|   |                    
  
   
    | • | Vorwärts
    (29. März)  [1]: Der Kampf gegen den Faschismus kann nicht
    in einer Front mit den Vätern des Faschismus geführt werden. Die
    Bolschewisten sind nicht nur die Erzeuger des Faschismus im geschichtlichen
    Sinne, sie haben nicht nur in Italien, Ungarn, Bulgarien usw. den Faschismus
    oder Halbfaschismus durch ihre wahnsinnige Putschpolitik groß werden
    lassen, sie sind auch ideologisch die besten Stützen des Faschismus, denn
    sie kämpfen in einer Front mit ihm gegen die Demokratie. |   |      
  
   
    | Albert Grzesinski
    23. März 1929[2] |    
  
   
    | • | In den letzten
    Tagen habe ich durch die Presse nachstehenden Aufruf verbreiten lassen: Die verfassungsmäßig gewährleistete
    Vereins- und Versammlungsfreiheit wie das Recht der freien Meinungsäußerung
    werden in fortschreitendem Maße unter völliger Verkennung ihrer Bedeutung
    und ihres Zwecks mißbraucht. Ausschreitungen bedauerlichster Art, die sogar
    Menschenleben gefordert und gefährdet haben, und in Verbindung damit
    versteckte oder gar offene, zum Teil planmäßig vorbereitete, technisch
    organisierte Auflehnung gegen die Polizei, bei der Beamte erheblich zu
    Schaden gekommen sind, sind gerade in letzter Zeit eine häufige
    Erscheinung. Auch vor Denkmalsbeschädigungen und antisemitischen
    Friedhofsschändungen ist man nicht zurückgeschreckt. Parlamentarische
    Anträge, Große und Kleine Anfragen von allen Seiten im Landtage, wie auch
    weite Kreise der Öffentlichkeit verlangen von mir dringend Abhilfe und
    fordern mit Recht vorbeugende Maßnahmen. Ich habe wiederholt Anlaß
    genommen, vor einer Fortsetzung dieses Treibens, das mit Politik und
    politischem Kampfe nichts mehr zu tun hat, zu warnen. Zuletzt habe ich am
    1. 3. 1929 im Landtage die aus diesen Vorfällen erkennbare
    Unduldsamkeit gegeißelt und an die Führer der verschiedenen politischen
    Richtungen und Parteien die dringende Mahnung gerichtet, auf ihre Anhänger
    in mäßigendem Sinne nachdrücklich Einfluß auszuüben. Meine Warnungen und
    Hinweise haben bisher bedauerlicherweise nicht überall die notwendige
    Wirkung gehabt. Ich wiederhole daher heute noch einmal sehr ernstlich meine
    Mahnung an alle politischen Organisationen, Bünde und die Führer der ihnen
    nahestehenden politischen Parteien und ersuche auch die in Frage kommende
    Presse dringend, durch Abkehr von dem gerade in den letzten Wochen vielfach
    wieder beobachteten verhetzenden und die auch von ihnen für erforderlich
    gehaltene Autorität des Staates untergrabenden Ton auch ihrerseits zu einer
    Befriedung des öffentlichen Lebens beizutragen, so daß politische
    Meinungsverschiedenheiten wieder in vernünftigen Formen ausgetragen und Andersdenkende
    von ihren politischen Gegnern unbelästigt bleiben. Wenn dieser letzte
    Versuch, die politische Betätigung der Staatsbürger im Rahmen der Gesetze
    gegen jede Beeinträchtigung zu schützen und die Ausartung des politischen
    Kampfes durch Anwendung gewaltsamer Mittel zu unterdrücken, ungehört
    verhallen sollte, werde ich zum Besten der friedlichen und friedliebenden
    Bevölkerung gegen die radikalen Organisationen mit allen mir zu Gebote
    stehenden Mitteln rücksichtslos einschreiten. Dabei würde ich auch vor der
    Auflösung solcher Verbände und Vereinigungen nicht zurückschrecken, die
    gleichzeitig die Form politischer Parteien haben. Die Polizeiverwaltungen
    in Preußen habe ich mit dem Erlaß vom heutigen Tage mit entsprechenden
    strikten Anweisungen versehen. Unter dem Hinweis auf diesen Aufruf ersuche
    ich die nachgeordneten Behörden, auch von sich aus alle Maßnahmen zu
    treffen, die geeignet sind, dem in letzter Zeit beobachteten Treiben der
    radikalen Organisationen wirksam entgegenzutreten. Organisationen, die ungeachtet
    meiner Warnung ihr gefährliches Treiben fortsetzen und dadurch zu erkennen
    geben, daß sie die Herbeiführung von Friedensbrüchen geradezu bezwecken,
    sind, soweit nicht noch andere gesetzliche Bestimmungen in Frage kommen,
    gemäß § 2 Reichsvereinsges. aufzulösen; gegen Versuche, sich weiter zu
    betätigen, ist nachdrücklich einzuschreiten. Öffentliche Versammlungen
    unter freiem Himmel und Umzüge, die eine unmittelbare Gefahr für die
    öffentliche Sicherheit darstellen, sind vorbeugend polizeilich zu verbieten
    und zu verhindern. Versammlungen in geschlossenen Räumen, deren
    unfriedlicher Charakter von vornherein feststeht, sind gleichfalls
    vorbeugend zu verbieten;  Versammlungen in geschlossenen Räumen, die nach
    Beginn einen unfriedlichen Charakter annehmen, sind polizeilich aufzulösen. |   |        
  
   
    | • | K. Zörgiebel  [3]: Denn ich bin entschlossen, die
    Staatsautorität in Berlin mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln
    durchzusetzen. [...] So soll nach dem Willen der Kommunisten am
    L Mai in den Straßen Berlins Blut fließen! Das aber darf nicht sein. |   |      
  
   
    | • | 19. April: Die KPD will Tote [...] sie fordert auf,
    Zusammenstöße zu provozieren. 20. April: KPD braucht Leichen! Sie wünscht Schüsse am
    1. Mai. 29. April: 200 Tote am 1. Mai:
    Verbrecherische Pläne der Kommunisten. Nach Mitteilung des
    sozialdemokratischen Vorsitzenden Künstler hat am 25. April die
    kommunistische Bezirksleitung im Karl-Liebknecht-Haus getagt, um die
    endgültigen Aufmarschpläne festzulegen. Dabei wurde von der Bezirksleitung
    mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß man mit etwa 200 Toten rechne
    [...] Vielleicht hofft man auch, daß bei Zusammenstößen am Alexanderplatz
    Demonstranten in die Baugruben der Untergrundbahn gehetzt werden können, so
    daß man auf diese Art zu 200 Toten käme, die man unbedingt für die
    Kommunistische Agitation braucht. |   |      
  
   
    | Verbot Rote
    Fahne, 2. Mai 1929[5] |    
  
   
    | • | Hiermit verbiete ich auf Grund des § 7
    Ziffer 4 und § 21 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom
    21. Juli 1922 (Reichsgesetzblatt S. 585) die Zeitung "Die Rote
    Fahne" auf die Dauer von drei Wochen, bis einschließlich 23. Mai
    1929, weil sie durch ihre Schreibweise in der Nr. 102 vom 2. Mai
    1929 und in den Nummern der letzten Tage die Kommunistische Partei
    Deutschlands in ihre Bestrebung, die verfassungsmäßig festgestellte
    republikanische Staatsform des Reiches zu untergraben, durch die Tat
    unterstützt hat. Dieses Verbot umfaßt auch jede angeblich neue
    Druckschrift, die sich sachlich als die alte darstellt. |   |    
  
   
    | Ausnahmezustand
    Berlin, 3. Mai 1929[6] |    
  
   
    | • | Um die Unruhezentren Wedding und Neukölln,
    in denen es auch am gestrigen Abend und im Laufe der Nacht wieder zu
    schweren Zusammenstößen gekommen ist, zu beseitigen, habe ich folgende
    Maßnahmen getroffen: Von 9 Uhr abends bis 4 Uhr früh
    ist jeder Verkehr in den nachstehend verzeichneten Straßen verboten.
    Ausnahmen gelten nur für Ärzte, Hebammen und Sanitätspersonal. Jedes
    Umherstehen in den Hausfluren oder Hausnischen sowie Toreinfahrten ist
    verbeten. Die straßenwärts gelegenen Fenster müssen in der angegebenen Zeit
    geschlossen bleiben. Auch darf in den straßenwärts gelegenen Räumen während
    der angegebenen Zeit kein Licht brennen. Zuwiderhandelnde Wohnungsinhaber
    setzen sich der Gefahr aus, daß die Fenster von der Straße aus durch die
    Polizei unter Feuer genommen werden. Am Tage darf in den in Betracht kommenden
    Bezirken und genannten Straßen, sowie in den Hausfluren, Hausnischen und
    Toreinfahrten keine Person stehen bleiben. Die Polizei wird besonders
    darauf achten daß sich niemand länger auf der Straße aufhält als unbedingt
    erforderlich ist. Personen die sich ohne festes Ziel auf der Straße
    bewegen, werden festgenommen. Zusammengehen von drei oder mehr Personen ist
    nicht gestattet. Jeder Radfahrverkehr ist untersagt. Die in den genannten
    Bezirken gelegenen Gastwirtschaften werden abends 9 Uhr geschlossen
    [...] Alle Personen, welche diese Bestimmungen
    nicht beachten, setzen ihr Leben aufs Spiel. Der Polizeipräsident. gez.: Zürgiebel. (Stempel). |   |    
  
   
    | Auflösung RFB,
    3. Mai 1929[7] |    
  
   
    | • | Auf Grund des § 14 in Verbindung mit
    § 7 Ziff. 4 und 5 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom
    21. Juli 1922 (RGBl. I S. 585), 2. Juni 1927
    (RGBl. I S.  235)*, des § 1 des Gesetzes vom 22.  März
    1921 (RGBl. S.  235) in Verbindung mit der Verordnung zur Ausführung
    dieses Gesetzes vom 12. Februar 1926 (RGBl. I S. 100) und
    auf Grund des § 2 des Reichsvereinsgesetzes vom 19.  April 1908
    (RGBl. S. 151) in Verbindung mit § 129 des Reichsstrafgesetzbuchs
    wird für das Gebiet des Freistaates Preußen mit Zustimmung der
    Reichsregierung der Rote Frontkämpferbund e. V. einschließlich der
    Roten Jugendfront und der Roten Marine mit allen seinen Einrichtungen
    aufgelöst, weil aus seinem Verhalten hervorgeht, daß sein Zweck in
    Widerspruch zu den genannten gesetzlichen Bestimmungen steht. Das Vermögen der betroffenen Organisationen
    wird gemäß § 18 des Gesetzes zum Schutze der Republik und § 3 des
    Gesetzes vom 22. März 1921 zugunsten des Reichs beschlagnahmt und
    eingezogen. Die Durchführung der Beschlagnahme und
    Einziehung obliegt den örtlichen Polizeiverwaltungen**. Der Preußische Minister des Innern:
    Grzesinski. *    Republikschutzgesetz vom 21. Juli 1922 in der Fassung vom
    2. Juni 1927. **  Gesetz zur Durchführung der Art. 177, 178 des
    Friedensvertrags vom 22. Marz 1921. |   |      
  
   
    | • | 4. Mai: Im Laufe des Freitag und der Nacht zum
    Sonnabend sind schwerverletzt in die städtischen Krankenanstalten
    eingeliefert worden und später in den Krankenhäusern verstorben: Hermann
    Landenberger, 25 Jahre, Wohnung unbekannt, Brustschuß; Ernst
    Maschloch, 20 Jahre, Wohnung unbekannt, Bauchschuß; Martin Baledowski,
    21 Jahre, Harzer Straße 2, Brustschuß; Otto Scherwat,
    17 Jahre, Neukölln, Einhornstraße 7, Bauchschuß; Charl. Makay,
    Korrespondent der "Waitara Daily", New Zealand, 46 Jahre,
    Bauchschuß. Die vorgenannten Personen verstarben im Krankenhaus Buckow.
    Außerdem Otto Engel, 19 Jahre, Ackerstraße 45, Bauchschuß (im
    Virchow-Krankenhaus); Walter Bath, Neukölln, Wehnerstraße 37,
    Bauchschuß (im Urban-Krankenhaus). Ferner wurden drei Personen direkt getötet.
    Die Krankenhäuser bezw. städtischen Rettungsstellen haben aufgenommen 29 Verwundete.
    Die Zahl der Getöteten hat damit 25 erreicht. 6. Mai: Der
    Polizeipräsident teilt mit: "[...] Meine Warnung, das Sperrgebiet
    zu betreten und meinen Hinweis, daß jeder, der den getroffenen Anweisungen
    nicht folgt, sein Leben aufs Spiel setzt, haben verschiedene Personen
    mißachtet und sind dabei zu Schaden gekommen... Von welcher Seite der
    tödliche Schuß abgefeuert worden ist, konnte nicht festgestellt werden
    [...]" 13. Mai: Dresden, den 13. Mai 1929. Beschluß. In der Strafsache gegen den unbekannten
    Verfasser der Druckschrift "Blutige Maitage in Berlin" von Werner
    Hirsch, Internationaler Arbeiterverlag, Berlin, wegen Hochverrats,
    Gefährdung des öffentlichen Friedens, wird hiermit auf Antrag der
    Staatsanwaltschaft Dresden die Beschlagnahme der vorbezeichneten
    Druckschrift verfügt. Nach dem Inhalt der erwähnten Druckschrift,
    deren entgeltliche bezw. unentgeltliche Verteilung begonnen hat, wird mehr
    oder weniger versteckt zur gewaltsamen Änderung der Verfassung des
    Deutschen Reiches aufgefordert und es werden in einer, den öffentlichen
    Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu
    Gewalttätigkeiten gegeneinander öffentlich angereizt. So heißt es u. a. Blatt 27: "Zörgiebel handelte im Auftrage der
    Sozialdemokratie. Das Verbrechen Zörgiebels war nicht das Verbrechen eines
    einzelnen Mannes. So sehr gerade dieser Mann, der, gleich Noske, den Typ
    des ehemaligen preußischen Feldwebels zu repräsentieren scheint, für seine
    Rolle als Bluthund alle notwendigen Eigenschaften mitbrachte, die skrupellose
    Brutalität wie die dumpfe, bornierte Rohheit, so wenig ist das Problem des
    vergossenen Arbeiterblutes dieser Berliner Maitage lediglich ein Problem
    Zörgiebel." Blatt 28: "Die SPD wollte das Blutvergießen." Blatt 29: "Die KPD. und der bewaffnete Aufstand.
    Die Kommunisten haben es nicht nötig, mit ihren Absichten und Plänen
    Versteck zu spielen. Die Kommunistische Partei ist eine revolutionäre
    Partei, und sie macht kein Hehl daraus, daß ihr Ziel der Umsturz der
    kapitalistischen Ordnung und die Errichtung der proletarischen Diktatur als
    Vorbedingung für den Sozialismus ist." Verbrechen nach § 81 Ziffer 2
    RStGB. und § 86 RStGB. Hierdurch und weil die Druckschrift als
    Beweismittel für das begangene Verbrechen bezw. Vergehen dient und der
    Einziehung unterliegt, rechtfertigt sich die verfügte Beschlagnahme.
    (§§ 94, 98 RStGB.) Das Amtsgericht Dresden, Abt. V. gez. Busch. |   |    
  
   
    | Verbot Rote
    Fahne, 26. Mai 1929[9] |    
  
   
    | • | 26 Mai 1929. Der Polizeipräsident Abteilung I A Tgb.‑Nr, 458 IA 1/29 An die Redaktion "Die Rote Fahne" Berlin C 25 Kleine Alexanderstraße 28 Anliegend überreiche ich beglaubigte
    Abschrift des heute an den Verlag und die Redaktion "Die Rote
    Fahne" abgesandten Schreibens von heute zur Kenntnis und Beachtung. gez. Zörgiebel. beglaubigt: Peters Pol.-Kzl.-Assistent (Stempel) Hiermit verbiete ich auf Grund § 7 und
    § 21 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922
    (Reichsgesetzblatt S. 585) die Zeitung "Die Rote Fahne"
    nebst ihren Kopfblättern "Das Volksecho" und die "Volkswacht"
    auf die Dauer von 4 Wochen bis einschließlich 22. Juni 1929. Das
    Verbot umfaßt auch jede angeblich neue Druckschrift, die sich sachlich als
    die alte darstellt. Gegen diese Verfügung ist die Beschwerde binnen zwei
    Wochen vom Tage der Zustellung ab zulässig. Die Beschwerde ist unter
    Beifügung zweier Abschriften der Beschwerdeschrift bei mir einzulegen. Gründe: In Nr. 104 der "Roten Fahne"
    vom 25. Mai 1929 wird in dem Artikel "Moskau ist schuld?" in
    dem Absatz "Erlaubt oder verboten ‑ der Kampf wird
    fortgesetzt" folgendes ausgeführt: "Die Kommunistische Partei und das
    revolutionäre Proletariat sind aus den Kämpfen des 1. Mai gestärkt
    hervorgegangen. Sie haben sich zu einer Entscheidungsschlacht nicht
    provozieren lassen, aber sie haben den Kampf aufgenommen und werden ihn mit
    allen Mitteln, ob erlaubt oder verboten, fortsetzen. Die Kommunistische
    Partei als Avantgarde der ausgebeuteten und unterdrückten Massen, erklärt
    in aller Offenheit, daß die Zörgiebel-Morde vom 1. bis 3. Mai
    eine neue Etappe des Klassenkampfes einleiten, in welcher die
    rücksichtslose Brutalität des Sozialfaschismus, der im Dienste des von der
    Geschichte zum Tode verurteilten kapitalistischen Systems handelt, auf die
    eiserne Entschlossenheit und Opferwilligkeit der Arbeiterklasse stoßen
    wird. Sie verkündet laut und offen, daß der gewaltsame Sturz des
    bürgerlichen Staates allein allen Schrecken des kapitalistischen Regimes,
    der Ausbeutung der Millionen Massen und den Greueln des herannahenden
    imperialistischen Krieges ein Ende setzen kann." In der gleichen Nummer heißt es in dem
    Artikel "Die Wahrheit über den Berliner Blut-Mai", in dem Absatz "Die
    Berliner Arbeiter demonstrieren": "In Wirklichkeit war es gerade die
    heroische Kampfdisziplin, die unbeirrbare Standhaftigkeit der
    Arbeitermassen, die dem 1. Mai trotz des Polizeiterrors sein Gesicht
    gab. Die Polizei wütete, schlug, spritzte aus Hydranten ‑ die
    Masse blieb. Die Polizeikordons trieben die angesammelten Arbeiter und
    Arbeiterfrauen mit der Brutalität sadistischer Kosaken von irgendeinem
    Platz herunter, ritten zu Pferde in die Menge hinein ‑ Minuten
    später standen die Massen von neuem, hielten von neuem die Straße besetzt.
    Der Heroismus der Berliner Arbeiterschaft feierte an diesem 1. Mai
    einen überwältigenden Triumph!" Diese Ausführungen enthalten eine Verherrlichung
    des Widerstandes der Berliner Arbeiter gegen die vom Polizeipräsidium
    erlassenen Verordnungen. Sie sind eine folgerichtige Fortsetzung der von
    der Kommunistischen Partei vor dem 1. Mai in der "Roten
    Fahne" und anderwärts immer wieder erhobenen Forderungen, sich dem
    Demonstrationsverbot vom 13. 12. 1929 keinesfalls zu fügen, es
    vielmehr mit Gewalt zu brechen. Durch derartige Forderungen ist dargetan,
    daß die Kommunistische Partei eine staatsfeindliche Organisation im Sinne
    des § 129 StGB. ist, weil es zu ihren Zwecken oder Beschäftigungen
    gehört, Maßregeln der Verwaltung durch ungesetzliche Mittel, nämlich durch
    Gewalt, zu verhindern oder zu entkräften. Die Ausführungen, daß es nur auf
    gewaltsamem Wege möglich sei, allen Schrecken des kapitalistischen Regimes,
    der Ausbeutung der Millionen Massen und den Greueln des herannahenden
    imperialistischen Krieges ein Ende zu setzen, dienen der Untergrabung der
    verfassungsmäßig festgestellten republikanischen Staatsform, und darüber
    hinaus der Vorbereitung des gewaltsamen Umsturzes der Verfassung. Indem die
    "Rote Fahne" derartige Ausführungen der Kommunistischen Partei
    als deren Zentralorgan (vergleiche den Kopf des Blattes) in ihren Spalten
    veröffentlicht, unterstützt sie das Bestreben der staatsfeindlichen
    Organisation, der KPD., durch die Tat. Hiernach sind die Voraussetzungen
    der §§ 7 und 21 des Republikschutzgesetzes erfüllt. Das Verbot
    ist somit gerechtfertigt. Für die Verbotsdauer war das Höchstmaß
    festzusetzen, weil die Zeitung aus gleichem Anlaß erst vom 2. bis 23. Mai
    1929 verboten war und trotzdem ihre Schreibweise fortgesetzt hat. gez. Zörgiebel. (Stempel des Polizeipräsidenten)
    Beglaubigt: (unleserlich) |   |      
  
   
    | Otto Wels, Mai 1929 (Auszüge)[10] |    
  
   
    | • | Wels (Berlin): Parteigenossinnen und
    Parteigenossen! Ich danke zunächst den Magdeburger Parteigenossen für die
    freundlichen Worte der Begrüßung, die soeben an uns gerichtet worden sind.
    Dieser Dank wird aus tiefstem Herzen auf die vielen Zehntausende von Genossinnen
    und Genossen, von allen Dingen auch auf die Jugend übertragen, die uns in
    den vergangenen Stunden ein unvergeßliches Erlebnis bereitet hat. (Bravo
    und Händeklatschen.) Dieses an Zahl, an Geist, an Disziplin und
    Geschlossenheit, an Rhythmus und Farbe so prächtige Bild einer
    sozialdemokratischen Heerschau im Innern Deutschlands ist nicht nur ein
    erhebendes Zeugnis der Lebenskraft unsrer Bewegung, es ist zugleich die
    lebendige Bekräftigung folgender Worte: "Wir dürfen wohl sagen, daß
    heute die Blicke aller auf Magdeburg gerichtet sind, und zwar nicht nur die
    Blicke des Proletariats, sondern auch die Blicke der Gegner, die da hoffen,
    daß Zustände eintreten können, wo sich die Genossen gegenseitig
    zerfleischen. Die Gegner glauben, daß solche Zeiten wiederkommen können und
    sie warten darauf. Sie warten darauf, weil sie wissen, daß das einst so
    geknechtete und unterdrückte Proletariat allmählich der bedeutendste Faktor
    im politischen Leben geworden ist. Das Proletariat hat sich eine Stellung
    auf der politischen Bühne erobert, daß alle andern Klassen mit Furcht und
    Schrecken auf seine Weiterentwicklung sehen. Darum warten sie darauf, daß
    durch gegenseitige Zerfleischung oder sonstwie ein Rückgang in der
    Arbeiterbewegung stattfindet." Diese wahrhaft prophetischen Worte sind der
    Begrüßungsrede entnommen, die Hermann Molkenbuhr im Jahre 1910 im Auftrag
    des Parteivorstandes an den Parteitag zu Magdeburg richtete. Heute ist die Sozialdemokratische Partei in
    Wahrheit der stärkste Faktor im Staatsleben Deutschlands geworden. Die
    Stellung der Arbeiterschaft im Staat und ihre Stellung zum Staate hat eine
    Änderung erfahren. Die politische Demokratie ist errungen. Ist auch die
    Arbeiterklasse heute noch durch die Zerfleischungsmethode eines Teiles
    ihrer selbst in ihrer Wirkung geschwächt, trotzdem aber marschiert die
    Sozialdemokratie vorwärts. Mit dem Aufstieg der Sozialdemokratie wächst die
    Gesamtmacht der Arbeiterklasse. Der Aufstieg der Partei gerade nach dem
    Kieler Parteitag hat seinen Ausdruck in der erfreulichen Entwicklung der
    Organisation, in der Zunahme der Mitgliedschaften, in der Belebung des
    innerparteilichen Lebens und der Zunahme der Geschlossenheit gefunden,
    trotz aller Meinungsverschiedenheiten in der Partei, in der Belebung der
    kulturellen und Bildungsarbeit, in der wachsenden Anziehungskraft der
    Jugend von den Roten Falken angefangen, während wir sehen, daß die
    kommunistische Jugendbewegung vollkommen daniederliegt. Dieser Parteitag in Magdeburg unterscheidet
    sich nicht unwesentlich von dem letzten Parteitag vor zwei Jahren in Kiel.
    Die Partei als solche ist in ihrem Geist, in ihrem Ziel und in ihrer
    Führung dieselbe geblieben. Wir zählen heute rund 114 000 Mitglieder
    mehr, die Zahl unsrer Zeitungen hat sich um 5 gesteigert. Aber
    grundverschieden ist die politische Situation. Aus der stärksten
    Oppositionspartei sind wir nach dem klar ausgesprochenen Willen von mehr
    als einem Drittel des deutschen Volkes, der deutschen Wähler zur stärksten
    Regierungspartei geworden. Durch diesen Erfolg ist die Situation geschaffen,
    in der wir uns seitdem befinden, die uns vor neue Aufgaben stellt. Unser
    Streben, unser Kampf, ob in der Opposition oder in der Regierung, gilt
    unverändert der Verteidigung, der Förderung der Interessen der arbeitenden
    Massen Deutschlands, gilt unverändert dem Sozialismus. (Bravo und
    Händeklatschen.) Unser Aufstieg berechtigt uns zu dem höchsten und
    stärksten Optimismus. Er kann für uns aber nur eine Quelle zu noch höherer
    Energieentfaltung sein, der Energie, die wir brauchen, um der
    Schwierigkeiten Herr zu werden, die uns unsre gegenwärtige Lage bringt. In der Regierung sind unsre Mittel und Wege
    des Kampfes selbstverständlich anders als in der Opposition. Für alle
    Parteien in allen Ländern gilt die Regel, daß die Verantwortung in der
    Regierung eine Belastung besonders in agitatorischer Hinsicht bedeutet. Das
    gilt besonders für uns in Deutschland 10 Jahre nach dem verlorenen
    Kriege, 10 Jahre nach dem Vertrag von Versailles in dem Stadium des
    Wiederaufbaues unsers wirtschaftlichen Lebens. So große Fortschritte seit
    1919 auf allen Gebieten der Wirtschaft und Politik auch erzielt wurden, wir
    fühlen das gerade jetzt angesichts der wechselvollen Verhandlungen in
    Paris, daß wir noch weit davon entfernt sind, uns in unsern Entschlüssen
    frei zu fühlen. Teilen auch die europäischen Siegerstaaten im Weltkrieg die
    finanzielle Abhängigkeit vom amerikanischen Gläubiger mit uns, so fühlen
    wir als die Besiegten im Weltkrieg diese Unfreiheit doch in besonderm Maße.
    Wir müssen mit der Tatsache rechnen, die durch keinen Parteibeschluß aus
    der Welt geschafft werden kann, daß ein erheblicher Teil der Arbeit und der
    Produktion des deutschen Volkes nicht dem Gemeinwohl des eignen Landes
    dienen kann, sondern noch Jahrzehnte hindurch den Reparationsgläubigern
    zufließen wird. Ihre Beseitigung kann nur international durch das Wirken
    der sozialistischen Internationale erfolgen, die in gemeinsamem Wirken die
    Streichung aller Kriegsschulden in bewußtem Gegensatz zu den
    kapitalistischen Parteien in ihren Ländern zu einer programmatischen
    Forderung erhoben hat. Wir denken dabei an die Vierländerkonferenz, die
    erst im Februar dieses Jahres die sozialistischen Parteien Englands,
    Belgiens, Frankreichs und Deutschlands zur Besprechung der
    Reparationsfragen in London zusammenführte. Unsre heißesten Wünsche
    begleiten gerade am heutigen Tage unsre belgischen Freunde in ihrem heute
    durchzufechtenden Wahlkampf und unsre englischen Freunde in dem Kampfe, den
    sie im Laufe dieses Parteitages noch ausfechten. (Bravo! und
    Händeklatschen.) Der Sieg der britischen Arbeiterpartei, den
    die gesamte für Frieden und Fortschritt kämpfende Welt erhoffen muß, wäre
    eins der bedeutungsvollsten und der glücklichsten Ereignisse der
    Nachkriegszeit. Denn die fast fünfjährige konservative Herrschaft Englands
    ist eine der Hauptursachen der außenpolitischen Stagnation und der
    reaktionär-faschistischen Teilerfolge in Europa. Die Torry-Regierung war
    bisher eins der Haupthindernisse auf dem Wege zur Abrüstung, zum wirklichen
    Frieden und jener außenpolitischen Ziele, für die die deutsche
    Sozialdemokratie mit der gesamten sozialistischen Internationale
    einträchtig zusammenwirkte. Der Erfolg der Arbeiterklasse in einem Lande
    ist der Erfolg der Arbeiterklasse in aller Welt, und die Niederlage der
    Arbeiter in einem Lande erfolgt zu Lasten des gesamten Proletariats. (Sehr
    richtig!) Darum lehnen wir Sozialdemokraten auch die kommunistische
    Auffassung ab, als ob eine Reihe von Niederlagen dem großen endgültigen
    Siege des Sozialismus vorangehen müsse und ihn nur wirksam vorbereiten könne.
    Nein, wir glauben an die Entwicklung, die von Erfolg zu Erfolg zum
    endgültigen Siege führen muß. (Bravo! und Händeklatschen.) Ich hoffe, daß
    wir noch während der Tagung des Parteitages Siegesnachrichten aus Belgien
    und England entgegennehmen können, wie wir uns des prachtvollen Wahlsteges
    unsrer dänischen Parteigenossen freuen konnten. (Bravo! und
    Händeklatschen.) Wir wissen, die Übernahme der Regierung
    gemeinsam mit andern Parteien schränkt uns in unsrer Handlungsfreiheit
    stärker ein, aber wir wissen auch, daß das nicht nur für unsre Partei
    zutrifft, sondern daß das Zusammenwirken mit andern Parteien der Regierung dieses
    mit sich bringt, und daß es den Vorteil für uns in sich schließt, daß auch
    andre große Parteien mit uns zusammen die Last der Verantwortung für die
    Geschicke des Volkes tragen müssen, daß also auch sie und nicht wir allein
    in unsrer Agitation gehemmt sind. Das war für uns nichts Neues und doch
    haben wir es immer betont. Es gibt niemand unter uns, der nicht lieber eine
    sozialistische Regierungsbildung begrüßen würde als den Zwang für die
    Partei, eine Regierungsbildung einzugehen. Aber heute steht die Frage in
    der Tat nicht so für uns, ob wir gern oder ungern regieren, ob wir gern
    oder ungern eine Koalition in fester oder in loser Form eingehen. Die
    politische, parlamentarische, wirtschaftliche und soziale Struktur
    Deutschlands ist gegenwärtig so, daß die Frage, was wir vorziehen, ganz
    sekundär geworden ist. Im Vordergrund steht dagegen die Frage, was wir tun
    müssen. Schon in die Freude über den Wahlerfolg vom
    20. Mai mischte sich für uns die Sorge um die Zukunft. Jeder von uns wußte,
    daß eine Zeit anbrechen würde, in der es an Belastungen und Enttäuschungen
    für uns nicht fehlen würde. Denn die Anspannung der wirtschaftlichen Lage,
    insbesondere durch die dauernde Arbeitslosigkeit einerseits und aus der
    schon früher geschaffenen, jetzt besonders offen zutage tretenden Finanznot
    im Reich, war das bezeichnendste der allgemeinen politischen Situation, wie
    sie sich insbesondere nach den Wahlen gestaltet hat. Die Schwankungen der
    Konjunktur, die Wellen des Aufstiegs, des krisenhaften Zustandes oder der
    schleichenden Depression der Wirtschaft sind zwar mit der kapitalistischen
    Wirtschaftsweise untrennbar verbunden, in Deutschland aber sind all die
    geschilderten Lasten des verlornen Krieges, die Pflichten der Reparationen,
    die Belastung der Reichsfinanzen durch die Unterstützung der
    Kriegsinvaliden und auch die dringliche Aufgabe, das Schicksal der
    Erwerbslosen zu mildern, noch hinzugetreten und haben die Belastung für uns
    ganz außerordentlich erhöht. Wir täuschen uns keinen Augenblick darüber:
    die bürgerlichen Parteien, mit denen wir uns im Koalitionsverhältnis
    befinden, haben kein Interesse an politischen und wirtschaftlichen Erfolgen
    der Sozialdemokratischen Partei an sich, also auch nicht an dem Erfolg
    einer sozialdemokratisch geführten Regierung. Wir befinden uns auch in der
    Koalition in einem schweren Abwehrkampf. Denn es wurde und wird noch immer
    versucht, auch aus den Kreisen der Parteien, mit denen wir in der Regierung
    zusammen sind, die schwierige Finanzlage zu einem generellen Ansturm gegen
    die Sozialpolitik und vor allem gegen die Arbeitslosenversicherung zu
    führen. Wir Sozialdemokraten sehen in der
    Arbeitslosenversicherung nicht nur die Unterstützung der wirtschaftlich
    Schwächsten, der Arbeitslosen, wir sehen in ihr auch für die in
    Beschäftigung befindlichen Arbeiter eine Sicherung gegen Lohndruck, ein
    Mittel zur Hebung der Löhne und der Kaufkraft der breiten Massen des
    Volkes. Die gezahlten Arbeitslosen-Unterstützungsbeiträge sind nicht in die
    Sparkasse geflossen. Sie wanderten restlos zum Bäcker, zum Fleischer, zum
    Krämer, in die Hände des die Arbeitslosenversicherung durch die
    Wirtschaftspartei mit geradezu fanatischem Haß kämpfenden Mittelstandes und
    durch diesen wiederum in den Kreislauf der deutschen Wirtschaft. Die
    Arbeitslosenversicherung ist deshalb eine Angelegenheit, die nicht nur die
    Arbeitslosen, sondern die gesamte werktätige Bevölkerung angeht. Die Arbeitslosenversicherung ist eine der
    wichtigsten Errungenschaften des deutschen Proletariats in der
    Nachkriegszeit. Wenn heute die bürgerlichen Parteien, um diese
    Errungenschaft leichter aushöhlen zu können, auf den Egoismus und die
    Kurzsichtigkeit solcher Schichten der Arbeiterschaft spekulieren, die
    gegenwärtig scheinbar nur die Lasten, aber nicht die Vorteile dieser
    Institution tragen, so antworten wir: In der kapitalistischen Gesellschaft
    ist keiner, wer er auch sei, vor den Rückwirkungen einer Wirtschaftskrise
    gesichert. Die Arbeitslosenversicherung kann daher morgen oder übermorgen
    jedem kommen, auch dem, der sich heute in der trügerischen Sicherheit einer
    ungefährdeten wirtschaftlichen Existenz wiegt. Die Sozialdemokratie wird deshalb, ob in
    der Opposition oder in der Regierung, für gesunde Umgestaltung der
    wirtschaftlichen Verhältnisse kämpfen. Sie schließt sich der
    freigewerkschaftlichen Forderung nach Demokratisierung der Wirtschaft, die
    in ihrer Vollendung nichts andres als der Sozialismus sein kann, vollauf
    an. Sie kämpft für den weitern Ausbau der Sozialpolitik und des
    Arbeitsrechts, das sich zum Recht aller Arbeitenden gestalten muß. Sie kämpft
    um eine soziale Verteilung der Lasten, damit die finanziellen Bedürfnisse
    des Reiches, der Länder und der Kommunen nicht einseitig auf Kosten der breiten
    Massen befriedigt werden. Nur wer politisch blind ist, kann
    verkennen, daß es der Sozialdemokratie auch unter den gegenwärtigen
    schwierigen Verhältnissen gelungen ist, nicht nur Angriffe zugunsten der
    sozial Schwächeren abzuwehren, sondern auch eine Reihe von Fortschritten zu
    erringen, die unter dem Bürgerblock sicher nicht eingetreten wären und über
    die Reichstagsfraktion noch zu reden sein wird. Darüber aber sei von Anfang
    an jeder Zweifel ausgeräumt: An der Arbeitslosenversicherung läßt die
    deutsche Arbeiterschaft, lassen die deutschen Gewerkschaften und läßt die
    Sozialdemokratische Partei nicht rütteln. (Bravo! und Händeklatschen.) Ihre
    Leistungen müssen ausreichen, um einem Versinken des Arbeitslosen in das
    graue Nichts entgegenzuwirken. Sie müssen ihm ein Existenzminimum gewähren,
    ihm den Anspruch sichern, den er gegenüber der Gesellschaft hat. Die
    Sozialdemokratische Partei hat von jeher den Mut zur Unpopularität gehabt.
    Sie wird auch diese Forderung durchsetzen. Unser gegenwärtiger Kampf wird
    von jedem voll verstanden werden, der ihn im Zusammenhang mit der
    allgemeinen politischen Lage zu betrachten vermag. Die Wahlen im Mai 1928 brachten einen
    Wendepunkt in der politischen Entwicklung Deutschlands. Die bürgerlichen
    Parteien waren durch den Mißerfolg des Bürgerblocks auf die Zusammenarbeit
    mit der Sozialdemokratie angewiesen. In der Demokratie braucht jede Partei
    die Wählermassen. Sie sind die Grundlage ihres Wirkens. War die
    Koalitionspolitik für die Sozialdemokratie nach dem Zusammenbruch von 1918
    eine Notwendigkeit, um den Staat überhaupt zu erhalten, um die neue
    Staatsform aufzubauen und die internationale Politik der Versöhnung und
    Verständigung anzubahnen, war die Koalition im Jahre 1923 die einzige
    Rettung aus der Inflationskatastrophe, die nach der Erfüllung ihrer
    dringendsten Aufgaben auseinanderbrechen mußte, so steht heute fest: Die Bürgerblockpolitik
    bewirkte im Mai 1928 die Flucht der Massen aus den bürgerlichen Parteien.
    Die Rücksicht auf die Massen Hwang die bürgerlichen Parteien zur Koalition
    mit der Sozialdemokratie. Dabei täuschen wir uns nicht darüber, daß das
    Unbehagen in weiten Kreisen des Bürgertums über die Koalition mit der
    Sozialdemokratie stark und stärker wird. Aber aus diesem Unbehagen sehen wir auch
    all die Erscheinungen entstehen, die von mancher Seite als Krise des
    Parlamentarismus bezeichnet werden. Wir sind uns ja darüber klar: sie
    entstehen nicht, so sehr aus dem Wesen des demokratisch-parlamentarischen
    Systems selbst, sondern daraus, daß man den demokratischen
    Parlamentarismus, in dem die Macht der Sozialdemokratie wächst, lahmlegen
    will. Aus diesem Bestreben heraus entsteht immer wieder der Ruf nach dem
    starken Mann, und daher spukt auch heute wieder in manchen Kreisen von
    neuem der Gedanke von einem Triumvirat, der in den Zeiten der Bürgerbräu-Revolution
    des Jahres 1923 schon einmal eine Rolle spielte. So ist für uns Sozialdemokraten die
    Koalitionspolitik nur eine neue Form des schwierigen Kampfes um die
    Demokratie, um ihren Ausbau, um die Durchsetzung unsrer Ziele geworden, und
    von diesem großen Gesichtspunkt aus muß der Parteitag hier in Magdeburg
    auch die gegenwärtigen Probleme der Politik unsrer Parte! betrachten und
    ihre Aufgaben für die Zukunft bestimmen. Hier gilt das Wort Hilferdings von
    Kiel: wir sollten aufhören, die Koalitionspolitik als eine Art
    Suspendierung des Klassenkampfes, als eine Art des politischen Friedens zu
    betrachten! Es ist nicht zu leugnen, daß das
    parlamentarische Regime eine schwierige Zeit durchmacht. In großen Ländern
    ist es durch ein System der Diktatur ersetzt, sei es die faschistische oder
    die bolschewistische. Da gilt es für uns in Deutschland, ganz besonders
    verantwortungsbewußt zu handeln. Es gilt besonders für uns in Deutschland,
    wo das demokratische Regime noch jung ist und durch die wachsende Parteienzersplitterung
    belastet wird. Wir konnten uns der Mitarbeit in der
    Regierung nicht versagen, denn sonst wäre eine parlamentarische Regierung
    überhaupt nicht zustande gekommen. Die Deutschnationalen hatten einstweilen
    genug vom Regieren, und das Zentrum hatte genug vom Bürgerblock. Sollten
    wir nun dazu beitragen, daß in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes,
    auch in der Arbeiterschaft das Nichtzustandekommen der Regierung als ein
    Schiffbruch der demokratischen Republik empfunden werden mußte? Wenn als
    Ausweg etwa ein Beamtenkabinett ernannt worden wäre? Parteigenossen, denkt
    daran, welch einen ungeheuern Antrieb ihr damit dem Gedanken der Diktatur
    in Deutschland und in der ganzen Welt gegeben hättet. Nein, es ist unsre Aufgabe, die Demokratie
    zu stärken und die Republik zu schützen. Gelänge es den Feinden der
    Republik, der Demokratie in Deutschland so schweren Schaden zuzufügen, daß
    einmal kein anderer Ausweg bliebe als Diktatur dann, Parteigenossen, sollen
    Stahlhelm, sollen Nationalsozialisten, sollen ihre kommunistischen Brüder
    von Moskau das eine wissen: die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften als
    die Vertreter der großen Masse des deutschen Volkes, festgefügt in ihren
    Organisationen, in verantwortungsbewußtem Handeln und in unzerbrechlicher
    Disziplin, würden auch trotz ihrer demokratischen Grundeinstellung die
    Diktatur zu handhaben wissen. (Lebhafter Beifall.) Das Recht auf Diktatur fiele ihnen allein
    zu, niemand anderm, und bei ihnen wäre allein auch die Garantie für eine
    Rückkehr zur Demokratie nach Überwindung von Schwierigkeiten, die wir nicht
    wünschen, gegeben. Allen Desperados aber, wo sie auch sitzen mögen, sei es
    mit aller Deutlichkeit gesagt ‑ und, Parteigenossen, dafür wird
    die Sachlichkeit und die Kameradschaftlichkeit der Auseinandersetzungen auf
    diesem Parteitag sorgen ‑ , daß an der Geschlossenheit der
    Sozialdemokratie im Kampfe für diesen Staat und um diese Republik kein
    Zweifel aufkommt. (Bravo!) Wohl stehen Fragen zur Debatte, über deren
    Beurteilung die Meinungen auseinandergehen. Aber gerade deshalb werden wir
    beweisen, daß wir als Parteigenossen unsre gegenseitigen Ansichten
    auszufechten wissen, und wir werden damit ein für unsre Anhänger
    leuchtendes und ermutigendes, für unsre Gegner aber beschämendes und
    beneidenswertes Beispiel geben. Denn wo wir auch hinsehen, nach rechts und
    links, es ist überall dasselbe Bild: Rechts von uns in der
    Deutschnationalen Partei der Kampf zwischen Hugenberg und Westarp um die
    Führung der Deutschnationalen hat längst aufgehört, sich hinter den
    Kulissen dieser Partei abzuspielen. Heute ist die Welt Zeuge des
    ergötzlichen Schauspiels, wie sich die proletarischen Elemente im
    nationalistischen Lager, die Lambach, Hülser usw., die Gewerkschafts- und
    Angestelltenführer um den feudalen Grafen Westarp scharen müssen im Kampfe
    gegen die plutokratische Parteidiktatur des politischen Parvenüs Hugenberg. Wir sind auch nicht blind dafür, daß ein
    Teil der demokratischen Presse im politischen Teile zuweilen mit dem
    intellektuellen Linksradikalismus lieb- äugelt und im Handelsteil den
    veraltetsten Wirtschaftslehren des 19. Jahrhunderts huldigt. (Lebhafte
    Zustimmung.) Wir sehen die Kommunisten von innern
    Zerwürfnissen und Rivalitäten zerfressen. Keiner traut mehr dem andern. Jeder
    fürchtet, daß er morgen in Ungnade bei jenem Allmächtigen fallen könnte,
    der im Augenblick zufällig das Vertrauen der Moskauer Oberinstanz genießt.
    Die wenigen, die sich nicht fügen und es ablehnen, sich selbst ins Gesicht
    zu spucken, werben über Nacht als Renegaten, Konterrevolutionäre und
    Verräter über Bord geworfen. Fürwahr, Moskau hat es weit gebracht! Der
    Sozialismus asiaticus hat zwar die Befreiung der Kulis auf sein Programm
    geschrieben, in Schanghai und Kanton Tausende in aussichtslose
    Putschabenteuer und in den Tod gehetzt, dafür in Europa Menschen, die sich
    Arbeiterführer nennen, zu politischen Kulis gemacht, die sich innerhalb der
    kommunistischen Internationale aus dieser moralischen Knechtschaft niemals
    befreien werden. (Bravo l) Selbstbewußtsein und Würde, das ist eines
    der vielen Kennzeichen, die unsre Partei von den Kommunisten unterscheiden
    muß. Selbstbewußtsein und Würde werden auch die Merkmale dieses Magdeburger
    Parteitags sein, obwohl Fragen auf ihm zur Debatte stehen, die manchem von
    uns seit einem Jahre manch bittere Stunde bereitet haben. [...] |   |    
  
   
    | Verordnung
    Wilhelm Groener, 19. November 1929 (Auszüge)[11] |    
  
   
    | • | Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die
    NSDAP auf die Zersetzung der Wehrmacht hinarbeitet. Unter dem Deckmantel
    des “Nationalen” arbeitet diese Partei bewußt gegen den Staat und seine
    Regierung und versucht das Machtmittel des Staates, die Wehrmacht, zu
    untergraben, um bei gegebener Zeit ihre hochverräterischen Pläne um so
    leichter durchführen zu können [...] Die loyale, überparteiliche
    Pflichterfüllung der Reichswehr im Rahmen der Verfassung wird von Hitler
    als Charakterlosigkeit bezeichnet [...] Mit dem Eide, den die Angehörigen
    der Wehrmacht auf die Verfassung abgelegt haben, ist es unvereinbar, wenn
    sie mit einer Partei sympathisieren, die sich den Sturz dieser Verfassung
    zum Ziele gesetzt hat. Für derartige Soldaten ist in den Reihen der Wehrmacht
    kein Platz! Wer glaubt, nicht über den Parteien bleiben zu können [...] hat
    seine Entlassung zu erbitten. Sie ist zu bewilligen [...] |   |      |   |