfassung
zum Ziele gesetzt hat. Für derartige Soldaten ist in den Reihen der Wehrmacht
kein Platz! Wer glaubt, nicht über den Parteien bleiben zu können [...] hat
seine Entlassung zu erbitten. Sie ist zu bewilligen [...]
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