Deutschland 1918‑1939

1931

Geschrieben:
Januar 2013


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1931

 

Joseph Goebbels, 5. Februar 1931 (Auszüge)[1]

 

Wir fühlen diesem System gegenüber keinerlei Verantwortung. Die nationalsozialistische Opposition trägt nur Verantwortung dem deutschen Volk gegenüber; und um den Willen des deutschen Volkes ist uns nicht bange. [...] Das Volk will Protest einlegen gegen den Parteienstaat, wie er nun seit 1918 von Deutschland ergriffen hat. [...] Das Volk hat kein Verständnis für jene Durchlöcherung der Weimarer Verfassung durch die Weimarer Parteien. Das Volk will heute keine Redensarten mehr, sondern das Volk will, daß gehandelt wird. [...]

Die nationalsozialistische Bewegung verharrt weiterhin diesem System gegenüber in Kampfstellung. Sie hat durch den Mund ihres Führers zum Ausdruck gebracht, daß sie legal sei. Das heißt aber: nach der Verfassung sind wir nur verpflichtet zur Legalität des Weges, aber nicht zur Legalität des Zieles. Wir wollen legal die Macht erobern. Aber was wir mit dieser Macht einmal, wenn wir sie besitzen, anfangen werden, das ist unsere Sache.

Wir haben das Gefühl, daß das deutsche Volk die Absicht hat, über kurz oder lang mit der Politik, wie sie seit 1918 in Deutschland betrieben worden ist, eine Abrechnung vorzunehmen. Wenn das Volk diese Abrechnung will, und das Volk macht uns einmal zum Vollstrecker dieses Willens, dann werden wir uns getreu dem Satz, daß des Volkes Wille oberstes Gesetz ist, diesem Willen nicht entziehen. [...]

Wenn wir das Volk zum Opfern aufrufen, dann wollen wir wissen, wofür es opfern soll. [...] wir wollen und fordern, daß das Ziel des deutschen Volkes auch die deutsche Freiheit ist. Aber um dieses Ziel aufzeigen zu können, bedarf es bestimmter Vorbedingungen. Da muß vorher das System geändert, da müssen die Ideen dieses Systems beseitigt werden, und mit den Ideen die Männer, die seit 1918 als Träger dieser Ideen vor der deutschen Öffentlichkeit stehen. System, Ideen und Männer müssen fallen und müssen einer wahren Volksregierung, einem wahren Volkssystem Platz machen.

 

 

17 mars

 

Resolution

zur Entlastung des Arbeitsmarktes die vierzigstündige Arbeitswoche vorschreibt[2].

 

 

Peter Graßmann, 12. März 1931 (Auszüge)[3]

 

Wir haben uns noch im Herbst vorigen Jahres die 40‑Stunden‑Woche als eine Notmaßnahme gedacht. Ich bin ehrlich genug, Ihnen zu sagen, daß wir die 40‑Stunden‑Woche angesichts der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in aller Welt als einen unabweisbaren Dauerzustand ansehen. Die technische Apparatur in der ganzen Welt hat eine industrielle Leistungsfähigkeit geschaffen bzw. sie so gesteigert, daß heute der Achtstundentag weit überholt ist. Wir sind natürlich nicht so naiv, eine solche Regelung nur national anzustreben. Aber wir verweisen darauf, daß unsere Brüder im amerikanischen Gewerkschaftsbund seit Jahr und Tag dieselbe Forderung mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln verfechten. Ich weise weiter darauf hin, daß die dem Internationalen Gewerkschaftsbund (Sitz Amsterdam) angeschlossenen Landeszentralen im Juli vorigen Jahres ebenfalls eine wesentliche Verkürzung der Arbeitszeit auf ihr Programm geschrieben und alle angeschlossenen Verbände, alle ihre Mitglieder verpflichtet haben, nachdrücklich für eine umfassende Arbeitszeitverkürzung einzutreten.

Wir sind uns bewußt, daß wir mit dieser Forderung und auf dem Wege zu diesem Ziel dem stärksten Widerstand begegnen werden. Aber das enthebt uns alle nicht der Notwendigkeit, im Gegensatz zur früheren individualistischen Beurteilung der Wirtschaft und der Industrie uns daran zu gewöhnen, in Zukunft kollektivistisch zu denken, kollektivistisch insofern, als der Eigennutz des einzelnen hinter das Allgemeinwohl zurücktreten muß.

Vor wenigen Wochen ist von diesem Platze aus die private Initiative, die private Intelligenz des Einzelunternehmers gepriesen worden. Ich gebe zu, daß der einzelne Unternehmer und auch die sogenannten Wirtschaftsführer im Einzelfall ihren eigenen Betrieb in normalen Zeiten glänzend führen können, daß sie in normalen Zeiten vielleicht auch die Geschicke bestimmter Industriegruppen in beschränkten Grenzen mit Vorteil für sich und ihre engeren Pflegebefohlenen zu leiten vermögen. Aber ich glaube niemand kann ernsthaft bestreiten, daß im Augenblick und für absehbare Zeit angesichts der Not ganzer Länder, ja der gesamten Welt diese sogenannten Wirtschaftsführer überall versagt haben und dulden müssen, daß an die Stelle der privaten Initiative der Staat, die Allgemeinheit tritt, um die Massen seiner Bürger vor dem Untergang zu bewahren. Was auf diesem Wege seitens meiner Fraktion geschehen kann, soll geschehen. Unsere Aufgabe ist es, eine Wirtschaft herbeizuführen, die das Leben auch für den Arbeiter wieder lebenswert macht.

 

 

Unterredung H. Brüning mit Vertretern der SPD-Fraktion, 17. März 1931 (Auszüge)[4]

 

Der Abgeordnete Dr. Breitscheid [...] Aus den Erklärungen des Reichskanzlers entnehme er, daß, wenn die Sozialdemokratie nicht für eine Vertagung des Reichstags eintrete, das eine Kabinettskrise bedeute. Er könne noch immer nicht einsehen, warum man nicht zu Pfingsten kurz zusammentreten könne. Denn man müsse doch auch überlegen, was es für die Sozialdemokratie bedeute, wenn es bis Oktober keinen Reichstag gebe. Gegen diktatorische Vollmachten würde die Sozialdemokratie keine Bedenken haben, aber sie müsse vorher wissen, was die Regierung wolle. Solche allgemeinen Auskünfte, wie sie den sozialdemokratischen Führern heute in der Besprechung erteilt worden seien, könne er unmöglich in der Fraktion vortragen. [...] Im Hinblick auf den Parteitag in Chemnitz vom 31. Mai [Der SPD-Parteitag fand vom 31. 5.–5.6.31 in Leipzig statt] sprach der Abgeordnete Breitscheid noch einmal die dringende Bitte aus, der Sozialdemokratie die Situation nicht allzu sehr zu erschweren.

Der Abgeordnete Wels betonte, daß man der Arbeiterschaft eine Vertagung bis zum Herbst nicht klarmachen könne. Man müsse sich auch psychologisch so einstellen, daß die Führer der Sozialdemokratie einen gewissen Erfolg auf dem Parteitag erzielen können. Auf die Volkspartei nehme man dauernd Rücksicht. Die Sozialdemokratie sei nicht Hörige der Volkspartei. Jede Werbekraft der Sozialdemokratie gehe verloren, wenn sie in eine Vertagung bis zum Herbst ohne weiteres einwillige. Im Interesse des demokratischen Staates sei es unbedingt geboten, daß man auf die Wünsche der sozialdemokratischen Fraktion auch in der Vertagungsfrage mehr Rücksicht nehme.

 

 

Wilhelm Groener, 19. März 1931 (Auszüge)[5]

 

Grundsätzlich ist es das Ehrenrecht eines jeden Deutschen, dem Vaterlande als Soldat zu dienen. Bedauerlicherweise sind wir gezwungen, für gewisse Persönlichkeiten hierbei eine Grenze zu ziehen. Diese muß jedoch so eng wie möglich gehalten werden. Aus politischen Gründen dürfen nur solche Bewerber abgelehnt werden, denen nachgewiesen wird, daß sie sich in verfassungs-, also auch in wehrfeindlichem Sinne betätigt haben. Entgleisungen einzelner Führer oder Mitglieder von Verbänden können daher noch kein Grund zum Ausschluß aller Mitglieder derartiger Verbände oder Parteien sein; denn in der Beziehung sind fast alle Verbände, heißen sie nun Stahlhelm oder Reichsbanner, allzumal Sünder. Vollends ein Unding ist die Forderung, sich bei der Auswahl der Persönlichkeiten nach der Zusammensetzung der Regierungskoalition eines Landes zu richten. Das würde fortdauernde Schwankungen zur Folge haben und geradezu eine mit dem Wehrgesetz nicht zu vereinbarende Politisierung der Armee bedeuten, die ich auf das allerentschiedenste ablehnen muß. Aufgabe der Landesverteidigung soll es gerade sein, das einigende Band gegenüber allen inneren Gegensätzen zu bilden. Etwas anderes ist es natürlich bei Mitgliedern von Parteien und Verbänden, die ihrem Programm oder ihrem tatsächlichen Verhalten nach gewillt sind, die Verfassung mit Gewaltmaßnahmen zu ändern. Anhänger einer solchen Richtung sind als Soldaten unmöglich. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Entscheidung, ob eine Partei als staatsfeindlich im obigen Sinne anzusehen ist, durchaus nicht endgültig und feststehend ist. Einmal ändern sich, wie ich zu meinem Leidwesen selbst habe erfahren müssen, die Ansichten der für diese Frage zuständigen Innenminister. Dann aber ändern sich auch die Parteien, die, wie die Geschichte oft genug gezeigt hat, von einer ultra-revolutionären Einstellung zur konservativen staatserhaltenden Partei geworden sind und umgekehrt. Ich bin aber der Auffassung, daß Bewerber aus Kreisen, die sich nicht scheuen, den Soldaten für den Kriegsfall Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht zu predigen, unter keinen Umständen in die Wehrmacht aufgenommen werden dürfen und daß gerade auch auf diese Kreise der Ausdruck "staatsfeindlich" im vollsten Maße zutrifft. Ich möchte diese Kreise aber auch nicht im Unklaren darüber lassen, daß der Staat Mittel und Wege finden wird, um sich gegebenenfalls gegen ihr verwerfliches Treiben zu schützen.

 

 

Unterredung H. Brüning mit SPD-Abgeordneten, 29. April 1931 (Auszüge)[6]

 

Am Schluß betonte Herr Dr. Hilferding noch, daß es keineswegs ein Wunsch der Sozialdemokratie sei, mit etwaigen Notverordnungen bis nach dem sozialdemokratischen Parteitag in Leipzig am 31. Mai d. J. zu warten. Sie müßten auch dringend bitten, solchen Nachrichten amtlich entgegenzutreten, da die Parteileitung sonst in große Schwierigkeiten gegenüber dem Parteitag kommen könne. Die Sozialdemokratie stünde etwaigen Notverordnungen völlig unbeteiligt und einflußlos gegenüber und könne nicht den Eindruck aufkommen lassen, als wenn sie über die letzten Absichten der Parteileitung vor ihren Anhängern draußen etwas zu verbergen hätte. Der Herr Reichskanzler sagte zu, solchen etwa aufkommenden Nachrichten entgegenzutreten.

 

 

 

Wilhelm Groener an Generalmajor im Ruhestand Gerold von Gleich, 26. April 1931 (Auszüge)[7]

 

daß die sogenannte verschleierte Diktatur mit Zustimmung des Parlaments in der heutigen Zeit viel für sich hat.

 

 

 

Resolutionen Parteitag SPD, 31. Mai bis 5. Juni 1931

 

Überwindung des Faschismus[8]

Der Faschismus ist durch den energischen Abwehr kämpf der Sozialdemokratischen Partei in die Defensive gedrängt.

Unter schwersten Opfern für die Arbeiterklasse und Partei wurde verhindert, daß Nationalsozialisten und Deutschnationale im Reich und in Preußen die Regierungsgewalt an sich rissen.

Es ist nunmehr Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei, insbesondere die notleidenden Wählermassen, die noch im feindlichen Lager stehen, durch eine energische, planvoll vorbereitete und vorausschauende soziale Politik zu gewinnen.

Die Sozialdemokratische Partei hat durch Mobilisierung und Aktivierung der breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung für unsere politischen Gegenwartsforderungen und durch den Kampf um den Sozialismus die politische Durchschlagskraft der Reichstagsfraktion zu stärken.

Zur Durchrührung dieses Kampfes ist Einheit und Geschlossenheit der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Körperschaften notwendig.

Kapitalistische Wirtschaftsanarchie und Arbeiterklasse (Auszüge)[9]

Die gegenwärtige ökonomische Krise liefert einen neuen furchtbaren Beweis für die zunehmende Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, die Versorgung der Gesellschaft mit den vorhandenen Versorgungsmöglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen. [...]

Aus diesen wahnsinnigen Widersprüchen der geltenden Wirtschaftsordnung kann die Menschheit nur durch die Überwindung des kapitalistischen Systems und die Verwirklichung des Sozialismus befreit werden. Diesen Befreiungskampf zu führen und dafür die Arbeiterklasse zu organisieren, ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei und der mit ihr verbundenen Gewerkschaften.

Dabei ist sich der Parteitag bewußt, daß der Sturz des Kapitalismus nicht ein einmaliger kurzer Akt sein kann: er vollzieht sich als ein Umwandlungsprozeß im steten Kampf zwischen der organisierten Arbeiterklasse und den großkapitalistischen Wirtschaftsmächten. Der Kampf für den Sozialismus kann nicht geführt werden, ohne gleichzeitig den Kampf um die Verbesserung der Arbeiterlage in der Gegenwart zu führen. [...]

Der Parteitag fordert die gesetzliche Verkürzung der zulässigen Arbeitszeit auf 40 Stunden in der Woche. Er brandmarkt die Lohnabbauoffensive des Unternehmertums als Ausfluß sozialer Brutalität und als unvereinbar mit den volkswirtschaftlichen Interessen, die zur Überwindung der Krise eine Stärkung der Massenkaufkraft erfordern. Die Sozialpolitik und die sozialen Einrichtungen müssen geschützt und erweitert werden.

Der Parteitag ist sich bewußt, daß die Durchsetzung dieser Gegenwartsforderungen ebenso wie die Verwirklichung des Sozialismus politische Machtfragen sind. Er beklagt aufs tiefste, daß das Proletariat, das als Volksmehrheit nach der demokratischen Verfassung der Republik dazu berufen ist, die entscheidende politische Macht zu sein, von diesem Rechte noch keinen ausreichenden Gebrauch gemacht hat. Die Verteilung der politischen Macht steht deshalb noch im Gegensatz zur sozialen Struktur. Diesen Widerspruch aufzuheben, ist die wichtigste Voraussetzung für die Durchführung einer sozialen Politik und der schnelleren Überwindung des Kapitalismus.

[...]

 

 

Otto Wels Parteitag SPD 31. Mai bis 5. Juni 1931 (Auszüge)[10]:

 

In Rußland herrscht allein die Diktatur der Bürokratie über das Proletariat und über die Bauern. Der Arbeiterstaat Rußland ist nur noch ein Märchen für gutgläubige Kinder. Deshalb schlußfolgere ich dennoch nicht, das die Leiter des Sowjetstaates nur Komödie spielen, wenn sie von Sozialismus reden. Aber die Erscheinungen in Rußland zeigen uns doch die Wahrheit der großen Lehre von Karl Marz: die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selber sein. Die sozialistische Wirtschaft setzt eine Reife der wirtschaftlichen Entwicklung voraus, die in Rußland vollkommen fehlte, und die auch heute noch sehr weit zurück ist. Diesem Stand der wirtschaftlichen Entwicklung entspricht ein Proletariat, das für die sozialistische Wirtschaft und für die sozialistische Gesellschaft unreif ist. Der russische Arbeiter ist kein richtiger Proletarier, ihm fehlt die generationenlange Erziehung des englischen und des deutschen Industriearbeiters. Er ist als Arbeiter nur ein Bauer in der blauen Bluse, ohne politische und gewerkschaftliche Schulung. Das ist nicht seine Schuld, sondern das ist die Folge der Rückständigkeit des Landes. Wenn jetzt Rußland nach außen hin als der Arbeiterstaat gilt, dann steht für uns fest, und jeder kann es beobachten: er ist es lange nicht mehr! Der Kriegskommunismus dauerte höchstens bis zum Jahre 1921. Jetzt aber sehen wir in Rußland einen neuen Versuch die produktiven Kräfte des Landes in staatskapitalistischer Form zusammenzufassen. und wir stellen fest, daß die roten Fahnen des Kommunismus m Rußland nur dazu dienen, um die kapitalistische Wirtschaft zu verhüllen. Parteigenossen! In Rußland wird jetzt mit dem Fünfjahresplan versucht, das zu leisten, was in anderen Ländern der Kapitalismus geleistet hat: Aufbau einer Großindustrie auf Kosten der werktätigen Massen, genau so, wie die Großindustrie in Deutschland, in England und in anderen Ländern aufgebaut worden ist. Herr der Fabrik aber wird der russische Arbeiter dadurch ebenso wenig, wie es der deutsche und der englische Arbeiter geworden ist. Die Diktatur ‑ das ist das Entscheidende ‑ hindert nämlich die Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Reife der Arbeiterklasse. [...]

In Rußland erstickt unter »er drakonischen Zensur jedes freie Wort. Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es nicht. In Rußland herrscht völlige Kirchhofsruhe. Lassen Sie mich zum Schluß ein Wort von Rosa Luxemburg, die ja hier in Leipzig so lange tätig war, zitieren. Rosa Luxemburg schrieb: Mit dem Erdrücken des politischen Lebens im ganzen Lande muß auch das Leben in den Sowjets immer mehr erliegen. Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Preß» und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf, erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in dein die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein. Im Grunde also eine Cliquenwirtschaft, eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker. Das schrieb Rosa Luxemburg im Sommer des Jahres 1918, und die Gegenwart gibt ihr recht. Bei all der Not in Rußland wäre es vielleicht nicht unmöglich, daß dennoch eine leistungsfähige Wirtschaft entstände, aber sozialistisch ‑ das merke sich jeder! ‑ wäre sie nicht. Denn Sozialismus heißt Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Solange nicht die Gesellschaft über die Produktionsmittel verfügt, sondern nur eine Parteigruppe, solange kann von Sozialismus nicht die Rede sein. Das Proletariat kann nicht von noch so wohlwollenden Intellektuellen befreit werden. Aufgeklärter Absolutismus ist nicht die Regierungsform der sich bildenden neuen sozialistischen Gesellschaft. Die Herrschaft der Gesellschaft über die Produktionsmittel braucht die Freiheit, die Demokratie. Wenn der faschistische Senator Enrico Ferri sagte, der Faschismus in Italien sei im Grunde nur eine Welle der Reaktion, de» Bolschewismus der Nachkriegszeit, so ist nach dem, was ich schon sagte, bewiesen, daß der Faschismus auch in den kapitalistischen Ländern seine Existenzberechtigung verloren hat. Bolschewismus und Faschismus sind Brüder. Sie basieren auf der Gewalt. auf der Diktatur, mögen sie sich noch so sozialistisch und radikal gebärden. Ohne Freiheit des politischen Willens, ohne Freiheit der Meinung, der Presse und der Organisation sind sie und müssen sie bleiben Zerrbilder des Sozialismus. Sie geben der Arbeiterschaft nicht die Möglichkeit, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Der Sozialismus aber rann nur aus dem freien Willen der arbeitenden Massen werden. Er läßt sich nicht einführen. Er muß das Werk der Massen selbst sein, und die tiefste aller Lehren, die wir aus den russischen Verhältnissen ziehen, ist die: ohne Demokratie ist der Sozialismus unmöglich. Parteigenossen! Darum ist die Haltung der deutschen Sozialdemokratie so eindeutig und so klar. Darum ist unsere Gesamtpolitik stets darauf gerichtet, den Interessen des arbeitenden Polkes zu dienen.

 

 

Victor Schiff, Mai 1931

 

 [11]:

um den Parlamentarismus in dieser Übergangszeit bis zur Überwindung der schlimmsten Wirtschaftskrise zu retten und die sonst unvermeidliche Diktatur zu verhindern.

 

 

August Heinrichsbauer an Heinrich von Gleichen, 12. Juni 1931 (Auszüge)[12]

 

Der Kernpunkt der Auseinandersetzung dreht sich m. E. um die Art der Zusammensetzung der Regierung, die eines Tages dem Kabinett Brüning folgen wird und muß. Mein persönlicher Standpunkt geht dahin, daß es für die nationale Opposition, die ich mit Namen Hitler, Hugenberg, Seldte umreißen möchte, untragbar wäre, die unmittelbare Nachfolgerschaft entweder selbst oder durch Personen, die als Parteiangehörige hervorgetreten sind, zu übernehmen. Zunächst werden die von dem künftigen Kabinett zu lösenden Aufgaben - gleichgültig, wie es im Einzelnen personell zusammengesetzt ist - so schwierig sein, daß mit ihrer Lösung ein Höchstmaß von Unpopularität untrennbar verbunden ist. [...] Dazu kommt noch, daß die nationale Opposition ein politisches und wirtschaftliches Sanierungsprogramm zur Zeit noch nicht hat; selbst wenn sie es hätte, würden seiner Verwirklichung die allergrößten Schwierigkeiten entgegenstehen, da im In- und im Ausland sehr viele potente Leute darauf warten, einem solchen "nationalen" Sanierungsprogramm Schwierigkeiten zu bereiten. Das gilt besonders von der Außen- und der Reparationspolitik, die beide [...] in ihren Grundlinien so festliegen, daß auch eine noch so klug und geschickt geführte nationale Opposition an ihnen nicht viel ändern kann; jede eigene Machtübernahme wäre deshalb außen- und reparationspolitisch sehr schnell verbunden mit einer Beugung früherer Verheißungen und Ansichten. Mir persönlich scheint es am besten, wenn das jetzige Kabinett abgelöst wird von einem Kabinett starker und entschiedener Persönlichkeiten (wobei man zur Beruhigung ängstlicher Leute im In- und Ausland ruhig Brüning mit irgendeiner Funktion betrauen könnte), deren Angehörige der nationalen Rechten nahestehen müßten und denen von der Rechten wohlwollende (und natürlich weitgehend verabredete) Opposition zu machen wäre [...] Notwendig erscheint mir aber, im Reich keinen Schritt zu tun, der nicht von einer entsprechenden Handlung in Preußen begleitet ist. [...] Ich bin fest davon überzeugt, daß das ganze jetzige System des anonymen, demokratischen Parlamentarismus im Laufe der Zeit von einem neuen System abgelöst wird, das auf die Führerverantwortlichkeit und auf die Gefolgschaftsverbundenheit abgestellt ist und das erhebliche Anklänge an den italienischen Faschismus haben wird, ohne ihn natürlich bis ins einzelne kopieren zu brauchen bzw. zu dürfen. Es kommt mir nur darauf an, diesem künftigen System den Weg zu erleichtern und ihn ihm nicht unnötig zu erschweren.

 

 

Juin

 

 [13]. Eduard Dingeldey

die in der Loslösung vom Sozialismus bestehen

zu neuen Verhältnissen in Preußen führen

 

 

Erklärung Regierung Preußen, 6. August 1931 (Auszüge)[14]

 

An Preußens Wähler und Wählerinnen! Rechtsparteien, Stahlhelm und Kommunisten ‑ unversöhnliche Todfeinde in unnatürlicher Paarung vereint ‑ rufen zum Volksentscheid für die Auflösung des Preußischen Landtages auf. Parteien, deren fanatische Anhänger sich in täglichen Überfällen und blutigen Kämpfen gegenüberstehen, finden sich urplötzlich zusammen. Mit derselben Waffe des "Ja"‑Zettels zum Volksentscheid wollen beide Teile das denkbar entgegengesetzte erreichen: die einen ein bolschewistisches, russischen Methoden nachgeahmtes Sowjet-Preußen, die anderen das alte volksfeindliche Preußen des Dreiklassen-Wahl-Unrechts oder eines faschistischen Gewaltregiments.

Und doch: Eines ist in der Tat den Rechts- und Linksradikalen, die hier zum Sturm auf den Preußischen Landtag einsetzen, gemeinsam, klaffen auch ihre weiteren Ziele unvereinbar auseinander: Nationalsozialisten und Kommunisten wollen das Chaos, wollen den Sturz des Bestehenden. Jeder denkt aber an die Stelle des Gestürzten seine Herrschaft zu setzen und die anderen -eben noch willkommene Bundesgenossen beim Volksentscheid - unter seine Füße treten zu können.

Der Preußische Landtag würde der Verfassung gemäß ohnehin spätestens im Mai 1932 neu gewählt werden. Selbst beim Gelingen des Volksentscheids würde frühestens Anfang Dezember gewählt werden können. Wegen der kurzen unterschiedlichen Frist von vier Monaten werden nunmehr schon seit dem Februar dieses Jahres die politischen Leidenschaften aufs schärfste aufgestachelt. Ein für das Volkswohl ungemein schädliches Beginnen in einer Zeit schwerster wirtschaftlicher Not, in der alles darauf ankommt, die öffentliche Ordnung und Sicherheit als unentbehrliche Vorbedingung für jede Möglichkeit eines Wiederaufstiegs Deutschlands zu schützen.

Geht es wirklich nur darum, zu erreichen, daß der Preußische Landtag um einige Monate früher gewählt werden soll? Nein! Vereint wollen die Links- und Rechtsradikalen, wollen Nationalsozialisten und Kommunisten das letzte große Bollwerk, die Zitadelle der Demokratie und Republik in Deutschland: Preußen erstürmen. Mit dem Gelingen des Volksentscheids wollen sie weithin sichtbar das Flammenzeichen geben, daß das Ende der Demokratie, des Volksstaates in Deutschland gekommen sei. Der Weg soll nun frei sein zur Verwirklichung der Pläne auf Vernichtung all der Volksrechte, die nach dem Zusammenbruch von 1918 dem gesamten deutschen Volke erst die Kraft und den Mut gegeben haben, aus den Trümmern des alten Deutschen Reiches ein neues zu errichten und die Deutschen so vor der sonst sicheren Vernichtung als Staatsvolk zu bewahren.[...]

 

 

Wilhelm Groener an Joseph Wirth, 14. August 1931 (Auszüge)[15]

 

Ihre Denkschrift über die kommunistische Bewegung "Die Vorbereitung der gewaltsamen Verfassungsänderung durch die KPD", meine eigenen Beobachtungen über die augenblicklich sehr lebhafte Zersetzungstätigkeit in der Wehrmacht und nicht zuletzt die wohlvorbereiteten "Terrorakte" illegaler kommunistischer Kampforganisationen während der letzten Tage bestärken mich in der Auffassung, daß es an der Zeit ist, der kommunistisch-bolschewistischen Gefahr in Deutschland mit sofortigen und durchgreifenden Maßnahmen zu begegnen.

[...]

Ich würde es für einen schweren Fehler halten, wenn die verantwortlichen Behörden des Reiches und der Länder auch jetzt noch nicht in vollem Umfange die notwendigen Folgerungen daraus zögen; denn ich bin fest überzeugt, daß die KPD alles daran setzen wird, um ihre Ausschreitungen planmäßig Schritt für Schritt zum "bewaffneten Aufstand" und zum Bürgerkrieg zu steigern. Die Staatsautorität müßte schwersten Schaden leiden, wenn nicht noch in allernächster Zeit jeglichen weiteren kommunistischen Umtrieben und Gewalttaten endgültig ein Riegel vorgeschoben wird.

Die Notwendigkeit raschen Durchgreifens erhellt allein daraus, daß sich die Kommunisten seit vielen Monaten systematisch auf ein Verbot, auf die sogenannte "Illegalität" vorbereiten. Je länger man ein energisches Vorgehen gegen die KPD hinauszögert, desto ungestörter und planmäßiger können sich die kommunistischen Organisationen auf diese "Illegalität" umstellen, desto schwerer werden sie und – worauf es in erster Linie ankommt – ihre verantwortlichen Führer dann zu fassen und auszuschalten sein.

Ich bin mir bewußt, daß es nicht meine Aufgabe sein kann, Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, Vorschläge über die Art und Weise des zweckmäßigsten Vorgehens gegen die KPD zu machen. Ich glaubte Sie aber auf diesen Punkt hinweisen zu müssen, weil ich mich leider des Eindrucks nicht erwehren kann, daß die bisher getroffenen Abwehrmaßnahmen der Größe der kommunistischen Gefahr nicht entsprechen und es doch gerade in der augenblicklichen, politischen und wirtschaftlichen Lage darauf ankommt, innere Unruhen vorausschauend und vorbeugend zu unterbinden.

 

 

Paul Reusch an Ludwig Kastl, 6. September 1931 (Auszüge)[16]:

 

[...] Ich bin der unmaßgeblichen Meinung, daß Herr Brüning, nachdem die Erwartungen, die wir auf ihn gesetzt haben, sich nicht erfüllt haben und nachdem er nicht den Mut hat, sich von der Sozialdemokratie zu trennen, von der Wirtschaft und dem Reichsverband auf das allerschärfste bekämpft werden muß und daß ihm die Industrie ganz offen ihr Mißtrauen aussprechen soll. [...]

Im weiteren bin ich der Ansicht, daß wir endlich einmal unsere Taktik den Gewerkschaften gegenüber ändern müssen. Die Industrie war bisher zu feige, den Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe aufzunehmen. Das ganze Unheil, das über uns gekommen ist, ist nicht zum geringsten Teil auf die Gewerkschaften zurückzuführen, von denen sich seit den Revolutionstagen alle Regierungen mehr oder weniger beeinflussen ließen und die im Hintergrunde tatsächlich regiert haben. Wir haben den Fehler gemacht, in der Vergangenheit die Regierungen zu bekämpfen, statt daß wir die Gewerkschaften mit aller Schärfe bekämpft haben und sollten aus diesem Fehler der Vergangenheit nunmehr die entsprechenden Folgerungen ziehen.

 

 

Anforderungen 11 Arbeitgebervereinigungen, 29. September 1931 (Auszüge)[17]

 

1.   ein weiterer umfangreicher Abbau der Aufgaben und Ausgaben der gesamten öffentlichen Hand,

2.   eine Anpassung der Löhne und Gehälter an die gegebenen Wettbewerbsverhältnisse,

3.   Anpassung der weit überhöhten Belastungen an das wirtschaftlich Mögliche und durchgreifende Verwaltungsvereinfachungen auf allen Gebieten der Sozialversicherungen, einschließlich der Arbeitslosenversicherung,

4.   Senkung der Tarife der Reichsbahn, der Reichspost und der gemeindlichen Versorgungsbetriebe,

5.   Befreiung des deutschen Geldmarkts vom Druck der öffentlichen schwebenden Schulden,

6.   endgültige Beseitigung aller Reste der Zwangswirtschaft.

 

 

Forderungen Gewerkschaften, 1. Oktober 1931 (Auszüge)[18]

 

1.   Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung aller Arbeitslosen,

2.   Verkürzung der Arbeitszeit,

3.   Erhaltung und Steigerung der Kaufkraft der Löhne und Gehälter, Sicherung des Tarifrechtes und des staatlichen Schlichtungswesens,

4.   Senkung der Zölle mit dem Ziel der stärkeren Anpassung der deutschen Preise und Lebenshaltungskosten an das gesunkene Preisniveau des Weltmarktes,

5.   Auflockerung der monopolistischen Preisbindungen in allen Stufen der Wirtschaft bei gleichzeitigem Ausbau der öffentlichen Kontrolle,

6.   öffentliche Bankenaufsicht mit dem Ziel der Verhütung von Fehlhaltungen des Kapitals und Sicherung volkswirtschaftlicher Kapitalverwendung,

7.   rücksichtslose Kürzung der überhöhten Spitzengehälter und Pensionen in Wirtschaft und Verwaltung.

 

 

10. Oktober

 

Paul von Hindenburg [19].

völlig unabhängige

ohne parteimäßige Bindungen

 

 

Otto Braun

 

Memoiren (Auszüge)[20]:

Im Zusammenhang mit dieser intern preußischen Angelegenheit des Wechsels im Finanzministerium muß ich noch eine Episode erwähnen, die mehr die damals sehr aktuelle Frage der Reichsreform berührt. Im Verlaufe der Finanzministerkrise ließ der Kanzler Brüning mich wissen, daß es ihm erwünscht wäre, wenn ich dem Reichsfinanzminister Dietrich das preußische Finanzministerium übertragen würde, so daß dann diese beiden wichtigen Finanzressorts in eine Hand kämen. Damit wäre dann auch ein praktischer Schritt auf dem Wege zur Reichsreform und den Erörterungen über den Dualismus Reich-Preußen etwas Abbruch getan. Die Tendenz dieses Vorschlages war mir durchaus sympathisch, denn sie entsprach meiner Einstellung zu dem Problem der Reichsreform, das, wie mir schien, durch Angleichung Preußens an das Reich im Wege der Personalunion in den leitenden Ämtern am zweckmäßigsten der Lösung näher gebracht werden konnte. Ich hatte bereits am 3. November 1931, als nach meiner Rückkehr vom Krankheitsurlaub der Kanzler mich besuchte, diesem zu erkennen gegeben, daß ich im Hinblick auf meinen Gesundheitszustand und die politische Entwicklung im Reiche, die sich ja bei der bevorstehenden Neuwahl des Landtages auch in Preußen auswirken würde, beabsichtigte zurückzutreten, wenn ich die Gewähr hätte, daß mein Rücktritt zur Vereinigung der beiden leitenden Ämter in Preußen und im Reiche führte. Ich würde mich in meiner Partei für seine Wahl zum preußischen Ministerpräsidenten einsetzen. Später erfuhr ich, daß daraus nichts werden konnte, weil Hindenburg nicht wollte.

 

 

Resolution Bad Harzburg “Nationale Front”, 11. Oktober 1931[21]

 

Die Nationale Opposition hat sein Jahren vergeblich gewarnt vor dem Versagen der Regierungen und des Staatsapparates gegenüber dem Blutterror des Marxismus, dem fortschreitenden Kulturbolschewismus und der Zerreißung der Nation durch den Klassenkampf, vor der planmäßigen Ausschaltung der nationalen Kräfte aus der Leitung des Staates, vor einer Politik, die in der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entmannung Deutschlands noch über das Diktat von Versailles hinausgeht, vor einer Politik, die die heimische Wirtschaft zugunsten weltwirtschaftlicher Utopien preisgibt, vor einer Politik der Unterwürfigkeit dem Ausland gegenüber, die weder die Gleichberechtigung Deutschlands gebracht hat, noch den zerrissenen Osten vor einem kriegerischen Einbruch bewahrt.

Entschlossen, unser Land vor dem Chaos des Bolschewismus zu bewahren, unsere Politik durch wirksame Selbsthilfe aus dem Strudel des Wirtschaftsbankrotts zu retten und damit der Welt zu wirklichem Frieden zu verhelfen, erklären wir: Wir sind bereit, im Reich und in Preußen in national geführten Regierungen die Verantwortung zu übernehmen. Wir stoßen keine Hand zurück, die sich uns zu wirklich ehrlicher Zusammenarbeit anbietet. Wir müssen es aber ablehnen, die Erhaltung eines falschen Systems und Fortsetzung eines falschen Kurses in einer nur national getarnten Regierung der bisherigen Kräfte irgendwie zu stützen. Jede Regierung, die gegen den Willen der geschlossenen Nationalen Opposition gebildet werden sollte, muß mit unserer Gegnerschaft rechnen.

So fordern wir den sofortigen Rücktritt der Regierungen Brüning und Braun, die sofortige Aufhebung der diktatorischen Vollmachten für Regierungen, deren Zusammensetzung nicht dem Volkswillen entspricht und die sich nur noch mit Notverordnungen am Ruder halten. Wir fordern sofortige unsere Front zerreißen will.

Wir beschwören den durch uns gewählten Reichspräsidenten v. Hindenburg, daß er dem stürmischen Drängen von Millionen vaterländischer Männer und Frauen, Frontsoldaten und Jugend entspricht und in letzter Stunde durch Berufung einer wirklichen Nationalregierung den rettenden Kurswechsel herbeiführt.

 

 

Heinrich Brüning, 13. Oktober 1931 (Auszüge)[22]:

 

Deswegen, meine Damen und Herren, habe ich mich entschlossen, weil ich zur Erkenntnis kam, daß kein anderer Weg möglich sein würde, eine Regierung zu bilden, die noch unabhängiger von den Parteien ist, als es das vorhergehende Kabinett gewesen ist. Ich glaubte, dem deutschen Volke einen Dienst zu tun, nachdem ein großer Zusammenschluß der Parteien nicht möglich ist, wenn ich wenigstens das eine Ziel verfolgte, daß diese Regierung, die hier vor Ihnen steht, keine Rücksicht auf irgendeine Partei in dem Sinne zu nehmen hat, daß sie parteigebundene Minister im Kabinett hat.

 

 

17‑18 octobre

 

A. Hitler an Groener][23].

unparteiische Prüfung der Braunschweiger Affaire

K. v. Schleicher an Ernst Röhm  [24],

Generalleutnant v. Schleicher Berlin W 10, den 4. Nov. 1931 Reichswehrministerium Königin-Augusta-Str.  38‑42

Sehr geehrter Herr Röhm! Besten Dank für das übersandte Material, aus dem ich mich einwandfrei überzeugen konnte, daß von der Reichsleitung der National-Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei alles getan wird, um die Partei auf der von dem Parteichef vorgeschlagenen Linie strengster Legalität zu halten. Ein Teil des Materials fällt allerdings in das Ressort des Reichsinnenministers, wo ich entgegen den Behauptungen der bösartigen verlogenen Darstellung der Mossekommunisten völlig einflußlos bin. Wie wenig kennen diese Schmierfinken die selbständige Energie und den prachtvollen württembergischen Dickkopf des Ministers Groener. Mit den angelegentlichsten Empfehlungen Ihr sehr ergebener gez.: v. Schleicher.

 

 

Wilhelm Groener an Generalmajor in Ruhestand Gerold von Gleich, 1. November 1931 (Auszüge)[25]

 

Hitler ist jetzt doppelt und dreifach an den Legalitätspfahl gebunden und muß jeden, der seinem Befehl entgegenhandelt, aus der Partei herauswerfen. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis er die unsauberen und unruhigen Elemente abgestoßen hat. Er will mit der Regierung Brüning gut stehen und denkt nicht daran, dem Hugenbergvolk etwa zur Macht zu verhelfen. Trotz Harzburg hat sich zwischen den Nazis und den andern eine tiefe Kluft aufgetan.

 

 

Gewerkschafts-Zeitung, 26. Dezember 1931[26]

 

Die Vierte Notverordnung und der faschistische Ansturm gegen die Republik haben die Gewerkschaften der Arbeiter, Angestellten und Beamten mit der Sozialdemokratischen Partei, den Arbeitersportorganisationen und mit. dem überparteilichen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zu einer gemeinsamen Abwehrfront zusammengeschweißt. In einer großen Kundgebung, die am 16. Dezember im Plenarsaale des Reichswirtschaftsrats vor die Öffentlichkeit trat, wurde der eiserne Ring um die Sicherheit der Republik geschlossen. Es war eine ernste Stunde und eine ernste Aufgabe, in der sich diese Vertreter des arbeitenden Volkes zusammenfanden. Die Bundesvorstände und -ausschüsse der gewerkschaftlichen Spitzenverbände, des Arbeitersports und Vertreter des Reichsbanners, dazu starke Vertretungen der sozialdemokratischen Reichstags- und Landtagsfraktionen waren erschienen, um das Gelöbnis zur Abwehr der faschistischen Gefahr abzulegen. Die neue Notverordnung legt dem deutschen Volke ungeheure Lasten auf. Trotz aller Bemühungen, diese Lasten nach verschiedenen Seiten hin zu verteilen, ist die Arbeiterklasse von der schwersten Belastung betroffen worden. Und gerade jetzt muß auf die letzte Möglichkeit, diese Notverordnung abzuwehren, verzichtet werden, weil die noch größere Gefahr des Sturzes der Republik und der Zerschlagung der Verteidigungskräfte des arbeitenden Volkes dahinter lauert. Mit Zähneknirschen muß das Ärgste hingenommen werden, um das Allerärgste zu verhüten. Es sei, ‑ aber dann auch wirklicher Ernst mit der Bekämpfung des Faschismus, des ewigen Ruhestörers der Republik! So gut die Rede des Reichskanzlers war ‑ schöne Reden genügen nicht mehr ‑, jetzt muß man Taten verlangen. Das war der große Impuls dieser Kundgebung!

Theodor Leipart hielt die Begrüßungs- und Einleitungsrede. Sein erstes Wort galt den Millionen Arbeitslosen, denen die Notverordnung angeblich helfen will, obwohl zweifelhaft sei, ob sie ihren Zweck erreiche. Gewerkschaften und Partei, bestürmt durch zahllose Aufforderungen, hätten in Verhandlungen mit der Regierung das Äußerste an Widerstand geleistet, und es sei ihnen gelungen, noch einigen Einfluß auszuüben. Den neuen Lohnabbau konnten sie leider nicht verhindern. Wenn man den Gewerkschaften die Schuld an der Wirtschaftskrise zuschiebt, so darf nicht vergessen werden, daß der schwer erschütterte Kapitalismus sich in dieser Weise zu rechtfertigen sucht. Seine Lohnfondstheorie sei schon vor 60 Jahren durch Brentano widerlegt worden. Die Kaufkraft ist zerschlagen worden durch Beseitigung der übertariflichen Verdienste und Tarifsenkungen, und nun soll eine neue 10‑ bis 15prozentige Lohnsenkung kommen, unzureichend ausgeglichen durch den Versuch, die Preise zu senken. Die Preissenkung müsse der Lohnsenkung vorangehen. Die Notverordnung stelle jetzt endlich, nach der zweiten Lohnabbauwelle, dieses Programm auf - aber es sei zweifelhaft, ob dieses Ziel erreicht werde. Selbst bei den günstigsten Annahmen bleibt der Preisabbau hinter der Lohnsenkung zurück. Manches enthalte die Notverordnung auch von unsern Forderungen, so das Verlangen nach Durchleuchtung der Wirtschaft, nach Bilanzprüfungen, nach Mitwirkung der Versicherten in der Unfallversicherung, und gewisse Unternehmerwünsche, wie die Auflockerung der Tarifverträge, nach Umbau der ganzen Sozialversicherung, seien unerfüllt geblieben. Aber das sei kein Grund zur Freude, denn eine Stabilisierung der Tarifverträge auf dem tiefsten Niveau sei wahrlich schlechter Trost! Eine der Ursachen der verzweifelten Lage Deutschlands sei die Reparationslast, die wesentlich zur Erschütterung der Wirtschaft in der ganzen Welt beigetragen habe. Selbst England sehe seinen Export dadurch gestört. Immer lauter werde daher der Ruf: »Schluß mit den Reparationen!« In Übereinstimmung mit der Arbeiterinternationale haben wir schon immer die Streichung der Reparationen und Kriegslasten gefordert und nicht auf die Hitler-Leute gewartet. Gegen die Notverordnung kämpfen wir. Aber eine faschistische Diktatur würde dem Volke mit blutiger Gewalt noch schlimmere Opfer auferlegen. Wir wollen den Bürgerkrieg nicht heraufbeschwören. Es liegt deshalb im Interesse der Arbeiterschaft, die Schlacht, die wir in den letzten Wochen gegen die Notverordnung geführt haben, jetzt abzubrechen, eine Schlacht, in der es weder Sieger noch Besiegte gibt. Denn auch die Unternehmer werden sich kaum als Sieger fühlen. Aber selbst wenn wir in der Frage der Lohnsenkung die Geschlagenen wären, dann wäre auch das nur eine Bestätigung des Wortes von Friedrich Engels, daß sich die ganze Geschichte der Arbeiterklasse darstellt als eine Reihe von Niederlagen, unterbrochen von wenigen Siegen. Unsere Bewegung ist trotzdem groß und stark geworden. Was wir jetzt in bitterer Not ertragen müssen, kann unsern Glauben an die Zukunft nicht schwächen, kann das Vertrauen zur Stärke unserer Organisation nicht erschüttern, die dann eingesetzt werden muß, wenn nach dem vorübergehenden Druck und Zwang der Weg zur Freiheit und zum Fortschritt wieder offen liegt!

Sodann sprach der Reichstagsabgeordnete Breitscheid über die Notverordnung. Nachdem schon die Juli-Verordnung an Einschränkungen der Lebenshaltung die Grenze des Möglichen erreicht hatte, gehe die jetzige Verordnung weit über diese Grenze hinaus. Sie suche durch Erhöhungen auf der Einnahmeseite oder durch Senkungen auf der Ausgabenseite das Gleichgewicht der öffentlichen Haushalte wiederherzustellen und durch Herabsetzung der Löhne, Preise und Zinsen die Wettbewerbsfähigkeit dem Weltmarkt zu heben. Ob das letztere erreicht werde, sei zweifelhaft, aber unerträglich sei der Versuch, die Schäden der englischen Valutasenkung und Zollsteigerung durch Herabsetzung der Löhne auszugleichen. Statt an die Privatmonopole heranzugehen, lasse die Notverordnung diese Bindungen nach dem vorgeschriebenen Preisabbau wieder in Kraft treten. Der Preisabbau mache halt vor den Schutzzöllen. Statt planmäßiger Kapitallenkung begnüge sie sich mit der Senkung des Zinssatzes. Immerhin sei es bemerkenswert, daß sich eine bürgerliche Regierung so kühl über die Heiligkeit der Verträge hinwegsetze. Als Sozialisten haben wir uns diesen Präzedenzfall zu merken. Das ganze System der Notverordnungen sei unverträglich mit Demokratie; leider sei es gerade jetzt im Interesse des Parlamentarismus unvermeidlich, nachdem die letzte Reichstagswahl Parteien in den Reichstag gebracht habe, die den Parlamentarismus grundsätzlich verneinen. Daher habe die Sozialdemokratie das Kabinett Brüning tolerieren müssen. Diese Politik habe gewiß große Opfer von uns verlangt, aber manches sei auch durch sie erhalten worden. Eine Bewegung wie der Faschismus könne nicht ewig bestehen; ihr Zerfall sei unvermeidlich, wenn sie erst an der Macht sei. Aber es wäre gefährlich, sie zu diesem Zwecke an die Macht heranzulassen. Mit großer Wärme dankte der Redner den Reichsbannerkameraden, die mit ihrem Leben den Abwehrkampf führen. Wir müssen sie unterstützen, indem keiner in diesem Kampfe untätig bleibt. Einig und geschlossen müssen wir in der Abwehr zusammenstehen. Das Schlußwort hatte der Parteivorsitzende Otto Wels, der an die Schmach der Nationalsozialisten erinnert, die aus Liebedienerei für Mussolini Südtirol seinen Bedrückern preisgeben. Wie sie die deutsche Nation verraten, werden sie auch die Demokratie verraten, mit deren Hilfe sie legal zur Macht zu gelangen hoffen. Das Bürgertum liegt zitternd vor ihnen auf dem Bauch und macht ihnen den Weg frei. Wir Arbeiter aber haben die Aufgabe, die eiserne Front zu schmieden und die Republik zu schützen. Wir verwerfen die Gewalttat, aber wir wehren uns, wenn wir angegriffen werden. Von den zuständigen Reichsstellen erwarten wir, daß sie den Kampf gegen die Verfassungsfeinde führen. Wir aber rufen die Arbeiter auf zur Verteidigung der demokratischen Republik. Macht gegen Macht! Vorwärts durch Kampf zum Sieg!

 

Fußnoten



[1]http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000128_00700.html.

[2]. Au Reichstag:

Rapport oral de la commission Reichshaushalt du 6 mars:

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000134_00420.html et suivantes.

Le projet de résolution sur la durée hebdomadaire du travail:

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000134_00423.html.

Intervention du rapporteur le 12 mars:

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000129_00424.html et suivantes.

Au sujet du projet de résolution:

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000129_00426.html.

Vote du projet de résolution le 17 mars (adopté à la majorité):

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000129_00618.html.

[3]. Intervention de Grassmann (SPD) le 12 mars:

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000129_00432.html et suivantes.

Sur la durée hebdomadaire du travail:

http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000129_00434.html.

[4]. http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/bru/bru2p/kap1_1/para2_12.html.

[5]. http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000129_00675.html

J. Hürter: Wilhelm Groener (1928‑1932), S. 291 (Bibliographie )

H. Braunweiler: Groener, Schleicher, Seeckt, S. 66 (Bibliographie )

[6]. http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/bru/bru2p/kap1_1/para2_35.html.

[7]J. Hürter: Wilhelm Groener..., p. 274. (Bibliographie )

[8]. http://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1931.pdf, S. 285

[9]. http://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1931.pdf, S. 283-284

[10]. http://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1931.pdf, S. 10-20, citation S. 18-19

[11]U. Büttner (Hg.): Ideologie - Herrschaftssystem - Wirkung in Europa, (Bibliographie )

[12]. http://www.digam.net/dokument.php?ID=3682.

[13]. http://www.stmuk.bayern.de/blz/web/100083/05.html.

[14]. http://192.68.214.70/blz/web/100083/08.html

[15]. http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/bru/bru2p/kap1_1/para2_191.html.

[16]. http://www.digam.net/dokument.php?ID=3683.

[17]. http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1972_1.pdf

[18]. http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1972_1.pdf

[19]H. Holborn: Deutsche Geschichte in der Neuzeit, S. 479. (Bibliographie )

[20]O. Braun: Von Weimar zu Hitler, S. 354- (Bibliographie )

[21]. http://www.digam.net/dokument.php?ID=3685.

[22]. http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000130_00007.html et suiv.

Ici: http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w5_bsb00000130_00012.html et suiv.

[23]. J. Hürter: Wilhelm Groener..., p. 315. (Bibliographie ).

[24]O. E. Schüddekopf: Das Heer und die Republik, S. 328 (Bibliographie ).

[25]J. Hürter: Wilhelm Groener..., p. 315. (Bibliographie )

[26]. ADGB (Hg.): Gewerkschafts-Zeitung - Jahrgang 41 (1931), S. 817 (Bibliographie ).

F. Deppe, W. Roßmann (Hg.): Wirtschaftskrise, Faschismus, Gewerkschaften, (Bibliographie )

Certaines sources situent par erreur les événements en décembre 1932 (au lieu de 1931).