Deutschland 1918‑1939
Bis Oktober 1918
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[1] Resolution, angenommen vom Parteitag der SPD abgehalten vom 17. bis 23. September 1905 in Jena |
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Resolution zum politischen Massenstreik I. Bei dem Bestreben der herrschenden Klassen und Gewalten, der Arbeiterklasse einen legitimen Einfluß auf die öffentliche Ordnung der Dinge in den Gemeinwesen vorzuenthalten oder, soweit sie durch ihre Vertreter in den parlamentarischen Vertretungskörpern einen solchen bereits erlangten, diesen zu rauben und so die Arbeiterklasse politisch und wirtschaftlich rechtlos und ohnmächtig zu machen, erachtet es der Parteitag für geboten auszusprechen, daß es die gebieterische Pflicht der gesamten Arbeiterklasse ist, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln jedem Anschlag auf ihre Menschen- und Staatsbürgerrechte entgegenzutreten und immer wieder die volle Gleichberechtigung zu fordern. Insbesondere hat die Erfahrung gelehrt, daß die herrschenden Parteien bis tief in die bürgerliche Linke hinein Gegner des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts sind, daß sie dasselbe nur dulden, aber sofort abzuschaffen oder zu verschlechtern trachten, sobald sie glauben, daß durch dasselbe ihre Herrschaft in Gefahr komme. Daher ihr Widerstand gegen eine Ausdehnung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts auf die Einzelstaaten (Preußen usw.) und selbst die Verschlechterung bestehender rückständiger Wahlgesetze aus Angst vor einem noch so geringen Einfluß der Arbeiterklasse in den parlamentarischen Vertretungskörpern. Beispiele hierfür sind die Wahlrechtsräubereien durch eine herrschgierige und maßlos feige Bourgeoisie und ein borniertes Kleinbürgertum in Sachsen und in den sogenannten Republiken Hamburg und Lübeck und die Gemeindewahlverschlechterungen in den verschiedenen deutschen Staaten (Sachsen, Sachsen-Meiningen) und Orten (Kiel, Dresden, Chemnitz usw.) durch die Vertreter der verschiedenen bürgerlichen Parteien. In Erwägung aber, daß namentlich das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht die Voraussetzung für eine normale politische Fortentwicklung der Gemeinwesen ist, wie es die volle Koalitionsfreiheit für die wirtschaftliche Hebung der Arbeiterklasse ist, in weiterer Erwägung, daß die Arbeiterklasse durch ihre stetig wachsende Zahl, ihre Intelligenz und ihre Arbeit für das wirtschaftliche und soziale Leben des ganzen Volkes sowie durch die materiellen und physischen Opfer, die sie für die militärische Verteidigung des Landes zu tragen hat, den Hauptfaktor in der modernen Gesellschaft bildet, muß sie nicht nur die Erhaltung, sondern auch die Erweiterung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle Vertretungskörper im Sinne des sozialdemokratischen Programms und die Sicherung der vollen, Koalitionsfreiheit fordern. Demgemäß erklärt der Parteitag, daß es namentlich im Falle eines Anschlages auf das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht oder das Koalitionsrecht die Pflicht der gesamten Arbeiterklasse ist, jedes geeignet erscheinende Mittel zur Abwehr nachdrücklich anzuwenden. Als eines der wirksamsten Kampfmittel, um ein solches politisches Verbrechen an der Arbeiterklasse abzuwehren oder um sich ein wichtiges Grundrecht für ihre Befreiung zu erobern, betrachtet gegebenen Falles der Parteitag „die umfassendste Anwendung der Massenarbeitseinstellung". Damit aber die Anwendung dieses Kampfmittels ermöglicht und möglichst wirksam wird, sind die größte Ausdehnung der politischen und gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterklasse und die unausgesetzte Belehrung und Aufklärung der Massen durch die Arbeiterpresse und die mündliche und schriftliche Agitation unumgänglich notwendig. Diese Agitation muß die Wichtigkeit und Notwendigkeit der politischen Rechte der Arbeiterklasse, insbesondere des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts und der vollen Koalitionsfreiheit, darlegen, mit Hinweis auf den Klassencharakter des Staates und der Gesellschaft und den täglichen Mißbrauch, welchen die herrschenden Klassen und Gewalten durch den ausschließlichen Besitz der politischen Macht an der Arbeiterklasse verüben. Jeder Parteigenosse ist verpflichtet, wenn für seinen Beruf eine gewerkschaftliche Organisation vorhanden ist und gegründet werden kann, einer solchen beizutreten und die Ziele und Zwecke der Gewerkschaften zu unterstützen. Aber jedes klassenbewußte Mitglied einer Gewerkschaft hat auch die Pflicht, sich der politischen Organisation seiner Klasse - der Sozialdemokratie - anzuschließen und für die Verbreitung der sozialdemokratischen Presse zu wirken. II. Der Parteitag beauftragt den Parteivorstand, eine Broschüre herstellen zu lassen, in der die in der vorstehenden Resolution gestellten Forderungen begründet werden. Für diese Broschüre ist die Massenverbreitung in der gesamten deutschen Arbeiterklasse zu organisieren. |
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[2] Resolution, angenommen vom Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands, abgehalten in Köln vom 22. bis 27. Mai 1905 |
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Resolution zum politischen Massenstreik Der fünfte deutsche Gewerkschaftskongreß erachtet es als eine unabweisbare Pflicht der Gewerkschaften, daß sie die Verbesserung aller Gesetze, auf denen ihre Existenz beruht und ohne die sie nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, nach besten Kräften fördern und alle Versuche, die bestehenden Volksrechte zu beschneiden, mit aller Entschiedenheit bekämpfen. Auch die Taktik für etwa notwendige Kämpfe solcher Art hat sich genauso wie jede andere Taktik nach den jeweiligen Verhältnissen zu richten. Der Kongreß hält daher auch alle Versuche, durch die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik festlegen zu wollen, für verwerflich; er empfiehlt der organisierten Arbeiterschaft, solchen Versuchen energisch entgegenzutreten. Den Generalstreik, wie er von Anarchisten und Leuten ohne jegliche Erfahrung auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Kampfes vertreten wird, hält der Kongreß für undiskutabel; er warnt die Arbeiterschaft, sich durch die Aufnahme und Verbreitung solcher Ideen von der täglichen Kleinarbeit zur Stärkung der Arbeiterorganisation abhalten zu lassen. |
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[3] Resolution, angenommen vom Parteitag der SPD abgehalten vom 23. bis 29. September 1906 in Mannheim |
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Resolution zum Massenstreik und zur Rolle der Gewerkschaften I Der Parteitag bestätigt den Jenaer Parteitagsbeschluß zum politischen Massenstreik und hält nach der Feststellung, daß der Beschluß des Kölner Gewerkschaftskongresses nicht im Widerspruch steht mit dem Jenaer Beschluß, allen Streit über den Sinn des Kölner Beschlusses für erledigt. Der Parteitag empfiehlt nochmals besonders nachdrücklich die Beschlüsse zur Nachachtung, die die Stärkung und Ausbreitung der Parteiorganisation, die Verbreitung der Parteipresse und den Beitritt der Parteigenossen zu den Gewerkschaften und der Gewerkschaftsmitglieder zur Parteiorganisation fordern. Sobald der Parteivorstand die Notwendigkeit eines politischen Massenstreiks für gegeben erachtet, hat derselbe sich mit der Generalkommission der Gewerkschaften in Verbindung zu setzen und alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Aktion erfolgreich durchzuführen. II Die Gewerkschaften sind unumgänglich notwendig für die Hebung der Klassenlage der Arbeiter innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Dieselben stehen an Wichtigkeit hinter der Sozialdemokratischen Partei nicht zurück, die den Kampf für die Hebung der Arbeiterklasse und ihre Gleichberechtigung mit den anderen Klassen der Gesellschaft auf politischem Gebiet zu führen hat, im weiteren aber über diese ihre nächste Aufgabe hinaus die Befreiung der Arbeiterklasse von jeder Unterdrückung und Ausbeutung durch Aufhebung des Lohnsystems und die Organisation einer auf der sozialen Gleichheit aller beruhenden Erzeugungs- und Austauschweise, also der sozialistischen Gesellschaft, erstrebt. Ein Ziel, das auch der klassenbewußte Arbeiter der Gewerkschaft notwendig erstreben muß. Beide Organisationen sind also in ihren Kämpfen auf gegenseitige Verständigung und Zusammenwirken angewiesen. Um bei Aktionen, die die Interessen der Gewerkschaften und der Partei gleichmäßig berühren, ein einheitliches Vorgehen herbeizuführen, sollen die Zentralleitungen der beiden Organisationen sich zu verständigen suchen. Um aber jene Einheitlichkeit des Denkens und Handelns von Partei und Gewerkschaft zu sichern, die ein unentbehrliches Erfordernis für den siegreichen Fortgang des proletarischen Klassenkampfes bildet, ist es unbedingt notwendig, daß die gewerkschaftliche Bewegung von dem Geiste der Sozialdemokratie erfüllt werde. Es ist daher Pflicht eines jeden Parteigenossen, in diesem Sinne zu wirken. |
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[4] Erklärung des Vorstandes der SPD und der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, 25. Juli 1916 |
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Arbeiter und Arbeiterinnen! Der langandauernde Krieg lastet schwer auf allen Völkern, die Opfer sind gewaltig, und an die Spannkraft des einzelnen im Felde und daheim werden hohe Anforderungen gestellt. Da ist es nur zu begreifen, daß Mißmut und Unzufriedenheit ausgelöst werden. Diese Stimmung wird leider in unverantwortlicher Weise von einzelnen Leuten mißbraucht, die die Arbeiterschaft verlocken wollen, zu Mitteln zu greifen, die nicht im geringsten geeignet sind, die Last zu erleichtern, wohl aber den Druck zu steigern". In anonymen Flugblättern, die im Laufe der letzten Monate in Partei- und Gewerkschaftskreisen verbreitet wurden, wird versucht, Haß und Mißtrauen gegen die von den Arbeitern selbst gewählten Vertrauensleute zu säen. Gegen Männer, die seit vielen Jahren an der Spitze der Organisation der deutschen Arbeiterklasse stehen, wird der Vorwurf erhoben, daß sie die sozialistischen Grundsätze preisgeben, die Beschlüsse deutscher Parteitage und internationaler Kongresse mißachten, Parteiverrat betreiben und anderes mehr. Diese Verdächtigungen und wüsten Schimpfereien könnte man unbeachtet lassen, wenn nicht zugleich die Arbeiterschaft zu unbesonnenen Handlungen aufgefordert und gewissenlos die Propaganda für Streiks und Massenaktionen betrieben würde, für die die Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei jede Verantwortung ablehnen müssen. Durch die Beschlüsse des Mannheimer Parteitages vom Jahre 1906 ist ausdrücklich die Vereinbarung mit den Gewerkschaften getroffen, daß bei politischen Massenaktionen vorher eine Verständigung und Beratung mit dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei und der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands erfolgen muß. Wir konstatieren ausdrücklich, daß die Sozialdemokratische Partei und die Leitung der Gewerkschaftsbewegung mit dieser Propaganda nichts gemein hat; sie ist das Werk einzelner. Wohin soll es führen, wenn die Arbeiterschaft Aktionen unternehmen würde, die von Unberufenen auf eigene Faust und zwecklos eingeleitet sind? Die Folgen solch unbesonnener Handlungsweise müßte jeder einzelne tragen; denn weder die Partei noch die Gewerkschaften könnten hier mit Unterstützungen eingreifen. Wir halten es deshalb für unsere Pflicht, die Arbeiterschaft vor dem Treiben der im Dunkel der Anonymität wirkenden Protest- und Generalstreikapostel nachdrücklich zu warnen. Die Einleitung von Lohnbewegungen und Streiks ist Aufgabe der zuständigen Gewerkschaftsorganisationen; sie tun zur Zeit alles, um den berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder Nachdruck zu verleihen. In der Lebensmittelversorgung bestehen außerordentliche Schwierigkeiten; wir haben nicht unterlassen, mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln die hier auftretenden Mißstände zu bekämpfen. Unausgesetzt sind wir bemüht gewesen, die Leistungen der Fürsorge für die Arbeitslosen, die Kriegerfrauen, die Witwen und Invaliden zu verbessern. Ablehnen müssen wir indes, Mittel in Anwendung zu bringen, denen von vornherein jeder Erfolg versagt ist. Deshalb haben wir auch sofort nach der Verkündigung des Kriegszustandes vor unüberlegtem Handeln gewarnt unter ausdrücklichem Hinweis auf die im Kriege geltenden Strafbestimmungen. Diese Warnung erneuern wir heute, wo mehr denn je kaltes Blut und ruhige Besonnenheit am Platze ist. Gerade jetzt, wo an allen Fronten unsere Brüder im Waffenrock unter unsäglichen Opfern dem gewaltigen Ansturm der gegnerischen Massenheere standhalten müssen, wo kurz vor der Ernte die Lebensmittelversorgung die größten Schwierigkeiten bereitet, müßte jede unbesonnene Aktion verhängnisvoll wirken und vor allem die Arbeiterklasse selbst am schwersten treffen. Wie bisher, so muß auch im Kriege die einheitliche Aktion der Arbeiterklasse aufrechterhalten werden. Das war die Stärke der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften, und diese wollen wir uns auch für die Arbeit nach dem Kriege erhalten. Wem es ernst ist mit der deutschen Arbeiterbewegung, der weise diejenigen, die die Arbeiter zu törichten Handlungen verleiten wollen, mit aller Entschiedenheit zurück. Wer das putschistische Treiben einzelner, jedes Verantwortlichkeitsgefühls barer Personen mitmacht oder andere dafür zu gewinnen sucht, der dient weder der Arbeiterbewegung noch der Sache des Friedens, sondern trägt eher zur Verlängerung des Krieges bei. Unsere wichtigste Aufgabe ist aber die baldige Herbeiführung des Friedens. Dieser großen Pflicht sind sich die berufenen Körperschaften der Arbeiterbewegung bewußt und sind unermüdlich bestrebt, sie zu erfüllen. Arbeiter, steht treu zu euren Organisationen und weist alle Zersplitterungsversuche zurück! |
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[5] Resolution der streikenden Arbeiter in Leipzig, 16. April 1917 |
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Die Versammelten beauftragen die Ortsverwaltung der Metallarbeiter Leipzigs, unter Hinzuziehung von Vertretern der unabhängigen sozialdemokratischen Partei eine Delegation an den Reichskanzler abzuschicken und an die Reichsregierung folgende Forderungen zu stellen: 1. Ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln und Kohlen. 2. Eine Erklärung der Regierung zur sofortigen Friedensbereitschaft unter Verzicht auf jede offene oder versteckte Annexion. 3. Aufhebung des Belagerungszustandes und der Zensur. 4. Sofortige Aufhebung aller Schranken des Koalitions-, Vereins- und Versammlungsrechtes. 5. Sofortige Aufhebung des schändlichen Arbeitszwangsgesetzes. 6. Sofortige Befreiung der wegen politischer Vergehen Inhaftierten und Verurteilten, Niederschlagung der politischen Strafverfahren. 7. Volle staatsbürgerliche Freiheit, allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht zur Wahl für alle öffentlichen Körperschaften im Reich, in den Bundesstaaten und in den Gemeinden. Der Deputation an den Reichskanzler bleibt es überlassen, weitergehende Forderungen, die sich aus der politischen Situation ergeben, im Namen der Versammelten zu erheben. Die Versammelten fordern die ganze Arbeiterschaft auf, sich diesen Forderungen anzuschließen. Zur wirksamen Vertretung der Arbeiterinteressen fordern die Versammelten alle Berufsgruppen auf, Vertreter zu entsenden, um mit den Vertretern der Metallarbeiter und der unabhängigen sozialdemokratischen Partei einen Arbeiterrat zu bilden. Die Versammelten geloben, die Arbeit nicht früher aufzunehmen, als bis von der Regierung befriedigende Zugeständnisse gemacht worden sind. |
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[6] Schreiben von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg an den Chef des Kriegsamtes, Generalleutnant Wilhelm Groener, 17. April 1917 |
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In den letzten Tagen waren mir Arbeitseinstellungen in einer großen Zahl der Berliner Fabriken für Kriegsgerät gemeldet morden. Aus den Mitteilungen Ew. Exzellenz ersehe ich zwar, daß mit wenigen Ausnahmen die Arbeit wieder aufgenommen ist. Die Tatsache jedoch, daß eine Arbeitsniederlegung in der Rüstungsindustrie in größerem Umfange aus Gründen der Ernährungsfrage überhaupt möglich war, zwingt mich zu folgenden Ausführungen: Die Gesamtbevölkerung wird von der notwendig gewordenen Verringerung der Brotration schwer getroffen. Ich zweifle aber nicht, das; die gleichzeitig erfolgte Erhöhung der Fleischration und die nunmehr wieder ein» setzende regelmäßige Belieferung mit Kartoffeln als Ersatz für die verringerte Brotmenge gelten können. Auch halte ich es für sicher, das; alle an der Aufbringung und Verkeilung dieser Lebensmittel beteiligten Bevölkerungskreise und Behörden sich des Ernstes der Lage bewußt sind und daß es ans diese Weise gelingen wird, die gegebenen Zusagen zu erfüllen. Um so weniger kann meines Erachtens die heimische Ernährungslage ein Grund zur Arbeitseinstellung sein. Ich halte es für meine Pflicht, Ew. Exzellenz darauf hinzuweisen, daß bei der gegenwärtig auf der Westfront auszukämpfenden Schlacht eine ungeminderte Erzeugung an Kriegsmaterial aller Art die allen anderen voranstehende Aufgabe ist, und daß jede noch so unbedeutend erscheinende Arbeitseinstellung eine unverantwortliche Schwächung unserer Verteidigungskraft bedeutet und sich mir als eine unsühnbare Schuld am Heer und besonders an dem Mann im Schützengraben, der dafür bluten müßte, darstellt. Ich bitte Ew. Exzellenz darum, mit allen Mitteln dafür Sorge zu tragen, daß die Erzeugung von Waffen und Munition in nachdrücklichster Weise gefördert wird und daß ganz besonders von allen in Frage kommenden Stellen die notwendige Aufklärung der Rüstungsarbeiter betrieben wird, die mir die erste Vorbedingung zur Erreichung unseres großen Zwecks zu sein scheint. |
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Forderungen der Arbeiter von Knorr-Bremse [7]. 1. Freilassung Liebknechts; 2. Freilassung der in Schutzhaft befindlichen Personen; 3. Aufhebung des Vereinsgesetzes; 4. völlige Freiheit in der politischen Entwicklung; 5. ausreichende Ernährung durch Sicherstellung von Lebensmitteln ; 6. Aufhebung des Belagerungszustandes und 7. Beendigung des Krieges ohne Anspruch auf Entschädigungen und Eroberungen. Weiter wurde beschlossen, "aus den Arbeitern eines jeden größeren Betriebes einen sogenannten Arbeiterrat zu bilden, der allein dann mit der Regierung zu verhandeln habe". |
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[8] Schreiben der Zcntralleitungen der Gewerkschaften und Angestelltenverbände an den Chef des Kriegsamtes, Generalleutnant Wilhelm Groener, 26. April 1917 |
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Ew. Exzellenz danken wir für die Übermittlung des Schreibens des Herrn Generalfeldmarschalls von Hindenburg. Mit den leitenden Gedanken der Darlegungen erklären wir uns völlig einverstanden. Arbeitseinstellungen in der gegenwärtigen Stunde sind zu vermeiden; Erhaltung und Sicherheit des Reiches stehen an erster Stelle. Nach allen Kundgebungen der Gegner Deutschlands unterliegt es für politisch reife Menschen keinem Zweifel, daß nicht eine Verminderung, sondern nur eine Erhöhung der Widerstandskraft Deutschlands uns einen baldigen Frieden bringen kann. Wo diese politische Erkenntnis nicht vorhanden ist, sollte zum mindesten das Mitgefühl mit unseren an den Fronten ihr Leben einsetzenden Söhnen und Brüdern die Arbeitnehmerschaft von Handlungen fernhalten, die geeignet sind, die Kraft der Kämpfenden zu lähmen. Seit Jahresfrist haben England und Frankreich, unterstützt von den Vereinigten Staaten Nordamerikas, ungeheure Massen von Geschützen und Munition an der französisch-belgischen Front aufgehäuft. Das Ungeheuerlichste, was Menschenhirn sich auszumalen vermag, ist über unsere dort kämpfenden Volksgenossen hereingebrochen. Nur ein herzloser, gewissenloser Mensch kann dazu raten, diesen die erforderlichen Verteidigungsmittel zu versagen. Diese Auffassung beherrscht nach unserer innersten Überzeugung auch die Bevölkerungskreise, die durch unsere Organisationen vertreten werden. Unsererseits wird alles geschehen, sie nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken und zu erweitern. Von unverantwortlichen Leuten ist, glücklicherweise mit ganz vereinzeltem Erfolg, versucht worden, die Arbeitseinstellungen der Waffen- und Munitionsarbeiter politischen Zwecken dienstbar zu machen. Der Wunsch nach baldiger Beendigung des blutigen Völkerringens ist, ebenso wie in anderen kriegführenden Ländern, auch im deutschen Volke groß, er ist menschlich erklärlich und verständlich. Das Bestreben, ein Mittel zu finden, die Beendigung des Krieges herbeizuführen, beherrscht auch die arbeitende Bevölkerung. Bedauerlich ist, daß einige, wenn auch unbedeutende Kreise dieses Mittel in einer Verweigerung der Herstellung der zur Landesverteidigung erforderlichen Waffen erblicken. Solche Ideen hätten jedoch die beklagten Arbeitseinstellungen in dem eingetretenen Umfange nicht herbeiführen können, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen für die Mißstimmung in der arbeitenden Bevölkerung vorhanden wären. Die wesentlichste Ursache, die die Stimmung für die Arbeitsniederlegungen schuf, ist in den unzureichenden Maßnahmen auf dem Gebiete der Ernährungspolitik zu erblicken. Den Arbeitern und Angestellten ist bekannt und die Tatsache läßt sich nicht bestreiten, daß immer noch verhältnismäßig große Mengen wichtiger Nahrungsmittel außerhalb der Rationierung, jedoch nur zu Preisen, die von der erwerbstätigen Bevölkerung nicht gezahlt werden können, erhältlich sind. Diese Nahrungsmittel werden gerade vielfach von Kreisen konsumiert, die nicht ihre volle Arbeitskraft in den Dienst der Landesverteidigung zu stellen genötigt sind. Das Verlangen, Maßnahmen zu restloser Erfassung und gerechter Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel schleunigst herbeizuführen, hat im wesentlichen den Anlaß zu den Arbeitseinstellungen gegeben. Deshalb erwarten wir bestimmt, daß die in Aussicht gestellten und zum Teil in Angriff genommenen Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung der Bevölkerung der Städte und Industriegebiete mit der nötigen Schärfe und Rücksichtslosigkeit und dem dann zu erwartenden Erfolge durchgeführt werden. Damit würde der wesentlichste Grund zur Beunruhigung der arbeitenden Bevölkerung genommen sein. Des weiteren muß alles vermieden werden, was geeignet ist, bei den Arbeitern und Angestellten das Gefühl aufkommen zu lassen, daß sie nicht die volle Beachtung und Wertschätzung ihrer Leistungen finden. Unzureichende Entlohnung, die Weigerung vieler Unternehmer, die Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der für den Lebensunterhalt erforderlichen Aufwendungen zu bezahlen, unnötige Härten bei der Durchführung des Hilfsdienstgesetzes, die vielfachen Versuche, die durch das Gesetz der Arbeitnehmerschaft zustehenden Rechte einzuschränken oder zu beseitigen, sind geeignet, eine große Mißstimmung und steten Konfliktstoff zu erzeugen. Leider haben viele Unternehmer, vornehmlich in der Großindustrie, auch während der langen Dauer des Krieges, sich nicht von den Methoden der Behandlung der Arbeitnehmer frei gemacht, die schon in Friedenszeiten zu großer Unzufriedenheit und zu scharfen Kämpfen führten und die auch jetzt unausgesetzte Reibungen hervorrufen. Hier eine Änderung herbeizuführen, sollten sich Staats- und Heeresleitung nachdrücklichst angelegen sein lassen. Wir werden immer wieder darauf hinweisen, daß diejenigen sich an unserem Lande versündigen, die durch willkürliche Herabminderung der Lieferung von Verteidigungsmitteln die Widerstandskraft unserer Truppen schwächen. Auf der anderen Seite muß aber auch alles getan werden, was erforderlich ist, die Leistungsfähigkeit der Heimarbeit zu erhalten. Werden die Pflichten mit dem tiefen Ernst, den die gegenwärtige Zeit erfordert, von allen Seiten erfüllt, so wird unser deutsches Volk auch diese schwersten Wochen des furchtbaren Weltkrieges bestehen. Ew. Exzellenz bitten wir, dem Herrn Generalfeldmarschall von Hindenburg von diesem Schreiben Kenntnis zu geben. Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands C. Legien Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften F. Behrens Verband der Deutschen Gewerkvereine (H.‑D.) Gust. Hartmann Polnische Berufsvereinigung J. Rymer Arbeitsgemeinschaft für die kaufmännischen Verbände Dr. Köhler Arbeitsgemeinschaft für ein einheitliches Angestelltenrecht S. Aufhäuser Arbeitsgemeinschaft der technischen Verbände Dr. Höfle |
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[9] Aufruf des Chefs des Kriegsamtes, Generalleutnant Groener, an die Rüstungsarbeiter, 27. April 1917 |
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An die Rüstungsarbeiter! Im Westen bei Arras, an der Aisne und in der Champagne stehen unsere feldgrauen Brüder in der schwersten und blutigsten Schlacht der Weltgeschichte, Unser Heer braucht Waffen und Munition. Habt Ihr nicht Hindenburgs Brief gelesen? „Eine unsühnbare Schuld nimmt derjenige auf sich, der in der Heimat feiert statt zu arbeiten. Für Eure Schuld mühten unsere Feldgrauen bluten". Wer wagt es, dem Rufe Hindenburgs zu trotzen? Ein Hundsfott, der streikt, solange unsere Heere vor dem Feinde stehen. Hiermit ordne ich an, daß unverzüglich in den Rüstungsbetrieben aller Art hochgesinnte Arbeiter, mutige Männer und Frauen sich zusammentun und ihre Kameraden aufklären, was die Not der Zeit und die Zukunft des Vaterlandes von uns allen fordert: Arbeit und wiederum Arbeit bis zum glücklichen Ende des Krieges. Diese mutigen Arbeiter sollen rücksichtslos gegen alle diejenigen vorgehen, die Hetzen und auf» reizen, um dem Heere die Waisen und die Munition zu e»t» ziehen. Lest Hindenburgs Brief immer wieder, und Ihr werdet erkennen, wo unsere schlimmsten Feinde stecken. Nicht draußen bei Arras, an der Aisne und in der Champagne - mit diesen werden Eure feldgrauen Söhne und Brüder fertig, nicht drüben in London - mit diesen werden unsere Blaujacken auf den Unterseebooten gründliche Abrechnung halten. Die schlimmsten Feinde stecken mitten unter uns. Das sind die Kleinmütigen und die noch viel Schlimmeren, die zum Streike Hetzen. Diese müssen gebrandmarkt werden vor dem ganzen Volke, diese Verräter am Vaterland und am Heere. Ein Feigling, wer auf ihre Worte hört. Lest im Reichsstrafgesetzbuch, was § 89 über den Landesverrat sagt. Wer wagt es, nicht zu arbeiten, wenn Hindenburg es befiehlt? Der Brief Hindenburgs und dieser Aufruf sind in allen Rüstungsbetrieben so anzuschlagen, daß jeder Arbeiter sie tag» täglich vor Augen hat als dauernde Mahnung zur Überwindung des Kleinmuts, zur Erfüllung der Pflichten gegen unser geliebtes deutsches Vaterland. Wir sind nicht weit vom Ziel. Es geht ums Dasein unseres Volkes. Glück auf zur Arbeit! |
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[10] Aufruf der Generalkommission der Gewerkschafton Deutschlands und des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschland zum 1. Mai, 27. April 1917 |
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Der erste Mai 1917. Zum dritten Male begehen wir den ersten Mai im Weltkriege. Der Tag, den die Arbeiterklasse aller Länder zu gemeinsamen Kundgebungen für Arbeiter- Schutz, für Volksfreiheit und für den Frieden bestimmt hatte, kann inmitten des mörderischsten aller Kriege kein Tag der Erhebung und der frohen Feier sein. Schmerz und Trauer beherrschen immer mehr die Menschheit, je länger dieses die gesamte europäische Kultur mit Vernichtung bedrohende Ringen dauert. Und trotzdem ist dem Wüten des Krieges noch kein Halt geboten. Ja, es sind Kämpfe entbrannt, die an Schwere alle bisherigen Schlachten übertreffen. Im Westen machen die französischen und englischen Truppen die größten Anstrengungen, um die Stellungen der deutschen Heere zu durchbrechen. Was unsere Väter, Brüder und Söhne, was die Gatten der deutschen Frauen in dem aus den Munitionswerkstätten der ganzen Welt gespeisten Trommelfeuer auszuhalten haben, grenzt ans Übermenschliche. Die dort mit ihren Leibern die deutschen Gaue vor feindlichen Einfällen schützen, haben ein Recht darauf, daß wir ihrer täglich gedenken. Gedenken nicht nur durch Worte, sondern durch die Tat. Denn unsere Brüder im Artois und in der Champagne brauchen nicht nur Worte der Anerkennung, sondern Waffen und Munition, damit sie dem Anprall ihrer Kriegsgegner Stand halten können. Diese Mittel zur Verteidigung von Heim und Herd muß und wird ihnen die deutsche Arbeiterklasse liefern. Die deutschen Arbeiter werden deshalb auch in diesem Jahre, wie in den beiden vorherigen, auf die Arbeitsruhe am 1. Mai Verzicht leisten, ebenso wie es die englischen und französischen Arbeiter tun und wie auch die russischen Arbeiter nach Meldungen aus Petersburg beschlossen haben, von einer Arbeitsruhe am l. Mai abzusehen. Leider wird durch Verbreitung von Flugblättern versucht, die Arbeiter zu einem politischen Demonstrationsstreik oder zu einem "revolutionären Generalstreik" am 1. Mai zu veranlassen. Diese Flugblätter gehen nicht von der sozialdemokratischen Partei aus. Selbst der Abgeordnete Dittmann von den unabhängigen Sozialisten hat am 23. April dieses Jahres in dem Reichstagsausschuß für das Hilfsdienstgesetz und sein Fraktionskollege Ledebour am 24. April im Plenum des Reichstags jede Verantwortung für die durch die Flugblätter betriebene Aktion abgelehnt. Diese muß deshalb von Leuten ausgehen, die keine Gemeinschaft mit der Arbeiterbewegung haben. Arbeitseinstellungen zu politischen Demonstrationszwecken sind gegenwärtig unverantwortlich und müssen auf das schärfste verurteilt werden. Wer eine solche fordert, ladet schwere Schuld auf si<h gegenüber den im Felde Stehenden, der Arbeiterschaft und den Frauen und Kindern in der Heimat, die einen baldigen Frieden ersehnen. Die Arbeiter werden unsere Mahnung beherzigen. Von unseren Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern erwarten wir, daß sie in diesen schwersten Stunden, die unser Volk zu ertragen hat, die Organisationsdisziplin mehr denn je aufrechterhalten und jeder von unverantwortlicher Seite kommenden Aufforderung zu Arbeitseinstellungen Widerstand entgegensetzen werden. Wenn wir unter dem Zwange der von uns nicht gewollten und nicht geschaffenen Verhältnisse am 1. Mai keine besonderen Kundgebungen veranstalten, so gibt uns doch gerade dieser den Zukunftsforderungen des Proletariats gewidmete Tag Anlaß, die Arbeiterklasse an die Verpflichtungen zu erinnern, die wir in der nächsten Zeit erfüllen müssen. Noch ist der Friede nicht da! Aber die Aufgaben, die er uns bringt, erheischen heute schon die größte Aufmerksamkeit aller Werktätigen. Schwer seufzen die breiten Massen des Volkes in allen Ländern unter der Lebensmittelnot. Hier gilt es, die Kraft der Arbeiterklasse einzusetzen für eine dauernde, gerechte, jede Bevorzugung ausschaltende Verteilung der täglichen Nahrung. Es gilt weiter dafür einzutreten, daß die durch die Kriegsverhältnisse erzwungene übermäßige Arbeitszeit wieder herabgesetzt wird. Der unterernährte Körper der Schwer- und Schwerstarbeiter und der werktätigen Frauen erheischt eine längere Ruhezeit und erfordert dringend die Wiedereinführung und den weitgehendsten Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung. Die Erhaltung der menschlichen Rasse, ihre geistige und körperliche Entwicklung verlangt geradezu die gesetzmäßige Einführung des Achtstundentages, für dessen Propagierung 1889 der internationale Sozialistenkongreß in Paris den 1. Mai bestimmte. Noch ist der Frieden nicht da! Aber wir haben die zuversichtliche Hoffnung, daß nach Abschluß der mörderischen Kämpfe im Westen der Tag des Friedens ‑ angesichts der grausigen Opfer des Krieges zwar viel zu spät ‑ doch kommen wird. Dann werden unsere Genossen wieder heimkehren und es gilt, für die Zeit der Übergangswirtschaft für sie zu sorgen, Arbeite- und Verdienstlosigkeit von ihnen fernzuhalten. Es gilt, ihnen die Treue zu halten, indem wir ihre Rechte wahren. Und ihre Rechte mehren! Das deutsche Volk kämpft seit fast drei Jahren gegen zahllose Gegner um seine Existenz. Wegen seiner Leistungen ist es als ein Volk von Helden gepriesen worden. Es gilt, aus dieser Lobpreisung die Folgerung zu ziehen, und zwar nicht erst nach Friedensschluß. Die volle Gleichberechtigung in Reich, Staat und Gemeinde muß für alle Volksgenossen durchgesetzt werden. Das muß die Gabe sein, die für das ganze Volk bereit steht, wenn es die Waffen ablegt, um sich wieder im Frieden unter den schwierigsten wirtschaftlichen Verhältnissen der Arbeit zu widmen. Die Zeit des freien Wahlrechts ist aber nicht nur für unsere Kämpfer draußen, sondern auch für unsere Frauengekommen. Sie haben in der Heimat, in schwerer Not und unter einem die Seele zermürbenden Bangen um das Schicksal ihrer Lieben draußen ausgehalten und damit allein den Weiterbestand der deutschen Volkswirtschaft ermöglicht. Wir fordern, daß den Frauen die gleichen Staatsbürgerrechte nicht länger vorenthalten werden. Noch ist der Friede nicht da! Aber die Zeichen deuten, daß dieser grausamste der Kriege aller Zeiten endlich seinen Höhepunkt überschreitet. In allen Ländern wird in den breiten Massen in steigendem Maße die Friedenssehnsucht zum Friedenswillen. Wir erwarten, daß dieser Friedenswille jetzt so erstarkt, daß er die Kräfte niederzwingt, deren Politik geeignet ist, den Krieg sinnlos und zwecklos zu verlängern. Die Organisationen der deutschen Arbeiterklasse haben seit Kriegsbeginn ihren Friedenswillen betont. Sie waren unablässig bemüht, die Internationale der Arbeiter um. das Programm für einen Frieden zu sammeln, der die politische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit der Völker gewährleistet, der von Annexionen absieht, die den Keim zu neuen Kriegen 'legen würden, und der die Gewähr der Dauer in sich trägt, weil er kein Volk demütigt. Nachdem das russische Volk in bewundernswerter Weise den Zarismus weggefegt, nachdem die russische Arbeiterklasse gezeigt hat, daß sie nicht nur imstande ist, die Errungenschaften der Revolution zu sichern und zu festigen, sondern daß sie auch ihre Macht in die Wagschale des Friedens werfen will, dürfen wir erwarten, daß der Frieden siegt. Für einen baldigen Frieden zu arbeiten, ist jetzt die wichtigste Aufgabe. Wir werden tun so erfolgreicher für ihn und für die gesamte Zukunft der Arbeiterklasse wirken können, je fester wir unsere Reihen schließen. Wir wollen am ersten Mai wie in vergangenen Jahren uns wieder in Partei und Gewerkschaft zusammenscharen, um mit vereinter Kraft für unsere Ideale zu wirken, bis wir die Macht haben, sie durchzusetzen. |
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[11] Flugblatt der Spartakusgruppe, April 1917 |
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Die Lehren des großen Massenstreiks Arbeiter! Genossen! Der Massenstreik der Berliner Arbeiter ist vorbei ‑ das Massenelend, die Massenentrechtung, der Belagerungszustand und der Völkermord dauern fort! Und auch die Hungersnot! Die Regierung hat zwar versprochen, den Ausfall an Brot durch reichlichere Zuteilung von Fleisch und Kartoffeln auszugleichen. Das Volk solle es nicht schlimmer haben als vor der Kürzung der Brotration. Ja, aber war denn unsere Ernährung vordem auch nur halbwegs ausreichend? Hatten wir nicht den größten Mangel an unentbehrlichen Lebensmitteln zu ertragen? Haben wir nicht zusehen müssen, wie unsere Frauen und Kinder dahinsiechten, wie unsere Arbeitskraft ‑ die einzige Quelle unseres Lebensunterhalts ‑ immer mehr schwand?! Wir haben uns also von der Regierung mit der Zusage des alten Elends abspeisen lassen! Aber die Hauptsache ist, daß die Regierung gar nicht imstande ist, ihre Zusage einzuhalten, es sei denn unter Bedingungen, die uns mit Grauen und Entsetzen um die nahende Zukunft erfüllen müssen. Es gibt nämlich weder Kartoffeln noch Vieh genug in Deutschland, um die versprochenen Zulagen auf die Dauer gewähren zu können. Wenn es jetzt möglich wäre, die Arbeiter reichlicher zu versorgen, so wäre es doch ein unerhörtes Verbrechen gewesen, sie bis dahin am Hungertuch nagen zu lassen. Tatsächlich aber verheimlichen die Anstifter des Krieges dem Volke die Wahrheit. Die Zusatzrationen können nur dann verabfolgt werden, wenn wir die Saatkartoffeln und das Zuchtvieh zu einem beträchtlichen Teile verzehren. Betritt aber die Regierung ‑ um sich vor dem Volkszorn und einer Revolution wie in Rußland zu retten ‑ diesen Weg, so gehen Millionen deutsche Männer und Frauen schon im nächsten Winter dem nackten Hunger und Hungertod entgegen. Die einzige Rettung aus dem Abgrund, in den die Regierung das Land hinabgestoßen hat, ist die sofortige Herbeiführung des Friedens! Die Regierung geht aber auf Länderraub aus, sie will keinen Frieden, der auch für die sog. „feindlichen" Staaten annehmbar wäre. Und sollte sie den Frieden nach eigenem Herzen gestalten und schließen dürfen, so würde er immer ‑ das wissen wir alle nur zu gut ‑ im Interesse des Militarismus und Imperialismus, der Junker- und Kapitalistenklasse und gegen die Lebensinteressen des deutschen Proletariats ausfallen. Daher ist es die dringendste Aufgabe der deutschen Arbeiter, den Frieden ‑ ganz so wie es jetzt unsere russischen Brüder tun ‑ zu erzwingen und ihn den Interessen des internationalen Proletariats entsprechend zu gestalten, damit wir unsern Frieden und nicht den Frieden der Imperialisten haben. Es galt daher, den Massenstreik zu einem millionenstimmigen Ruf nach Frieden anschwellen zu lassen, der in den Kasernen und Schützengräben wie ein zündender Funke gewirkt hätte; es galt für Berlin, unbeugsam im Kampfe auszuharren, bis das ganze Proletariat im Reiche sich um die Berliner Arbeiterschaft geschart hätte; es galt, eine neue Massen- und Kampforganisation zur Erringung des Friedens und der Freiheit im Gefecht selbst zu schaffen; und vor allem galt es, die Ernährungsfrage dem Friedenskampf ganz unterzuordnen, da jene mit diesem unlösbar verbunden und für sich allein gar nicht gelöst werden kann. Statt dessen haben sich die streikenden Massen hinters Licht führen lassen. Statt die große politische Friedensfrage in ihrer ganzen Tragweite aufzurollen, ließen sie sich auf das enge Gebiet der Verhandlungen über die Kartoffel- und Fleischzulage locken. Und zu den hundert behördlichen und bürgerlichen "Kommissionen", die bereits seit bald drei Jahren an der Unterernährung des Volkes erfolglos herumdoktern, fügten sie eine neue "ständige Kommission" aus Arbeitern mit den Herren Cohen, Körsten und Siering an der Spitze hinzu, der die Regierung gnädigst das Recht zugestanden hat, im Notfall bei der hohen Obrigkeit "beschwerdeführend" "vorstellig" zu werden und unter obrigkeitlicher Leitung in die wirtschaftliche Lage "Einsicht zu nehmen". Als ob die Beschwerden ohne ständige Kampforganisation und Kampfbereitschaft der Massen zu etwas führen könnten, als ob die Arbeiterkommission die Möglichkeit hätte, die Angaben der Geheimräte vom Ernährungsamt irgendwie zu prüfen! Auch hier also ist das Zugeständnis der Regierung nichts als eine hohle Nuß! Arbeiter! Genossen! Der soeben beendete Kampf ist nur der Anfang einer Reihe schwerer Kämpfe, die unser harren. Und deshalb ist es geboten, sich die begangenen Fehler mit aller Offenheit und Rücksichtslosigkeit einzugestehen und vor Augen zu halten. Woran lag es, daß die Bewegung nicht schon auf den ersten Anlauf hin zum Ziele gelangen konnte? Vor allem zweifellos an der Unklarheit bei großen Teilen der breiten Masse über das Ziel selbst und die Mittel seiner Erreichung. Dann aber daran, daß wir es nicht vermochten, den politischen Massenstreik, der sich gegen die Regierung und die durch den Krieg geschaffene Lage richtete, von den hergebrachten gewerkschaftlichen Kämpfen zu unterscheiden, bei denen die Gewerkschaftsinstanzen als anerkannte und berufene Führer der Arbeiter fungierten. Nur deshalb konnten Individuen wie ein Siering, Körsten und der Vorsitzende des Metallarbeiterverbandes, der sattsam bekannte und berüchtigte Cohen, es wagen, die Zügel der Bewegung zu ergreifen. Denn in der Tat ‑ was hatten die offiziellen Gewerkschaftsinstanzen, die Herren Cohen und Konsorten, mit der Massenauflehnung der Arbeiter zu tun, daß sie das maßgebende Wort mitsprechen durften?! Zahlen etwa die Gewerkschaften eine Entschädigung für die Streiktage? Waren es die Gewerkschaftsführer, die die Masse zum Ausstand aufgefordert haben? Oder sind diese drei Herren begeisterte Anhänger des politischen Massenstreiks? Mitnichten! Das Gegenteil von alledem ist der Fall. Die Gewerkschaftsinstanzen suchten der Bewegung mit allen Mitteln entgegenzuarbeiten. Seit Jahr und Tag toben und wüten sie in Versammlungen, Presse und Flugblättern gegen die "Streikapostel" und "Aufwiegler", sie drohten den Arbeitern mit dem Schützengraben, sie verleumdeten die Anhänger der Massenaktion als "Agenten der feindlichen Regierungen" und handelten selbst wie freiwillige Agenten des Berliner Polizeipräsidiums. Und trotzdem duldeten die Streikenden, daß die drei "Durchhalter", diese Stützen des Burgfriedens und geschworenen Feinde des Massenstreiks, mit den Behörden verhandelten und in der "ständigen Kommission" als Vertreter der Arbeiter Sitz und Stimme erhielten! Arbeiter! Genossen! Wir haben den Bock zum Gärtner bestellt! Die drei Judasse haben sich an die Spitze der Bewegung gestellt, nur um dem Massenstreik das Genick zu brechen, um den Kampf auf falsche Bahnen hinüberzuleiten und die Bewegung im ganzen zu verzetteln. Die Regierung brauchte weder Maschinengewehre noch ihre Polizistenscharen in Aktion treten zu lassen. Die drei haben die schmutzige Arbeit übernommen, die kämpfenden Arbeiter durch niederträchtige Hinterlist zu überwältigen. Aber so darf es nicht bleiben! Die begangenen Fehler müssen gutgemacht werden: 1. Die drei "Durchhalter" müssen aus der "ständigen Kommission" entfernt werden. Letztere ist nicht von Gottes Gnaden, sie wurde von der Obmännerversammlung gewählt, und diese Versammlung kann eine neue Kommission einsetzen, wobei außer der Metallindustrie auch die Arbeiterschaft anderer Branchen eine Vertretung in der Kommission haben soll. 2. Unabhängig von dieser Kommission, der für den weiteren Kampf wenig Bedeutung zukommt, ist es dringendste Aufgabe, eine besondere Massenorganisation der Berliner Arbeiterschaft zum Kampf für den Frieden ins Leben zu rufen. Die dazu stehenden Arbeiter eines jeden Betriebes hätten dann ihre Delegierten zu wählen. Die Delegierten müßten einen Ausschuß einsetzen, dem die Leitung des Massenkampfes und der Massenaktionen übertragen werden soll. Arbeiter! Genossen! Dies ist der einzige Weg, der zum Ziele führt: durch Kampf, durch Massenstreik zum Sieg! Und dazu ist vor allem eine Kampforganisation notwendig. Trotz der begangenen Fehler ist und bleibt der Massenstreik vom 15./17. April ein Ruhmesblatt und ein Markstein in der Geschichte des deutschen sozialistischen Proletariats. Ohne Belagerungszustand ‑ vielmehr trotz desselben ‑, ohne Zwangsgesetze und militärische Disziplin hat sich eine Proletarierarmee von über 300 000 Arbeiterinnen und Arbeitern ‑ was einer Stärke von 10 Armeekorps entspricht ‑ in wunderbarer Einmütigkeit und Ordnung von selbst mobilisiert. Die verlegenen Berichte in der bürgerlichen Presse, die schlotternde Angst der Regierung, die verlogene Botschaft des Abgottes der Imperialisten, Hindenburgs, sind der beste Beweis dafür, wie sehr sich die Feinde der Arbeiter vor der neuen Waffe fürchten. Das in der offiziellen Arbeiterbewegung von den Instanzen verpönte und gehaßte Prinzip der selbständigen Massenaktion ist auf der ganzen Linie zum Durchbruch gekommen und hat gesiegt; neue gewaltige Ausblicke eröffnen sich für die Arbeiterbewegung in Deutschland. Das war der erste große Massensturmlauf der deutschen klassenbewußten Arbeiterschaft. Am 1. Mai wird der zweite Sturmlauf folgen. Arbeiter! Rüstet zum 1. Mai! An diesem Tag soll in den Werkstätten und Fabriken die Arbeit vollständig ruhen! Auf zum Kampf für Frieden, Freiheit, Brot! Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, Wenn dein starker Arm es will! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! |
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10. Januar, USPD, Erklärung (Auszüge) [12]: [...] Männer und Frauen des werktätigen Volkes! Es ist keine Zeit zu verlieren! Nach allen Schrecken und Leiden droht neues, schwerstes Unheil unserem Volke, der gesamten Menschheit! Nur ein Frieden ohne Annexionen und Kontributionen auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker kann uns davor retten. Die Stunde ist gekommen, eure Stimme für einen solchen Frieden zu erheben! Ihr habt jetzt das Wort! Flugblatt, Spartakusgruppe (Auszüge) [13]: [...] Bevor wir die Betriebe verlassen, müssen wir uns eine frei gewählte Vertretung nach russischem und österreichischem Muster schaffen mit der Aufgabe, diesen und die weiteren Kämpfe zu leiten. Jeder Betrieb wähle pro tausend beschäftigter Arbeiter je einen Vertrauensmann; Betriebe mit weniger als tausend Arbeitern wählen nur einen Vertreter. Die Vertrauensmänner der Betriebe müssen an jedem Orte sofort zusammentreten und sich als Arbeiterrat konstituieren. Außerdem wird für jeden Betrieb ein leitender Ausschuß gewählt. Sorgt dafür, daß die Gewerkschaftsführer, die Regierungssozialisten und andere „Durchhalter" unter keinen Umständen in die Vertretungen gewählt werden. Heraus mit den Burschen aus den Arbeiterversammlungen! Diese Handlanger und freiwilligen Agenten der Regierung, diese Todfeinde des Massenstreiks haben unter den kämpf enden Arbeitern nichts zu suchen! [...] |
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[14] Aufruf der Spartakusgruppe, Januar 1918 |
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Hoch der Massenstreik! Auf zum Kampf! Arbeiterinnen! Arbeiter! Die Kriegsziele der deutschen Regierung liegen nunmehr klar zutage. Alle Zweifel sind zerstreut, alle Ableugnungen vergeblich. Bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk mußte der deutsche Militarismus endlich die Maske lüften. Raub fremder Länder, Unterjochung fremder Völker, gewaltsame Annexionen und die Herrschaft des deutschen Säbels in der Welt: das sind die Kriegsziele der deutschen Regierung. Sie hat sich in Brest-Litowsk geweigert, die deutschen Truppen aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Nicht genug, daß Polen, Litauen, Estland, Livland jetzt von den deutschen Machthabern erdrosselt und ausgeplündert werden, die dortige Bevölkerung soll auch nach Friedensschluß durch deutsche Kanonen und deutsche Maschinengewehre verhindert werden, eine freie Entscheidung über ihr künftiges politisches Schicksal und ihre Staatszugehörigkeit zu treffen. Und um die Brutalität durch Schamlosigkeit noch zu überbieten, verlangten die deutschen Vertreter in Brest-Litowsk, daß der Wille der von Deutschland in den besetzten Gebieten ernannten Beamten, dieser elenden Drahtpuppen in der Hand der Berliner Machthaber, bei der Entscheidung der Frage über die Zukunft dieser Ländereien als Willensausdruck der betreffenden Nationen gelten soll. So sieht das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" aus, das die deutsche Regierung sich feierlich verpflichtete anzuerkennen und zu respektieren, und so der "Friede ohne gewaltsame Annexionen", den sie vorschützte zu wollen und anzunehmen! Arbeiter! Man will uns einreden, der Separatfriede mit Rußland sei der Anfang zum allgemeinen Frieden. Eitle Hoffnung dies und törichte Verblendung bei den Gläubigen, bewußter Volksbetrug seitens der Regierung! Das Gegenteil ist die Wahrheit. Das ganze Streben und Trachten der Regierung ist darauf gerichtet, durch einen Separatfrieden mit Rußland Rückendeckung im Osten zu bekommen, um das menschliche Kanonenfutter vom Osten nach dem Westen zu kommandieren und alle Kräfte mit doppelter Wucht gegen England, Frankreich und Italien zu werfen. Jeder Separatfrieden mit Rußland, auch wenn der deutsche Imperialismus auf die sofortige Bergung der russischen Beute, das heißt auf eine offene Annexion der russischen Gebiete, zunächst verzichten würde, bedeutet nur eine ungeheuere Verschärfung und Verlängerung des Krieges und ist in Wirklichkeit der schwerste Schlag gegen den Frieden. Zugleich ist er aber der schwerste Schlag gegen die kümmerlichen Freiheiten, die wir in Deutschland vor dem Kriege besaßen, denn sowohl die Fortdauer des Krieges wie ganz besonders der Sieg des deutschen Militarismus über die Weststaaten und die Unterjochung fremder Völker führen unabwendbar zur schwärzesten Reaktion, zur Übermacht der Säbelherrschaft, also zur politischen Knechtung der Volksmassen im Innern Deutschlands selbst. Arbeiter! Jetzt gilt es wirklich, unsere Existenz und die deutsche Freiheit mit aller Kraft zu verteidigen. Aber nicht gegen die äußeren Feinde ‑ gegen die Engländer und Franzosen jenseits der Schützengräben, sondern gegen die "Engländer und Franzosen" in unserem eigenen Hause ‑ , gegen die deutschen Junker, gegen die deutsche imperialistische Bourgeoisie und die deutsche Regierung gilt es zu kämpfen: denn wenn nicht diese Interessenten des Völkermordens wären, so hätten wir schon längst einen loyalen demokratischen Frieden mit England und Frankreich. Die Verhandlungen in Brest-Litowsk haben sogar den Blinden und Tauben die einfache, handgreifliche Wahrheit beigebracht: Entweder muß die Regierung untergehen, oder das deutsche Volk ist unabwendbar dem Untergange geweiht! Es ist keine Hoffnung und es gibt keine Mittel, von dieser Regierung und von den sie stützenden imperialistischen Klassen den Friedensschluß zu erzwingen. Nur der Sturz dieser Regierung, nur die Zerschmetterung der Macht der Bourgeoisie, mit anderen Worten: Nur die Volksrevolution und die Volksrepublik in Deutschland würden imstande sein, den allgemeinen Frieden in kürzester Frist herbeizuführen. Denn vor der Deutschen Republik werden auch die jetzt von unserem Halbabsolutismus und Imperialismus bedrohten Weststaaten unter dem Druck der Arbeiter dieser Länder sofort die Waffen strecken müssen. Die proletarische Revolution in Deutschland bedeutet die Arbeiterrevolution in der ganzen Welt. Daher fort mit dem Separatfrieden! Allgemeiner Frieden und Republik in Deutschland! Das ist das Ziel, an das wir unsere Blicke heften, indem wir in den Kampf treten. Deutsche Proletarier! Wir rufen euch zum ersten Waffengang in diesem Kampfe auf: Rüstet zum allgemeinen Massenstreik in den nächsten Tagen! Setzt alles dran, daß die Arbeitsruhe eine allgemeine, eine vollständige wird, daß vor allem die Produktion der Mordwerkzeuge in der Munitionsindustrie aufhört. Sorgt dafür, daß aller Verkehr, auch der Verkehr der Eisenbahnen und Straßenbahnen, eingestellt werden muß und daß auch in den städtischen und anderen öffentlichen Werken die Arbeit ruht. Vor allem aber sorgt dafür, daß die Kunde von dem Massenstreik auch an die Front, in die Schützengräben dringt und dort einen mächtigen Widerhall findet, daß die Urlauber überall mit den Arbeitern gemeinsame Sache machen, die Streikversammlungen besuchen und an Straßenaktionen teilnehmen. Arbeiter! Es gilt zu kämpfen, nicht zu demonstrieren! Keine Schaustellungen und hohle Paraden, die jeden Eindruck verfehlen und zu nichts führen! Es handelt sich nicht darum, unsern Willen kundzutun, sondern unsern Willen durchzusetzen. Die Regierung hat tausendmal bewiesen, daß sie auf den Volkswillen pfeift, wenn er nicht durch entschlossene Taten und rücksichtslosen Kampf zum Ausdruck gebracht wird. Die Arbeit soll nicht eher aufgenommen werden, als bis unsere folgenden Forderungen erfüllt sind: 1. Die sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes, der Zensur und aller sonstigen Beschränkungen der Presse. 2. Unbeschränkte Vereins- und Versammlungsfreiheit. 3. Unbeschränktes Koalitions- und Streikrecht. 4. Aufhebung des Arbeitszwangsgesetzes. 5. Die Befreiung aller wegen politischer Betätigung Verurteilten und Inhaftierten und die Niederschlagung aller politischen Prozesse. Es sind dies Mindestforderungen, deren Erzwingung uns erst die notwendige Freiheit verschaffen soll, um den Kampf für den Frieden und die Republik auf der ganzen Linie mit aller Kraft aufzunehmen. Kein Arbeiter soll in das Joch der kapitalistischen Fron zurückkehren, solange diese Forderungen nicht verwirklicht worden sind. Arbeiter! Fort mit dem Kadavergehorsam, mit der Trägheit, mit allen egoistischen Rücksichten und Bedenken! Ermannen wir uns auf unsere Pflicht uns selbst, unsern Brüdern in den Schützengräben und unsern Brüdern jenseits der Grenzen gegenüber! Wir kämpfen ums Leben, ums Leben der ganzen Menschheit, die im Blutmeer untergeht. Auf zum Massenstreik! Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne Deine Macht! Alle Räder stehen still, Wenn Dein starker Arm es will. Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! Frieden! Freiheit! Brot! |
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[15] Resolution des Parteiausschusses der SPD, 30 Januar 1918 |
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I. Der Parteiausschuß stellt fest, daß sich die gegenwärtige Streikbewegung nicht gegen die Landesverteidigung richtet und nicht die Ziele eines feindlichen Imperialismus fördern will. Sie ist aus einer tiefen Mißstimmung entstanden, die durch die Ernährungsschwierigkeiten und den Druck des Belagerungszustandes hervorgerufen wurde. Das Treiben der Reaktion im preußischen Dreiklassenhaus, das auf die Verhinderung der preußischen Wahlreform gerichtet ist, das herausfordernde Auftreten der sogenannten Vaterlandspartei und die unklare Haltung der Regierung in der Friedensfrage haben diesen Stimmungsdruck verschärft. Da alle Ratschläge und Warnungen der Sozialdemokratischen Partei ungehört verhallten, wurde ein Ausbruch dieser Volksstimmung unvermeidlich. Durch den Eintritt sozialdemokratischer Abgeordneter beider Fraktionen in die Streikleitung war die volle Gewähr dafür gegeben, die Bewegung in geordneten Bahnen zu halten und sie rasch, ohne Schädigung der Allgemeinheit zum Abschluß zu bringen. Voraussetzung war, daß die Regierung auf Gewaltmaßregeln verzichtete und Forderungen erfüllte, die von einer erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung als berechtigt anerkannt werden. Statt diesen Weg zu gehen, hat die Regierung unter kleinlich formalistischen Vorwänden Verhandlungen mit den Arbeitervertretern der Streikenden abgelehnt. Sie hat zugleich geduldet, daß ihr nachgeordnet« Organe mit erbitternden Unterdrückungsmaßregeln gegen die Bewegung vorgingen. Das Versammlungsrecht wurde vollständig unterdrückt, der „Vorwärts" verboten, schließlich der gewählten Streikleitung jede Betätigung untersagt. Die Folge davon ist, daß sich der Streik explosionsartig auf immer neue Gruppen ausdehnt und daß er auf immer neue Orte überspringt, jeder Regelung und Kontrolle entbehrend. Die Verantwortung für diese Entwicklung der Dinge trifft jene Stellen, die sich vor Ausbruch des Streiks und während seiner Dauer beharrlich geweigert haben, die Stimme der Vernunft zu hören, und deren Politik offensichtlich auf die Erzwingung eines Macht- und Gewaltfriedens gegen die eigene Bevölkerung hinsteuert. Die Sozialdemokratische Partei hat sich während des ganzen Krieges rückhaltlos zur Landesverteidigung bekannt. Die Landesverteidigung wird jedoch gefährdet durch die politische Einsichtslosigkeit derer, die den Krieg zu kriegverlängernden, vom Volke nicht gebilligten Zielen führen wollen, die dem Volk versprochenen Rechte verweigern und jeden Protest gegen einen immer unerträglicher werdenden Druck mit verstärktem Druck beantworten. Darum müssen sich heute alle Kräfte vereinigen, um eine Abkehr von dem verhängnisvollen Kurs herbeizuführen, im Interesse der Selbsterhaltung unseres Volkes und eines baldigen, gerechten Friedens. II. Der Parteiausschuß fordert die Reichsregierung auf, sich in eindeutiger Weise zu erklären: 1. für die ausgiebigere Lebensmittelversorgung durch Erfassung der Lebensmittelbestände bei den Erzeugern und in den Handelslagern zur gleichmäßigen Zuführung an alle Bevölkerungsklassen; 2. für ihre Bereitwilligkeit, schleunigst den Belagerungszustand aufzuheben; sofort aber alle, das Vereins- und Versammlungsrecht sowie die freie Meinungsäußerung durch die Presse einschränkenden Bestimmungen zu beseitigen; 3. für die Aufhebung der Militarisierung der Betriebe; 4. daß sie entschlossen ist, die schnellste Durchführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für Preußen mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu sichern; 5. daß sie bereit ist zu einem allgemeinen Frieden ohne offene oder verschleierte Annexionen und Kontributionen auf Grund des nach demokratischen Grundsätzen durchzuführenden Selbstbestimmungsrechts der Völker. |
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[16] Entschließung einer Konferenz von Vorstandsvertretern der gewerkschaftlichen Zentralverbände, 1. Februar 1918 |
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Die Vertreter der Gewerkschaften haben einmütig die Auffassung, daß für die jetzigen politischen Streiks in erster Linie die innerpolitischen Verhältnisse und die Haltung der Regierung verantwortlich zu machen sind. Die Gewerkschaften stehen diesen Streiks fern, ihre Leitungen sind an ihnen in keiner Weise beteiligt. Wohl aber sind von den Gewerkschaftsleitungen die entscheidenden Stellen im Reich seit Monaten mündlich und schriftlich ersucht worden, die Ursachen zu beseitigen, welche die steigende Erbitterung der arbeitenden Bevölkerung hervorgerufen haben. Leider haben diese Warnungen keine genügende Beachtung gefunden. 1. Die Anordnungen der stellvertretenden Generalkommandos, die der Arbeiterschaft die Ausübung des Vereins- und Versammlungsrechts beschränken oder völlig unmöglich machen sowie die freie Meinungsäußerung durch die Presse verhindern, sind nicht gemildert, sondern zum Teil verschärft worden. 2. Die Ernährung der Bevölkerung ist entgegen den Vorschlägen der Gewerkschaften in einer Weise geregelt worden, die den Schleichhandel und Lebensmittelwucher ermöglicht und die Produkte nicht bei dem Erzeuger erfaßt. Die unzureichende Ernährung der großen Masse des Volkes ist nicht allein auf den Mangel an Nahrungsmitteln, sondern zum großen Teil auf die ungenügende Organisation zu ihrer Erfassung zurückzuführen. |
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[17] Schreiben der Generalkommission der Gewerkschaften an den Reichskanzler, mit der obenstehenden Entschließung als Beilage, 4. Februar 1918 |
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Ew. Exzellenz beehren wir uns in der Anlage eine Entschließung der Konferenz der Vertreter der Vorstände der gewerkschaftlichen Zentralverbände vom 1. Februar 1918 ergebenst zu überreichen. Wir möchten auch hierbei besonders nochmals betonen, daß die Wiederholung der bedauerlichen Streikbewegung am sichersten dadurch vermieden werden kann, daß den berechtigten Wünschen und Beschwerden der Arbeiter Rechnung getragen wird. Ergebenst Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands G. Bauer, Mitglied des Reichstags |
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[18] Flugblatt der Spartakusgruppe, Februar 1918 |
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Ausharren um jeden Preis! Wir bleiben felsenfest ‑ bis zum Siege! Die Machthaber wollen nicht den Frieden. Nicht nur mit dem "äußeren Feind" wollen sie ihn nicht, auch gegen das deutsche Volk selbst wollen sie Krieg führen. Der Arbeiterrat wird von den Behörden nicht anerkannt, die streikenden Arbeiter werden als Verbrecher hingestellt, mit dem Polizeisäbel und der Polizeifaust mißhandelt, durch Kriegsgerichte mit Gefängnisstrafe bedroht! Arbeiterinnen und Arbeiter! Den verschärften Belagerungszustand beantworten wir durch zehnfach verstärkten Kampf! Die Regierung will uns die Zentralkommission der Gewerkschaften, die Herren Bauer, Legien und Konsorten, das heißt ihre eigenen Helfer, die mit ihr während des Krieges durch dick und dünn gingen, als Vertreter der Berliner Arbeiterschaft aufzwingen. Wir weisen diesen anmaßenden und hinterlistigen Versuch mit untauglichen Mitteln mit Entrüstung und Verachtung zurück! Der einzige berufene Vertreter der kämpfenden Berliner Arbeiterschaft ist der frei gewählte Berliner Arbeiterrat, und wenn die Regierung unsere Vertreter nicht anerkennt, so beantworten wir diese Herausforderung durch Nichtanerkennung der Regierung und ihrer Organe, durch den Kampf der Massen mit allen Mitteln gegen ihre brutale Gewaltpolitik. Gewalt gegen Gewalt! Man konnte voraussagen, daß alle Verhandlungen mit der Regierung zwecklos sind; nur ein Tor kann von ihr etwas erwarten. Aber es galt, dies den Arbeitermassen, dem ganzen deutschen Volke vor Augen zu führen. Die Weigerung der Regierung hat alle Zweifel zerstreut. Nun gilt es jetzt, nicht zu verhandeln, sondern zu handeln! Arbeiter der militarisierten Betriebe! Keiner von euch darf dem Ukas des Oberkommandos Folge leisten. Hinter euch steht die gesamte Berliner Arbeiterschaft. Es sind mehrere Drohungen der Gewalthaber, die euch durch schwere Strafen einzuschüchtern versuchen. Die Zehntausende von Arbeitern, die in diesen Betrieben streiken, kann man nicht ins Gefängnis stecken. Pfeift auf diese Drohungen! Einer für alle, alle für einen l Wenn wir nur fest zusammenhalten und wie eine Mauer den Drohungen und Gewaltakten der Säbelritter trotzen, werden alle Maßnahmen rückgängig gemacht werden müssen, dessen kann man im voraus sicher sein. Arbeiter! Es darf keinen Stillstand in der Bewegung geben. Tragen wir Sorge dafür, daß sie immer um sich greift, schreiten wir in unserem Kampfe vorwärts. Erwarten wir nicht alles vom Arbeiterrat und seinem Aktionsausschuß. Der Segen kommt nicht von oben. Er liegt in den Massen selbst, in ihrem unmittelbaren Kampfe. Die Entscheidung über den Ausgang unseres Kampfes wird nicht auf dem Verhandlungstisch, nicht im Aktionsausschuß und sogar nicht im Arbeiterrat, sondern einzig und allein auf der Straße fallen. Der Arbeiterrat ist von den Polizeibütteln gesprengt, der Aktionsausschuß ist verfolgt, um die Leitung der Bewegung unmöglich zu machen. Wir fordern daher die gewählten Betriebsvertreter in den einzelnen Stadtteilen auf, sich ‑ überall, wo dies noch nicht geschehen ist ‑ nach Bezirken und Unterbezirken zu organisieren und Ausschüsse einzusetzen, die die Bewegung im Bezirk zu leiten haben. Den Gewaltakten der Polizei muß rücksichtsloser, hartnäckigster Widerstand mit allen Mitteln geleistet werden. Die noch arbeitenden Betriebe müssen um jeden Preis stillgelegt und der Straßenbahnverkehr muß eingestellt werden. Arbeiter! Vor allem sucht mit allen Mitteln unsere Brüder im Waffenrock, das Heer, für die Sache des Friedens und der Freiheit zu gewinnen. Die Gewaltherrschaft stützt sich auf Bajonette und ist verloren, sobald diese ihr aus der Hand gewunden sind. Arbeiter! Genossen! Wir müssen mit der Reaktion "russisch" reden! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! Hoch der Kampf um Frieden, Freiheit und Brot! |
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[19]: Darstellung durch P. Scheidemann: Am 28. Januar 1918 lief schon am frühen Morgen die Nachricht im Vorstand der Sozialdemokratischen Partei ein, daß in zahlreichen Berliner Betrieben die Arbeit niedergelegt worden sei. Es erschienen dann in schneller Folge Arbeiterdeputationen von Mitgliedern unserer Partei aus vielen Betrieben, die über die rasch um sich greifende Bewegung informierten und die Bitte aussprachen, daß der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Vertreter in die Streikleitung entsenden möge; das sei zweifellos für den guten Verlauf des Streiks, der auch nach ihrer Überzeugung notwendig geworden sei, von der größten Wichtigkeit. Wir entgegneten, daß der Streik ohne irgendwelches Zutun der Partei oder der Gewerkschaften entstanden sei; die Arbeiter der vom Streik betroffenen Betriebe hätten bereits Delegierte entsandt, die sich zu einem „Arbeiterrat" konstituiert hätten, der eine Streikleitung gewählt und bestimmte politische Forderungen aufgestellt habe. Angesichts dieser Tatsachen könne uns niemand zumuten, nachträglich eine Verantwortung zu übernehmen. Die Frage der Arbeiter, ob wir eine Delegation in die Streikleitung zu entsenden bereit sein würden, wenn die Delegiertenversammlung der Streikenden uns selbst darum ersuche, wurde nach eingehender Aussprache bejaht. Es kam für uns in Betracht, die Bewegung in geordneten Bahnen zu halten und so schnell als möglich durch Verhandlungen mit der Regierung geschlossen zum Abschluß zu bringen. Daraufhin ging eine Kommission der bei uns vorstellig gewordenen Arbeitervertreter in die gerade tagende Versammlung der Delegierten, um zu beantragen, daß Vertreter der Sozialdemokratischen Partei in die Streikleitung eintreten sollten. Noch ehe sie ihren Antrag einbringen konnten, war bereits ein ähnlicher Antrag debattiert und mit 198 gegen 196 Stimmen abgelehnt worden. Die geringe Stimmendifferenz und der neue Antrag veranlaßten die Delegiertenversammlung, die Debatte von neuem aufzunehmen. Ein sozialdemokratischer Vertrauensmann begründete den Antrag in sachlicher Weise und fügte hinzu, daß der Parteivorstand bereit sein werde, eine Vertretung in die Streikleitung zu entsenden, falls die Versammlung entsprechend beschließe. Der Abg. Ledebour bekämpfte den Antrag in heftigster Weise. Er wurde aber häufig stürmisch unterbrochen. Nach den beiden Reden wurde die Debatte geschlossen. Die Abstimmung ergab nunmehr zirka 360 Stimmen für und nur etwa 40 gegen den Antrag. In das Aktionskomitee der Delegiertenversammlung traten nun zu den bereits gewählten elf Arbeiterdelegierten und den drei (unabhängigen) Abgeordneten Dittmann, Haase und Ledebour, drei Mitglieder des sozialdemokratischen Parteivorstandes: Braun, Ebert, Scheidemann. Der Eintritt erfolgte unter der den Arbeiterdelegierten unserer Partei gegenüber ausgesprochenen Voraussetzung, daß das Aktionskomitee entsprechend der mittlerweile erfolgten großen Ausdehnung des Streiks erweitert, dh in paritätischem Sinne umgestaltet und eine nochmalige Beratung der bereits aufgestellten Forderungen ermöglicht werde. 1924, Ph. Scheidemann, Magdeburger Prozeß [20]: Wir standen in der Kohlrübenzeit, Seife gab es auch nicht mehr. Alle Anzeichen deuteten auf die Weiterdauer des Krieges. Alle Familien hatten schwere Verluste. Glücklicherweise ging es nicht allen wie Ebert, der zwei Sohne verlor. Die Friedensresolution verpuffte; sie war mit der Gründung der Vaterlandspartei beantwortet worden, die neue Kriegsziele aufstellte. Die Erregung der Arbeiterschaft war auch durch die Art der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk gesteigert worden. Im Januar teilte Friedrich Naumann im Hauptausschuß des Reichstags mit, daß Flugblätter verteilt würden, in denen die Arbeiter zum Massenstreik aufgefordert wurden. Der Streik brach aus, ohne daß wir davon etwas gewußt hätten. Auf den dringenden Wunsch unserer zum Mitstreiken genötigten Parteigenossen traten wir in die Streikleitung ein mit der ausgesprochenen Absicht, den Streik so rasch wie möglich zu Ende zu bringen, durch Verhandlungen mit der Regierung den Versuch zu einer Verständigung zu machen. Kurz darauf wurde vom Oberkommandierenden in den Marken die Betätigung der Streikleitung verboten. In der Funktionärversammlung herrschte große Mißstimmung gegen uns als "Streikabwürger". Unsere Leute setzten unsern Eintritt aber durch, und es wurde uns bald darauf verboten, in dem Aktionskomitee tätig zu sein. Man verbot auch den „Vorwärts", und wir empfanden das als eine große Dummheit. Wallraf lehnte auch eine Verhandlung mit den Arbeitern ab und wir baten Giesberts, Wallraf auf die sich ergebenden Gefahren aufmerksam zu machen. Wallraf lehnte aber ab, und so waren die Arbeiter sich selbst überlassen. Ich fühlte mich verpflichtet, mich an das Verbot nicht zu kehren, und selbst auf die Gefahr einer Gefängnisstrafe hin stellte ich mich den Arbeitern zur Verfügung. Und wie notwendig das war, sah ich aus einigen Sitzungen, an deren einer auch der Reichspräsident teilnahm. Die Arbeiter wollten als Erwiderung des Kesselschen Befehls die Elektrizitätsversorgung lahmlegen. Wenn wir nicht in das Streikkomitee hineingegangen wären, dann würde wahrscheinlich das Gericht heute nicht tagen können und dann wäre der Krieg und alles andere meiner festen Überzeugung nach schon im Januar erledigt gewesen. Die Arbeiter hätten sich nicht, ohne sich zu wehren, niederschießen lassen. Es wäre ein tolles Tohuwabohu eingetreten. Andererseits bestand die Gefahr des totalen Zusammenbruchs und des Eintritts russischer Zustände. Durch unser Wirken wurde der Streik bald beendet und alles in geregelte Bahnen gelenkt. Man sollte uns eigentlich dankbar sein, statt uns zu beschimpfen. 1924, F. Ebert, Magdeburger Prozeß [21]: Ich habe nicht aufgefordert, die Arbeit wieder aufzunehmen. Das konnte ich bei der Erregung, die damals unter den Streikenden herrschte, nicht. Hätte ich es doch getan, dann hätte ich nur öl ins Feuer gegossen. Die Forderungen der Streikenden waren wirtschaftliche und auch politische. Mir ist nichts davon bekannt, daß die Partei etwa, nachdem in Berlin der Streik zu Ende war, beschlossen hätte, den Streik anderswo ins Werk zu setzen, und daß etwa der jetzige Oberpräsident Noske so etwas in Chemnitz versucht hätte. Ich bin mit der bestimmten Absicht in die Streikleitung eingetreten, den Streik zum schnellsten Abschluß zu bringen und eine Schädigung des Landes zu verhüten. Ich kann auf das bestimmteste erklären, daß die Leitung der Sozialdemokratischen Partei in Fragen der Munitionsarbeiterstreiks in ihrem Innern den Standpunkt gehabt hat, den sie äußerlich vertreten hat, daß sie diese Streiks also verurteilt hat. |
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[22] Aufruf des Parteivorstandes der SPD, 17. Oktober 1918 |
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An Deutschlands Männer und Frauen! Die innerpolitischen Verhältnisse des Deutschen Reiches haben in wenigen Tagen eine tief gehende Umwälzung erfahren, deren Bedeutung weitesten Volkskreisen noch nicht zum vollen Bewußtsein gekommen ist. Deutschland ist auf dem Wege vom Obrigkeitsstaat zum Volksstaat. In Preußen ist das gleiche Wahlrecht gesichert und damit der erste entscheidende Schritt zur Zertrümmerung der Junkerherrschaft getan. Auch in allen anderen Bundesstaaten regen sich die Volksmassen, um die Hindernisse zu beseitigen, die der freien Geltendmachung des unverfälschten Volkswillens im Wege stehen. Der Wille des Volkes oberstes Gesetz, das wird, das muß in kurzem entscheidendes Leitmotiv für die Regierung des Reiches und der Bundesstaaten werden und bleiben. Leider mußte sich die außenpolitische Lage unseres Landes erst so ungünstig gestalten, um diese Umwälzung, für die die Sozialdemokratie seit Jahrzehnten kämpft, herbeizuführen. Millionen blühender Menschenleben und unermeßliche Kulturgüter wären vor Vernichtung bewahrt geblieben, wenn das deutsche Volk in seiner Mehrheit sich nicht den Herrschenden anvertraut, sondern längst seine Geschicke in die eigene Hand genommen hätte. Jetzt ist die Lage unseres Landes bitter ernst. Die Südostfront ist zusammengebrochen, und an der Westfront stürmen die Massenheere der Entente, der die Menschen und Wirtschaftskräfte von drei Weltteilen zur Verfügung stehen, mit furchtbarem Übergewicht an Menschen und Material gegen unsere Truppen an. Deutschland und das deutsche Volk ist in Gefahr, das Opfer der Eroberungssucht englisch- französischer Chauvinisten und Eroberungspolitiker zu werden. Was wir am 4. August 1914 erklärt haben: „In der Stunde der Gefahr lassen wir unser Vaterland nicht im Stich", gilt heute in verstärktem Maße. Mit einem Frieden der Vergewaltigung, der Demütigung und der Verletzung seiner Lebensinteressen wird sich das deutsche Volk nie und nimmer abfinden. Nur um unser Land und sein Wirtschaftsleben vor dem Zusammenbrach zu bewahren, haben Vertreter unserer Partei das Opfer auf sich genommen und sind in die Regierung eingetreten. Sie haben in dieser furchtbaren Situation ihr verantwortungsvolles Amt angetreten mit dem heißen Bestreben, unserm Volke Frieden und Freiheit zu bringen. Die Regierung, der Sozialdemokraten angehören, muß eine Regierung des Friedens und der demokratischen Ausgestaltung unseres Landes sein. Nur solange sie es ist, werden ihr Sozialdemokraten angehören. Um das entsetzliche Morden zu beenden, hat die neue Regierung schnellstens einen Waffenstillstand angeboten und sich bereit erklärt zu einem Frieden des Rechts und der Völkerversöhnung, wie ihn die Sozialdemokratische Partei seit Kriegsbeginn angestrebt hat. Auch die Parlamentarisierung und Demokratisierung unseres Landes ist tatkräftig in Angriff genommen. Die Sozialdemokratische Partei setzt sich mit ganzer Kraft dafür ein, daß die notwendige innerpolitische Umwälzung sich schnell und restlos vollzieht. Je zahlreicher und entschlossener die großen Volksmassen sich hinter die Partei stellen, um so schneller wird diese ihr Ziel erreichen, um so leichter wird sie die Kräfte überwinden, die sich ihr hemmend und hindernd in den Weg stellen. Schon regen sich gegen diese friedliche Revolution die dunklen Mächte der Gegenrevolution. Jene alldeutsch-konservativ-schwerindustriellen Eroberungs- und Interessenpolitiker, jene chauvinistischen Demagogen und Phantasten, die, unterstützt von den Millionen der Kriegsgewinnler aller Art und gefördert durch eine unverantwortliche Militärkamarilla, seit Jahr und Tag mit ekelhaften, verlogenen Buntbilderplakaten und nationalistischen Siegesphrasen in den Versammlungen der Vaterlandspartei und deren Schriften wie in einer willfährigen Presse das deutsche Volk in eine Wolke künstlichen Nebels voll Lug und Trug gehüllt haben, alle jene Schuldigen, die das deutsche Volk in die schlimme Lage gebracht haben, sie erklimmen jetzt, nachdem ihr Kartenhaus zusammengestürzt, es dem Volke wie Schuppen von den Augen fällt, den Gipfel der Schamlosigkeit: Sie versuchen, den Unmut des Volkes gegen die neue Regierung zu lenken. Nicht die Ausplünderung und Aushungerung des Volkes durch die agrarischen und sonstigen Lebensmittelwucherer, nicht die Korruption und die viel Erbitterung auslösende Behandlung an und hinter der Front, nicht die parteiische Unterbindung des Versammlungsrechts und die empörende mißbräuchliche Handhabung der Zensurgewalt, durch die das freie Wort unterdrückt und die alldeutsche Lüge gezüchtet wurde, hätten die geistige und wirtschaftliche Widerstandskraft des deutschen Volkes untergraben, nein, die Mies- und Flaumachcrei der Männer in der neuen Regierung haben das verschuldet; so behaupten die alldeutschen Demagogen im Lager der agrarischen und schwerindustriellen Kriegsgewinnler. Mit Aufrufen und Resolutionen laufen sie Sturm gegen die neue Regierung, weil sie ehrlich den Verständigungsfrieden und die Demokratisierung unseres Landes anstrebt. Durch skrupellose Ausnutzung der wirtschaftlichen Abhängigkeit versucht man sogar die Arbeiterausschüsse industrieller Werke als Sturmbock zu mißbrauchen; auch mehren sich die Anzeichen dafür, daß agrarische Kreise durch Zurückhaltung der Lebensmittel die Schwierigkeiten der neuen Regierung erhöhen wollen. Gegen dieses verderbliche Treiben muß das deutsche Volk wie ein Mann Front machen. Besonders die arbeitenden Volksmassen müssen ihre ganze Macht einsetzen, um den Einfluß jener Kreise, die soviel Unheil über Deutschland und das deutsche Volk gebracht haben, gründlich und endgültig zu brechen. Auch alle jene Treibereien durch bolschewistische Revolutionsphrasen verwirrter, unverantwortlicher Personen, die die Arbeiter zu jetzt sinn- und zwecklosen Streiks und Demonstrationen gegen die Regierung aufzuputschen versuchen, erschweren den Frieden und die Demokratisierung Deutschlands und arbeiten, wenn vielleicht auch ungewollt, den alldeutschen Kriegstreibern und Feinden der Demokratie in die Hände. Die klassenbewußte Arbeiterschaft muß es ablehnen, sich zum Sturmbock der Gegenrevolution und zum Helfer der imperialistischen Gewaltpolitiker diesseits und jenseits der Front mißbrauchen zu lassen. Nicht durch Herbeiführung eines bolschewistischen Chaos, durch Entfesselung des Bürgerkrieges, der zu dem Blutstrom, der an den Fronten fließt, zu dem Unglück, das über das deutsche Volk gekommen ist, neues Unglück und neue Ströme Blutes bringen, Not und Elend nur noch steigern und die Eroberungsgier unserer Feinde anreizen würde, kann die innere Erneuerung Deutschlands erfolgen. Nein, wie die berufenen Vertreter der Sozialdemokratischen Partei immer erklärt haben, im Wege friedlicher Umwälzung wollen wir unser Staatswesen zur Demokratie und das Wirtschaftsleben zum Sozialismus überleiten. Wir sind auf dem Wege zum Frieden und zur Demokratie. Alle putschistischen Treibereien durchkreuzen diesen Weg, dienen der Gegenrevolution. Angesichts der Morgenröte des Friedens und der Freiheit darf und wird sich die klassenbewußte Arbeiterschaft an und hinter der Front nicht zu Unbesonnenheiten verleiten lassen, die letzten Endes nur den Feinden des Volkes nützen. Bis zum nahen Frieden und auch nach Friedensschluß stehen uns noch schwere Tage bevor. Wir müssen sie überstehen, wir können sie überstehen in dem sicheren Bewußtsein, die Zukunft gehört der Völkerversöhnung, der Demokratie und dem Sozialismus! Berlin, den 17. Oktober 1918. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands |
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Flugblatt der Spartakusgruppe, Oktober 1918[23] |
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Arbeiter und Soldaten! Nun ist eure Stunde gekommen. Nun seid ihr nach langem Dulden und stillen Tagen zur Tat geschritten. Es ist nicht zuviel gesagt: In diesen Stunden blickt die Welt auf euch und haltet ihr das Schicksal der Welt in euren Händen. Arbeiter und Soldaten! Jetzt, da die Stunde des Handelns gekommen ist, darf es kein Zurück mehr geben. Die gleichen »Sozialisten«, die vier Jahre lang der Regierung Zuhälterdienste geleistet haben, die in den vergangenen Wochen von Tag zu Tag euch vertröstet haben mit der »Volksregierung«, mit Parlamentarisierung und anderem Plunder, sie setzen jetzt alles daran, um euren Kampf zu schwächen, um die Bewegung abzuwiegeln. Arbeiter und Soldaten! Was euren Genossen und Kameraden in Kiel, Hamburg, Bremen, Lübeck, Rostock, Flensburg, Hannover, Magdeburg, Braunschweig, München und Stuttgart gelungen ist, das muß auch euch gelingen. Denn von dem, was ihr erringt, von der Zähigkeit und dem Erfolge eures Kampfes hängt auch der Sieg eurer dortigen Brüder ab, hängt der Erfolg des Proletariats der ganzen Welt ab. Soldaten! Handelt wie eure Kameraden von der Flotte, vereinigt euch mit euren Brüdern im Arbeitskittel. Laßt euch nicht gegen eure Brüder gebrauchen, folgt nicht den Befehlen der Offiziere, schießt nicht auf die Freiheitskämpfer. Arbeiter und Soldaten! Die nächsten Ziele eures Kampfes müssen sein: 1. Befreiung aller zivilen und militärischen Gefangenen. 2. Aufhebung aller Einzelstaaten und Beseitigung aller Dynastien. 3. Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten, Wahl von Delegierten hierzu in allen Fabriken und Truppenteilen. 4. Sofortige Aufnahme der Beziehungen zu den übrigen deutschen Arbeiter- und Soldatenräten. 5. Übernahme der Regierung durch die Beauftragten der Arbeiter- und Soldatenräte. 6. Sofortige Verbindung mit dem internationalen Proletariat, insbesondere mit der russischen Arbeiterrepublik. Arbeiter und Soldaten! Nun beweist, daß ihr stark seid, nun zeigt, daß ihr klug seid, die Macht zu gebrauchen. Hoch die sozialistische Republik! Es lebe die Internationale! Die Gruppe »Internationale« (Spartakusgruppe) Karl Liebknecht, Ernst Meyer |
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