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Fakten & Daten  >  Deutschland 1918‑1939  >  1.‑9. November 1918

 

 

 

Geschrieben: Januar 2013

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1918 (1.‑9. November)

 

Aufruf des Parteivorstands der SPD, 4. November 1918 [1]

 

Arbeiter! Parteigenossen!

Durch unterschriftlose Flugblätter und durch Agitation von Mund zu Mund ist an Euch die Aufforderung ergangen, in den nächsten Tagen die Betriebe zu verlassen und auf die Straße zu gehen.

Wir raten Euch dringend, dieser Aufforderung nicht zu folgen.

Wie Ihr alle wißt, befindet sich die sozialdemokratische Partei im Zuge einer sehr wichtigen Aktion. Sie hat einige Genossen in die Regierung entsandt, damit diese schleunigst Frieden schließe und im Innern alle bürgerlichen Freiheiten herstelle, deren die Arbeiterklasse zu ihrer weiteren Entwicklung bedarf.

Seit dem Eintritt unserer Genossen in die Regierung hat diese an die Gegner ein Angebot gerichtet,

das in kürzester Zeit zu Waffenstillstand und Frieden führen muß;

das gleiche Wahlrecht in Preußen durchgesetzt;

dem Reichstag die Stellung der eigentlichen Zentralgewalt im Reiche verschafft und das persönliche Regiment beseitigt;

die Unterstellung der Militärgewalt unter die Zivilgewalt durchge­führt und damit den Militarismus des stärksten Rückhalts beraubt;

die Preß- und Versammlungsfreiheit erweitert; Liebknecht und viele andere aus dem Gefängnis befreit.

Dies alles genügt uns nicht. Wir arbeiten weiter, um kriegshetzerische Strömungen zu bekämpfen und die Demokratisierung Deutschlands bis aufs Letzte durchzuführen.

Wie Ihr alle aus den Zeitungen wißt, hat Genosse Scheidemann im Einvernehmen mit der Partei dem Reichskanzler empfohlen, er möge dem Kaiser raten, zurückzutreten. Über diese Frage schweben in diesem Augenblick noch wichtige Verhandlungen.

Arbeiter, Parteigenossen!

Wir fordern Euch auf, diese Verhandlungen nicht durch unbesonnenes Dazwischentreten zu durchkreuzen. Wir stehen vor den schwersten Entscheidungen, jeden Tag können wir in die Lage kommen, Euch auffordern zu müssen, daß Ihr Euer Wort in die Waagschale der Entscheidung werfen mögt. Jetzt gilt es aber, ruhig Blut und Disziplin zu wahren und sich von keinerlei Verwirrungsparolen einfangen zu lassen.

Je geschlossener Ihr unsere Aktion unterstützt, desto früher werden alle militärischen Einziehungen und sonstigen Maßnahmen, die Euch beunruhigen, wieder rückgängig gemacht werden, desto sicherer werden wir rasch zu einem dauernden Frieden gelangen, desto ohn­mächtiger werden alle Versuche der Reaktion bleiben, sich wieder in den Sattel zu setzen. Aus unbesonnenen Streichen kann einzelnen von Euch und der Gesamtheit nur namenloses Unglück erwachsen. Aktio­nen, die Erfolg versprechen, müssen von der Gesamtheit der Arbeiterschaft getragen sein. Für solche ist aber jetzt der Augenblick nicht da. Folgt darum keiner Parole, die von einer unverantwortlichen Minderheit ausgegeben wird!

 

 

Die 14 Kieler Punkte, 4. November 1918[2]

 

1    Freilassung sämtlicher Inhaftierten und politischen Gefangenen.

2.   Vollständige Rede- und Pressefreiheit.

3.   Aufhebung der Briefzensur.

4.   Sachgemäße Behandlung der Mannschaften durch Vorgesetzte.

5.   Straffreie Rückkehr sämtlicher Kameraden an Bord und in die Kasernen.

6.   Die Ausfahrt der Flotte hat unter allen Umständen zu unterbleiben.

7.   Jegliche Schutzmaßnahmen mit Blutvergießen haben zu unterbleiben.

8.   Zurückziehung sämtlicher nicht zur Garnison gehöriger Truppen.

9.   Alle Maßnahmen zum Schutze des Privateigentums werden sofort vom Soldatenrat festgesetzt.

10. Es gibt außer Dienst keine Vorgesetzten mehr.

11. Unbeschränkte persönliche Freiheit jedes Mannes von Beendigung des Dienstes bis zum Beginn des nächsten Dienstes.

12. Offiziere, die sich mit den Maßnahmen des jetzt bestehenden Soldatenrates einverstanden erklären, begrüßen wir in unserer Mitte. Alles Übrige hat ohne Anspruch auf Versorgung den Dienst zu quittieren.

13. Jeder Angehörige des Soldatenrates ist von jeglichem Dienste zu befreien.

14. Sämtliche in Zukunft zu treffenden Maßnahmen sind nur mit Zustimmung des Soldatenrates zu treffen.

 

 

5. November

 

G. Noske [3]:

Entweder von Artelt oder dem Kieler Gewerkschaftsleiter Garbe ward mir der Vorschlag gemacht, die Leitung der Geschäfte vorläufig zu übernehmen. Zu 1 Uhr mittags war wieder eine große Demonstrationsversammlung auf dem Wilhelmsplatz angesagt, in der Bericht erstattet werden sollte. Kurz vorher setzte ein heftiger Regen ein, den ich deswegen begrüßte, weil zu erwarten war, daß er eine ganze Anzahl von Leuten von der Straße vertreiben würde. Ich erinnerte mich, irgendwo gelesen zu haben, daß eine Revolution noch in den seltensten Fällen gemacht worden sei, wenn die Leute einen Regenschirm brauchten. Der Zuzug zum Wilhelmsplatz war aber ungeheuer, trotz der schlechten Witterung. Der weite Platz war mit Tausenden und Abertausenden von Blaujacken bedeckt. Sie kamen aus den verschiedenen Kasernen, zum Teil mit Musikkorps und großen roten Fahnen. Mit militärischer Pünktlichkeit ging der Aufzug nicht vonstatten; 1 Uhr war schon vorüber, als noch immer lange Züge heran- rückten. Es regnete aber so stark, daß der Aufenthalt im Freien höchst ungemütlich war. Von einem Wagen herunter wurden deshalb nur kurze Ansprachen gehalten. Ich beschränkte mich auf den Hinweis, daß die Bewegung, an deren Entstehen ich keinen Anteil hätte, von fester Hand geleitet werden müsse.

 

 

 

Philippe Scheidemann (SPD) über die Sitzung der SPD- Fraktion im Reichstag am 6. November 1918 [4]

 

Auch in den sozialdemokratischen Fraktionssitzungen hatte zeitweilig eine Stimmung geherrscht, die mir so unverständlich schien, daß ich fast verzweifelte. Ich hatte in einer der letzten Sitzungen vor dem 9. November über die Vorgänge im Kabinett berichtet und die Ermächtigung zu meinem Rücktritt gefordert, falls der Kaiser bis zum anderen Mittag nicht zurückgetreten sei. Das Kabinett habe nicht den Mut, absolut notwendige Konsequenzen zu ziehen und verzögere Unaufschiebbares. Dafür könne die Fraktion, dafür könne und wolle auch ich die Verantwortung nicht übernehmen. Es müßte unter allen Umständen ein befristetes Ultimatum gestellt werden. Es kam zu einer Aussprache, in der einige Kollegen empfahlen, ein solches kurzbefristetes Ultimatum nicht zu stellen, sonst gehe die Reichstagsmehrheit in die Brüche. Ich war nicht wenig erstaunt über eine derartige Auffassung der Situation und wandte mich sehr entschieden gegen eine Taktik des Zauderns in einer Stunde, in der wir vor den folgenschwersten Entscheidungen der deutschen Geschichte ständen. "Verspürt ihr denn nicht, daß wir unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Reiches stehen ‑ und da wird von einem Zusammenbruch der Reichstagsmehrheit geredet? Jetzt heißt's, sich an die Spitze der Bewegung stellen, sonst gibt es anarchische Zustände im Reich." Das müsse man doch in den Fingerspitzen fühlen, daß die von Kiel und Hamburg ausgehende Bewegung heute, morgen oder übermorgen auch nach Berlin übergreifen werde. Vielleicht sei das Schlimmste noch zu verhüten, wenn der Kaiser sofort abdanke und außer der Amnestie die restlose Demokratisierung des Reichs, der Staaten und der Gemeinden in bindender Form zugesagt werde.

 

 

Unterredung von Vertretern der SPD mit Generalleutnant Wilhelm Groener, 6. November 1918 (Auszüge)[5]

 

Zum Anfang [...] Scheidemann wurde ans Telephon gerufen. [...] Ebert sprach zuerst: "Es sei jetzt nicht Zeit, nach den Schuldigen des allgemeinen Zusammenbruchs zu suchen. Die Stimmung des Volkes schöbe dem Kaiser die Schuld zu, ob mit Recht oder unrecht sei gleichgültig. Die Hauptsache sei, daß das Volk die vermeintlichen Schuldigen von ihren Plätzen entfernt sehen wolle. Daher sei die Abdankung des Kaisers, wenn man den Übergang der Massen in das Lager der Revolutionäre verhindern wolle, notwendig. [...]"

[...] kam Scheidemann zurück, bleich und erregt: "Die Abdankung steht jetzt nicht mehr zur Diskussion, die Revolution marschiert. Die Kieler Matrosen haben auch in Hamburg und Hannover die Staatsgewalt an sich gerissen. Meine Herren, jetzt gilt es nicht mehr zu diskutieren, jetzt heißt es handeln. Wir wissen nicht, ob wir morgen noch auf diesen Stühlen sitzen werden." Ebert blieb unerschütterlich ruhig: "Noch sei nichts entschieden. Im Gegensatz zu den übrigen Herren sei er zwar überzeugter Republikaner, auch in der Praxis, aber mit einer Monarchie mit sozialem Einschlag unter parlamentarischem System werde auch er sich abfinden. Ich rate Ihnen. Herr General. dringend. noch einmal die letzte Gelegenheit zur Rettung der Monarchie zu ergreifen und sogleich beschleunigt die Betrauung eines kaiserlichen Prinzen mit der Regentschaft zu veranlassen."

 

 

Aufruf des Parteivorstands der SPD, 6. November 1918 [6]

 

Arbeiter, Arbeiterinnen !

Das furchtbare Völkermorden geht zu Ende, es kann kein Gedanke daran sein, es noch weiter fortzusetzen. Der Friede kommt. Er stellt die Arbeiterklasse vor die schwersten politischen und wirtschaftlichen Aufgaben. Politisch wird es sich darum handeln. die errungenen demokratischen Freiheiten zu sichern und auszubauen. Diejenigen, die durch ihre unheilvolle Politik das Unglück unseres Volkes verschuldet haben, müssen von ihren Plätzen verschwinden. Die dazu nötigen Schritte sind eingeleitet, sie sollen vor keiner Person haltmachen, so hoch sie auch gestellt sein mag. Wirtschaftlich handelt es sich darum, die Volksernährung sicherzustellen und den Übergang zur Friedenswirtschaft so zu vollziehen, daß niemand verhungern muß. Dazu ist die sorgfältigste Organisation der Arbeitsvermittlung und eine ausreichende Unterstützung der Arbeitslosen notwendig. Diese Aufgaben können aber unmöglich geleistet werden, wenn alles drunter und drüber geht.

Entstehen Unruhen, so wird die jetzt schon unzureichende Volksernährung ganz ins Stocken geraten, die arbeitende Bevölkerung wird dem Hungertode ausgeliefert sein, während die Besitzenden sich immer noch zu behelfen wissen werden. Das ist auch in Rußland so gekommen, und selbst die Gewaltmethoden des Bolschewismus haben daran nichts zu ändern vermocht. Entstehen Unruhen, so werden weiter zahlreiche Betriebe schließen müssen, und es wird nicht möglich sein, das ungeheure Heer der Arbeitslosen zu ernähren. Für die heimströmenden Kameraden aus dem Felde wird keine Arbeit zu finden sein, und sie werden sich auf eigene Faust zu helfen versuchen, wie sie können. Das wird zu neuen inneren Kämpfen Anlaß geben, die weiteres unabsehbares Elend im Gefolge haben werden.

Kann und soll deswegen die Arbeiterklasse auf irgendwelche Forderungen verzichten, die sie im Interesse ihrer künftigen politischen und wirtschaftlichen Freiheit stellen muh? Wir sagen nein! Lieber würde sie auch die härtesten Folgen für sich selber auf sich nehmen! Die ungeheuren Opfer, die das arbeitende Volt in diesem Kriege gebracht hat, berechtigen es zu weitgebenden Forderungen. Die Demokratie ist auf dem Marsche und nicht mehr aufzuhalten. Ihr Sieg schafft die Vorbedingungen zur Verwirklichung des Sozialismus. Aber dieser gewaltige Umbau der Gesellschaft kann nicht in Tagen und Wochen vollendet werde«, dazu wird noch viel Kampf und Arbeit notwendig sein.

Unsere Ziele verlieren wir nicht aus dem Auge, von unseren Forderungen geben wir nichts preis! Aber die Mittel wollen wir, solange das nur irgend möglich ist, so wählen, das; sich die Arbeiterklasse dabei nicht ins eigene Fleisch schneidet. Wir sind eine Macht, wenn wir einig sind; machen wir von dieser Macht Gebrauch! Aber hüten wir uns, leichtfertig und ohne Not ein Chaos hervorzurufen, in dem wohl auch unsere Gegner, aber auch wir aufs schwerste leiden müssen! Darum richten wir an Euch den Ruf: tretet in Massen ein in die politische Organisation der Sozialdemokratie, in die modernen, freien Gewerkschaften! In diesen Organisationen könnt Ihr das vorwärtstreibende Element sein. Aber hütet Euch vor Zersplitterung, vor Arbeiter-Bruderkrieg und vor den Ratschlägen unverantwortliches Elemente, die Euch zu unbesonnenen» Losschlagen gegen Euer eigenes Interesse verleiten wollen. Folgt nicht den Parolen kleiner Gruppen und unbekannter Drahtzieher. Wenn die Arbeiter dahin und dorthin laufen oder gar sich gegenseitig zerfleischen, so kann daraus kein Glück, sondern nur namenloses Unglück entstehen.

Es geht um Euch und Eure Kinder! Darum noch einmal:: Wahrt die Einigkeit, die Besonnenheit, die Disziplin der Organisation. Keine russischen Zustände, sondern das Ganze geschlossen vorwärts zu den Zielen der Demokratie und des Sozialismus!

 

 

7. November

 

SPD [7]:

Die sozialdemokratische Partei fordert, daß

1.   die Versammlungsverbote für heute aufgehoben werden;

2.   Polizei und Militär zu äußerster Zurückhaltung angehalten werden;

3.   daß die preußische Regierung sofort im Sinne der Reichstagsmehrheit umgestaltet wird;

4.   daß der sozialdemokratische Einfluß in der Reichsregierung verstärkt wird;

5.   daß die Abdankung des Kaisers und der Thronverzicht des Kronprinzen bis morgen mittag bewirkt werden.

 

 

Max von Baden - F. Ebert  [8]:

"Sie wissen, was ich vorhabe. Wenn es mir gelingt, den Kaiser zu überzeugen, habe ich Sie dann an meiner Seite im Kampf gegen die soziale Revolution?" Eberts Antwort erfolgte ohne Zögern und war unzweideutig: "Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde." Nach der Abdankung des Kaisers hoffe er, die Partei und die Massen hinter die Regierung zu bringen.

 

 

Flugblatt der SPD, 7. November 1918 [9]

 

Arbeiter! Parteigenossen!

Das Völkermorden ist zu Ende, der Frieden ist gesichert!

Wilson hat sich bereit erklärt, mit der gegenwärtigen Regierung Deutschlands Frieden zu schließen.

Sturz dieser Regierung bedeutet Gefährdung des Friedens!

Verwirrung und Auflösung der Ordnung bedeutet Hungersnot!

Bedenkt das vor allem auch Ihr Frauen!

Die sozialdemokratische Fraktion und der Parteiausschuß fordern volle militärische Amnestie, völlige Demokratisierung, Rücktritt des Kaisers.

Fällt dieser Aktion nicht in den Rücken!

Große Erfolge sind erreicht, weitere sind gesichert. Unser Ziel ist die Sicherung des Friedens und friedliche Umwälzung zu Demokratie und Sozialismus.

Laßt Euch von diesem Weg der sozialdemokratischen Taktik nicht abdrängen!

Der Vorstand

der sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

 

 

Flugblatt des in Berlin gebildeten Vollzugsausschusses des Arbeiter- und Soldatenrates, 8. November 1918[10]

 

Arbeiter, Soldaten, Genossen!

Die Entscheidungsstunde ist da! Es gilt der historischen Aufgabe gerecht zu werden.

Während an der Wasserkante die Arbeiter- und Soldatenräte die Gewalt in Händen haben, werden hier rücksichtslos Verhaftungen vorgenommen. Däumig und Liebknecht sind verhaftet.

Das ist der Anfang der Militärdiktatur, das ist der Auftakt zu nutzlosem Gemetzel.

Wir fordern nicht Abdankung einer Person, sondern Republik! Die sozialistische Republik mit allen ihren Konsequenzen. Auf zum Kampfe für Friede, Freiheit und Brot.

Heraus aus den Betrieben! Heraus aus den Kasernen!

Reicht Euch die Hände.

Es lebe die Republik.

Der Vollzugsauschuß des Arbeiter- und Soldatenrates.

Barth, Brühl, Eckert, Franke, Haase, Ledebour, Liebknecht, Neuendorf, Pick [sic], Wegmann.

 

 

Flugblatt der Gruppe Spartakus, 8. November 1918[11]

 

Ein neuer Betrug ist in Vorbereitung. Eure Feinde ‑ nicht die jenseits der Schützengräben, sondern die, die hier im Lande sind ‑ machen euch zu Krüppeln und töten euch, eure Klassenfeinde retten ihre Haut auf eure Kosten.

Um Krone und Monarchie zu retten und aus Furcht vor der Revolution, wird jetzt die Friedensoffensive durchgeführt, wie vor kurzem die militärische. Damals wurde euch gesagt: "Haltet durch! Noch eine letzte Anstrengung, und der Feind ist niedergeworfen; der letzte Sieg steht bevor, wir werden Paris nehmen und dem Feinde unsere Bedingungen diktieren!" Dieser Sieg ist nicht gekommen. Eure erschöpften, zermürbten, verblutenden Brüder dort weit an der Front haben die Schrecken des Krieges nicht mehr tragen können, sie haben den ganzen infamen Betrug verstanden und die weitere Teilnahme an der blutigen Tragödie verweigert. Da fing man plötzlich an, von inneren Reformen zu sprechen, und alles schrie nach dem Frieden. Eine neue Regierung, die sich "Volksregierung" nennt, wurde gebildet. Ihr sind auch diejenigen beigetreten, die euch preisgegeben haben, die Verräter am Proletariat und an der Revolution.

Welche Reformen hat euch diese Regierung gegeben? Eure wahren Führer müssen immer noch in Gefängnissen und Zuchthäusern schmachten. Wo bleibt die Amnestie? Wo der achtstündige Arbeitstag? Die Versammlungsfreiheit, die Pressefreiheit? Habt ihr jetzt die Möglichkeit, eure Forderungen und Wünsche offen zu verkünden? Könnt ihr offen schreiben, daß ihr dieser Regierung ebensowenig Vertrauen schenkt wie der vorigen? Habt ihr die Möglichkeit, euer Schicksal selbst zu bestimmen?

Alles ist Lüge! Alles Betrug! Nicht in eurem Interesse ist diese Regierung geschaffen worden, sondern im Interesse eurer Bourgeoisie und um euch zum Schweigen zu bringen. Leidet weiter, wartet, bis die Herren Imperialisten untereinander einig werden ‑ auf eure Kosten, auf Kosten der englischen, französischen, amerikanischen Arbeiter. Schweigt von euren Nöten! Hungert und friert in euren ungeheizten Stuben, aber wagt nicht zu protestieren, denn das würde die neue Regierung diskreditieren und den englischen und amerikanischen Räubern die Möglichkeit geben, mit ihr über Frieden nicht verhandeln zu wollen. So lehren eure falschen Lehrer, die Herren "proletarischen Minister" in der bürgerlichen Regierung, die für den Titel Exzellenz bereit sind, Proletariat, Revolution und Sozialismus zu verkaufen.

Alles ist Lüge! Alles Betrug! Glaubt diesen Treulosen nicht! Nieder mit den Verrätern! Denkt an eure wahren Lehrer, an Marx und Engels, die immer gesagt haben, daß die Befreiung der Arbeiterklasse nur Sache der Arbeiter selbst sein könne. Erwartet eure Freiheit nicht von diesen Helfershelfern der Bourgeoisie, nicht den Frieden von diesen imperialistischen Spitzbuben und kein Brot von den Geiern, die an eurem Leib nagen wollen.

Seht euch eure russischen Brüder an! Sie haben die Reste vom Tisch der Bourgeoisie nicht gesammelt, sie haben von ihren Feinden keine Almosen angenommen; sie haben "Brot, Frieden und Freiheit!" verlangt, und um diese Forderung zu erfüllen, haben sie die Regierungsgewalt in die eigenen Hände genommen. Von allen Seiten bedrängt, verblutend im ungleichen Kampf, haben sie sich trotzdem nicht ergeben. Das rote Banner ist kein einziges Mal ihren Händen entglitten, und nie haben sie ihre Feinde um Gnade gebeten. Und sie haben recht getan. Aus Blut und Tränen ist im Osten die Sonne der Freiheit und des Sozialismus aufgegangen, und sie fängt an, mit ihren belebenden Strahlen auch eure blut- und tränendurchtränkte Erde zu erwärmen. Jetzt kann die russische Revolution euch schon ihre Hilfe und Unterstützung versprechen. Sie verspricht sie und wird ihr Versprechen halten.

Aber um in Ehren zu kämpfen und ruhmvoll zu siegen, müßt ihr, wie jene, nur auf euch selbst und auf eure eigene Kraft bauen! Nieder mit den Betrügern und Verrätern! Auf in den Kampf!

Um Freiheit!

Um die Revolution!

Um den Sozialismus!

Bildet sofort Arbeiter- und Soldatenräte!

Fordert die sofortige Befreiung aller politischen Gefangenen!

Fordert die sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes!

Fordert die Freiheit eurer Presse und eurer Versammlungen!

Arbeiter! Genossen! Auf in den Kampf!

Die Gruppe "Internationale" (Spartakus‑Gruppe)

 

 

9. November

 

Von K. Liebknecht gestellte Bedingungen für die Formierung einer Regierung SPD-USPD [12]:

1.   Deutschland soll eine sozialistische Republik sein.

2.   In dieser Republik soll die gesamte exekutive, legislative, jurisdiktionelle Macht ausschließlich in den Händen von gewählten Vertrauensmännern der gesamten werktätigen Bevölkerung und der Soldaten sein.

3.   Ausschluß aller bürgerlichen Mitglieder aus der Regierung.

4.   Die Beteiligung der Unabhängigen gilt nur für drei Tage, als ein Provisorium, um eine für den Abschluß des Waffenstillstandes fähige Regierung zu schaffen.

5.   Die Ressortminister gelten nur als technische Gehilfen des eigentlichen und entscheidenden Kabinetts.

6.   Gleichberechtigung der beiden Leiter des Kabinetts.

Antwort der SPD auf die Bedingungen der USPD[13]:

Von dem aufrichtigen Wunsch geleitet, zu einer Einigung zu gelangen, müssen wir Ihnen unsere grundsätzliche Stellung zu Ihren Forderungen klarlegen. Sie fordern:

1. Deutschland soll ein sozialistische Republik sein. Antwort: Diese Forderung ist das Ziel unserer eigenen Politik. Indessen hat darüber das Volk durch die konstituierende Versammlung zu entscheiden.

2. In dieser Republik soll die gesamte exekutive, legislative und die jurisdiktioneile Macht ausschließlich in den Händen von gewählten Vertrauensmännern der gesamten werktätigen Bevölkerung und der Soldaten sein. Antwort: Ist mit diesem Verlangen die Diktatur eines Teils einer Klasse gemeint, hinter dem nicht die Volksmehrheit steht, so müssen wir diese Forderung ablehnen, weil sie unseren demokratischen Grundsätzen widerspricht.')[1)]

3. Ausschluß aller bürgerlichen Mitglieder aus der Regierung. Antwort: Diese Forderung müssen wir ablehnen, weil ihre Erfüllung die Volksernährung erheblich gefährden, wenn nicht unmöglich machen würde.

4. Die Beteiligung der Unabhängigen gilt nur für drei Tage als ein Provisorium, um eine für den Abschluß des Waffenstillstandes fähige Regierung zu schaffen. Antwort: Wir halten ein Zusammenwirken der sozialistischen Richtungen mindestens bis zum Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung für erforderlich.

5. Die Ressortminister gelten nur als technische Gehilfen des eigentlichen und entscheidenden Kabinetts. Antwort: Dieser Forderung stimmen wir zu.

6. Gleichberechtigung der beiden Leiter des Kabinetts. Antwort: Wir sind für die Gleichberechtigung aller Kabinettsmitglieder. Indessen hat die Konstituierende Versammlung darüber zu entscheiden.

Es ist von der Einsicht der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei zu erhoffen, daß sie mit der Sozialdemokratischen Partei noch zu einer Verständigung gelangt.

 

 

Philipp Scheidemann, 9. November 1918[14]

 

Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt. Das alte Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt! Die Hohenzollern haben abgedankt! Es lebe die deutsche Republik!

Der Abgeordnete Ebert ist zum Reichskanzler ausgerufen worden. Ebert ist damit beauftragt worden, eine neue Regierung zusammenzustellen. Dieser Regierung werden alle sozialistischen Parteien angehören. Jetzt besteht unsere Aufgabe darin, diesen glänzenden Sieg, diesen vollen Sieg des deutschen Volkes nicht beschmutzen zu lassen, und deshalb bitte ich Sie, sorgen Sie dafür, daß keine Störung der Sicherheit eintrete!

Wir müssen stolz sein können, in alle Zukunft auf diesen Tag! Nichts darf existieren, was man uns später wird vorwerfen können! Ruhe, Ordnung und Sicherheit, das ist das, was wir jetzt brauchen!

Dem Oberkommandierenden in den Marken und dem Kriegsminister Scheüch werden je ein Beauftragter beigegeben. Der Abgeordnete Genosse Göhre wird alle Verordnungen des Kriegsministers Scheüch gegenzeichnen. Also gilt es von jetzt ab, die Verfügungen, die unterzeichnet sind von Ebert, und die Kundmachungen, die gezeichnet sind mit den Namen Göhre und Scheüch, zu respektieren.

Sorgen Sie dafür, daß die neue deutsche Republik, die wir errichten werden, nicht durch irgend etwas gefährdet werde!

Es lebe die deutsche Republik!

 

 

Parteivorstand der SPD und Arbeiter- und Soldatenrat, 9. November 1918[15]

 

Arbeiter, Soldaten, Mitbürger!

Der freie Volksstaat ist da!

Kaiser und Kronprinz haben abgedankt!

Fritz Ebert, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei, ist Reichskanzler geworden und bildet im Reiche und in Preußen eine neue Regierung aus Männern, die das Vertrauen des werktätigen Volkes in Stadt und Land, der Arbeiter und Soldaten haben. Damit ist die öffentliche Gewalt in die Hände des Volkes übergegangen. Eine verfassungsgebende Nationalversammlung tritt schnellstens zusammen.

Arbeiter, Soldaten, Bürger! Der Sieg des Volkes ist errungen, er darf nicht durch Unbesonnenheit entehrt und gefährdet werden. Wirtschaftsleben und Verkehr müssen unbedingt aufrecht erhalten werden, damit die Volksregierung unter allen Umständen gesichert wird.

Folgt allen Anweisungen der neuen Volksregierung und ihren Beauftragten. Sie handelt im engsten Einvernehmen mit den Arbeitern und Soldaten.

Hoch die deutsche Republik!

Der Vorstand der Sozialdemokratie Deutschlands.

Der Arbeiter und Soldatenrat.

 

 

Friedrich Ebert, 9. November 1918[16]

 

Mitbürger!

Der bisherige Reichskanzler Prinz Max von Baden hat mir unter Zustimmung der sämtlichen Staatssekretäre die Wahrnehmung der Geschäfte des Reichskanzlers übertragen. Ich bin im Begriff, die neue Regierung im Einvernehmen mit den Parteien zu bilden und werde daher über das Ergebnis der Öffentlichkeit in Kürze berichten.

Die neue Regierung wird eine Volksregierung sein. Ihr Bestreben wird sein müssen, dem deutschen Volke den Frieden schnellstens zu bringen und die Freiheit, die es errungen hat, zu befestigen.

Mitbürger! Ich bitte Euch alle um Eure Unterstützung bei der schweren Arbeit, die unser harrt, Ihr wißt, wie schwer der Krieg die Ernährung des Volkes, die erste Voraussetzung des politischen Lebens bedroht.

Die politische Umwälzung darf die Ernährung der Bevölkerung nicht stören.

Es muß die erste Pflicht aller in Stadt und Land bleiben, die Produktion von Nahrungsmitteln und ihre Zufuhr in die Städte nicht zu hindern, sondern zu fördern.

Nahrungsmittelnot bedeutet Plünderungen und Raub, mit Elend für alle! Die Ärmsten würden am schwersten leiden, die Industriearbeiter am bittersten getroffen werden. Wer sich an Nahrungsmitteln oder sonstigen Bedarfsgegenständen oder an den für ihre Verteilung benötigten Verkehrsmitteln vergreift, versündigt sich aufs schwerste an der Gesamtheit.

Mitbürger! Ich bitte Euch alle dringend: Verlaßt die Straßen! Sorgt für Ruhe und Ordnung! Berlin, den 9. November 1918

Der Reichskanzler gez. Ebert

 

 

Friedrich Ebert, 9. November 1918[17]

 

Die neue Regierung hat die Führung der Geschäfte übernommen, um das deutsche Volk vor Bürgerkrieg und Hungersnot zu bewahren und seine berechtigten Forderungen auf Selbstbestimmung durchzusetzen. Diese Aufgabe kann sie, nur erfüllen, wenn alle Behörden und Beamten in Stadt und Land ihr hilfreiche Hand leisten.

Ich weiß, daß es vielen schwer werden wird, mit den neuen Männern zu arbeiten, die das Reich zu leiten unternommen haben, aber ich appelliere an ihre Liebe zu unserem Volke. Ein Versagen der Organisation in dieser schweren Stunde würde Deutschland der Anarchie und dem schrecklichsten Elend ausliefern.

Helft also mit mir dem Vaterlande durch furchtlose und unverdrossene Weiterarbeit ein jeder auf seinem Posten, bis die Stunde der Ablösung gekommen ist.

Berlin, den 9. November 1918

Der Reichskanzler

Ebert

 

 

Regierungsmitglieder der SPD, 9. November 1918[18]

 

Volksgenossen!

Der heutige Tag hat die Befreiung des Volkes vollendet. Der Kaiser hat abgedankt, sein ältester Sohn auf den Thron verzichtet. Die sozialdemokratische Partei hat die Regierung übernommen und der unabhängigen sozialdemokratischen Partei den Eintritt in die Regierung auf dem Boden voller Gleichberechtigung angeboten. Die neue Regierung wird sich für die Wahlen zu einer konstituierenden Nationalversammlung organisieren, an denen alle über 20 Jahre alten Bürger beider Geschlechter mit vollkommen gleichen Rechten teilnehmen werden. Sie wird sodann ihre Machtbefugnisse in die Hände der neuen Vertretung des Volkes zurücklegen. Bis dahin hat sie die Aufgabe, Waffenstillstand zu schließen und Friedensverhandlungen zu führen, die Volksernährung zu sichern, den Volksgenossen in Waffen den raschesten geordneten Weg zu ihrer Familie und zu lohnendem Erwerb zu sichern. Dazu muß die demokratische Verwaltung sofort glatt zu arbeiten beginnen. Nur durch ihr tadelloses Funktionieren kann schwerstes Unheil vermieden werden. Sei sich darum jeder seiner Verantwortung am Ganzen bewußt. Menschenleben sind heilig. Das Eigentum ist vor willkürlichen Eingriffen zu schützen. Wer diese herrliche Bewegung durch gemeine Verbrechen entehrt, ist ein Feind des Volkes und muß als solcher behandelt werden. Wer aber in ehrlicher Hingabe an unserem Werke mitschafft, von dem alle Zukunft abhängt, der darf von sich sagen, daß er im größten Augenblick der Weltgeschichte als Schaffender zu des Volkes Heil mit dabei gewesen ist. Wir stehen vor ungeheuren Aufgaben. Werktätige Männer und Frauen in Stadt und Land, Männer im Waffenrock und Arbeitsblusen helft alle mit!

Ebert, Scheidemann, Landsberg.

 

 

Aufruf des Berliner Arbeiter- und Soldatenrats, 9 November 1918[19]

 

Generalstreik!

Der Arbeiter- und Soldatenrat von Berlin hat den Generalstreik beschlossen. Alle Betriebe stehen still. Die notwendige Versorgung der Bevölkerung wird aufrechterhalten.

 Ein großer Teil der Garnison hat sich in geschlossenen Truppenkörpern mit Maschinengewehren und Geschützen dem Arbeiter- und Soldatenrat zur Verfügung gestellt.

Die Bewegung wird gemeinschaftlich geleitet von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Arbeiter, Soldaten, sorgt für Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung.

Es lebe die soziale Republik!

Der Arbeiter- und Soldatenrat.

 

 

Provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat von Berlin, 9. November 1918[20]

 

Arbeiter! Soldaten! Genossen! Brüder!

Der große sehnsüchtig erwartete Tag ist erschienen. Seit dem 9. November hat das deutsche Volk die Macht in den Händen. Seit dem 9. November ist Deutschland Republik, und zwar sozialistische Republik der Arbeiter und Soldaten. Unsere Herzen sind voller Stolz. Aber wir haben keine Zeit, uns unserer Freude hinzugeben. Nun gilt es, die organisatorische Grundlage für das neue Gemeinwesen herzustellen. Ungeheure Aufgaben erwarten uns. Vor allem die, eine Regierung zu bilden, die unseren Idealen entspricht und den gewaltigen Problemen gewachsen ist. Grundlage dieser Regierung ist, daß die gesamte gesetzgebende, ausführende, verwaltende und richterliche Gewalt ausschließlich in Händen der Vertreter der Arbeiter und Soldaten ruht. Diese Vertreter zu bestellen ist Euere erste praktische Aufgabe.

Deshalb Soldaten, Brüder, tretet am Sonntag, 10. November, spätestens 10 Uhr, in den Kasernen und Lazaretten zusammen und wählt Euere Vertreter. Auf jedes Bataillon fällt 1 Delegierter, ebenso auf jede kleinere selbständige Formation und jedes Lazarett.

Arbeiter! Arbeiterinnen! Brüder! Schwestern! Tretet auch Ihr am Sonntag, 10. November, um 10 Uhr in Euren Betrieben zusammen. Auf je 1000 Beschäftigte, Männer oder Frauen, fällt 1 Delegierter. Kleinere Betriebe schließen sich zusammen. Am Sonntag um 5 Uhr treten die so Gewählten im Zirkus Busch zusammen. Arbeiter! Soldaten! Sorgt für die Ausführung dieser Anordnungen. Bewahrt Ruhe und Ordnung!

Berlin, 9. November 1918

Der provisorische Arbeiter- und Soldatenrat.

 

 

Karl Liebknecht, 9. November 1918[21]

 

"Der Tag der Revolution ist gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem Augenblick geschlossen. Das Alte ist nicht mehr. Die Herrschaft der Hohenzollern, die in diesem Schloß jahrhundertelang gewohnt haben, ist vorüber. In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik Deutschland. Wir grüßen unsere russischen Brüder, die vor vier Tagen schmählich davongejagt worden sind." Liebknecht wies dann auf das Hauptportal des Schlosses und rief mit erhobener Stimme: "Durch dieses Tor wird die neue sozialistische Freiheit der Arbeiter und Soldaten einziehen. Wir wollen an der Stelle, wo die Kaiserstandarte wehte, die rote Fahne der freien Republik Deutschland hissen!"

Die Soldaten der Schloßwache, die auf dem Dach sichtbar waren, schwenkten die Helme und grüßten zur Menge herab, die auf das Tor zudrängte. Es wurde langsam geöffnet, um dem Automobil Liebknechts Einlaß zu gewähren. Die Menge wurde davon zurückgehalten, zu folgen. Nach einigen Minuten erschienen, von der Menge stürmisch begrüßt, die Soldaten der Schloßwache ohne Waffen und Gepäck. Kurze Zeit darauf zeigte sich Liebknecht mit Gefolgschaft auf dem Balkon, von dessen Grau sich eine breite rote Decke abhob.

"Parteigenossen", begann Liebknecht, "der Tag der Freiheit ist angebrochen. Nie wieder wird ein Hohenzoller diesen Platz betreten. Vor 70  Jahren stand hier am selben Ort Friedrich Wilhelm IV. und mußte vor dem Zug der auf den Barrikaden Berlins für die Sache der Freiheit Gefallenen, vor den fünfzig blutüberströmten Leichnamen seine Mütze abnehmen. Ein anderer Zug bewegt sich heute hier vorüber. Es sind die Geister der Millionen, die für die heilige Sache des Proletariats ihr Leben gelassen haben. Mit zerspaltenem Schädel, in Blut gebadet wanken diese Opfer der Gewaltherrschaft vorüber, und ihnen folgen die Geister von Millionen von Frauen und Kindern, die für die Sache des Proletariats in Kummer und Elend verkommen sind. Und Abermillionen von Blutopfern dieses Weltkrieges ziehen ihnen nach. Heute steht eine unübersehbare Menge begeisterter Proletarier an demselben Ort, um der neuen Freiheit zu huldigen. Parteigenossen, ich proklamiere die freie sozialistische Republik Deutschland, die alle Stämme umfassen soll, in der es keine Knechte mehr geben wird, in der jeder ehrliche Arbeiter den ehrlichen Lohn seiner Arbeit finden wird. Die Herrschaft des Kapitalismus, der Europa in ein Leichenfeld verwandelt hat, ist gebrochen. Wir rufen unsere russischen Brüder zurück. Sie haben bei ihrem Abschied zu uns gesagt: “Habt Ihr in einem Monat nicht das erreicht, was wir erreicht haben, so wenden wir uns von Euch ab.” Und nun hat es kaum vier Tage gedauert."

"Wenn auch das Alte niedergerissen ist", fuhr Liebknecht fort, "dürfen wir doch nicht glauben, daß unsere Aufgabe getan sei. Wir müssen alle Kräfte anspannen, um die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufzubauen und eine neue staatliche Ordnung des Proletariats zu schaffen, eine Ordnung des Friedens, des Glücks und der Freiheit unserer deutschen Brüder und unserer Brüder in der ganzen Welt. Wir reichen ihnen die Hände und rufen sie zur Vollendung der Weltrevolution auf.

Wer von euch die freie sozialistische Republik Deutschland und die Weltrevolution erfüllt sehen will, erhebe seine Hand zum Schwur." (Alle Hände erheben sich und Rufe ertönen: Hoch die Republik!). Nachdem der Beifall verrauscht war, ruft ein neben Liebknecht stehender Soldat und schwenkt die rote Fahne, die er in den Händen trägt: "Hoch lebe ihr erster Präsident Liebknecht!"

Liebknecht schloß: "Soweit sind wir noch nicht. Ob Präsident oder nicht, wir müssen alle zusammenstehen, um das Ideal der Republik zu verwirklichen. Hoch die Freiheit und das Glück und der Frieden!" Bald darauf wurde an dem Mast der Kaiserstandarte die rote Fahne gehißt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Fußnoten



[1]G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution 1918‑1919, S. 52-53 (Bibliographie ).

[2]IML beim ZK der SED (Hg.): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 3 - Von 1917 bis 1923, S. 470 (Bibliographie ).

Deutscher Geschichtskalender - Band 35 - Teil 1, S. 4 (Bibliographie ).

[3]G. Noske: Von Kiel bis Kapp, S. 17- (Bibliographie ).

[4]Ph. Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten - Band 2, S. 226. (Bibliographie ).

[5]M. v. Baden: Erinnerungen...,  S. 591 (Bibliographie ).

[6]. http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00148/00148045.htm.

Deutscher Geschichtskalender - Band 35 - Teil 1, S. 380 (Bibliographie ).

[7]. http://www.stahlgewitter.com/18_11_08.htm.

F. Rünkel: Die deutsche Revolution, S. 108 (Bibliographie ).

SPD (Hg.): Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (15.‑16. Juni 1919), S. 10 (Bibliographie ).

http://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1919.pdf

[8]M. v. Baden: Erinnerungen...,  S. 600 (Bibliographie ).

[9]Schulthess' europäischer Geschichtskalender - Band 59 (1918) - Teil 1, S. 418 (Bibliographie ).

[10]IML beim ZK der SED (Hg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Reihe 2 - Band 2, S. 326 (Bibliographie ).

[11]IML beim ZK der SED (Hg.): Dokumente und Materialien... - Reihe 2 - Band 2,  S. 221 (Bibliographie ).

E. Meyer (Hg.): Spartakus im Kriege - Die illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Kriege, S. 206 (Bibliographie ).

[12]IML beim ZK der SED (Hg.): Illustrierte Geschichte der Novemberrevolution in Deutschland, S. 156 (Bibliographie ).

[13]H. Michaelis, E. Schraepler (Hg.): Ursachen und Folgen - Band 3 - Der Weg in die Weimarer Republik (Bibliographie .

SPD (Hg.): Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (15.‑16. Juni 1919), S. 11 (Bibliographie ).

http://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1919.pdf

L'ouvrage pris comme référence (Ursachen und Folgen...) indique comme source Vorwärts, Nr. 310 vom 10. November 1918. Le texte tel que cité reprend la formulation "Sie fordern: 1. Deutschland soll ein sozialistische Republik sein." D'autres publications citent le même libellé en indiquant comme source Eberhard Buchner, Revolutionsdokumente. I. Bd.: Im Zeichen der roten Fahne, Berlin 1921, Nr. 139 (cf. E. R. Huber (Hg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte (Bibliographie ).

Cependant G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution... (Bibliographie ) citent "soziale Republik" tout en indiquant comme source également le Vorwärts nr 310 10 11 1918. Divers écrits d'époque emploient les termes "soziale Republik", entre autre Schulthess' europäischer Geschichtskalender (Bibliographie , de même qu'en général les représentants du SPD:Otto Wels (Protokoll...),  Eduard Bernstein (Geschichte der Entstehung und ersten Arbeitsperiode der deutschen Republik) 1921, Philippe Scheidemann: Memoiren eines Sozialdemokraten (Bibliographie ), Friedrich Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik (1947).

[14]G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution..., S. 77- 78 (Bibliographie ).

http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/scheidemann/

[15]. http://www.zum.de/psm/weimar/vorwaerts.php,

également http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/stichwort/Zusatzseiten/revolution-bild.htm.

G. Engel, B. Holtz, I. Materna (Hg.): Gross-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte in der Revolution 1818/1919 - Band 1, S. 10 (Bibliographie ).

[16]G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution..., S. 79-80 (Bibliographie .)

http://www.stmuk.bayern.de/blz/web/100081/02.html

http://www.stahlgewitter.com/18_11_09.htm

http://www.documentarchiv.de/wr/1918/erbert_deutsche-buerger_prkl.html.

[17]. http://www.stmuk.bayern.de/blz/web/100081/02.html.

G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution..., S. 80 (Bibliographie .

[18]G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution..., p. 80-81 (Bibliographie ).

Schulthess' europäischer Geschichtskalender - Band 59 - Teil 1 (Bibliographie ).

[19]IML beim ZK der SED (Hg.): Dokumente und Materialien... - Reihe 2 - Band 2, S. 330 (Bibliographie ).

[20]G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution..., S. 81-82 (Bibliographie ).

[21]G. A. Ritter, S. Miller (Hg.): Die Deutsche Revolution..., S. 78-79 (Bibliographie ).

K. Liebknecht: Gesammelte Reden un Schriften - Band 9, S. 594 (Bibliographie ).