Kampf und Ziel des
revolutionären Sozialismus.
Die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Ein Jahr lang lastet die nationalsozialistische
Diktatur über Deutschland, über der Welt. Grundstürzend hat der Sieg der deutschen
Gegenrevolution das Wesen und die Aufgaben der deutschen Arbeiterbewegung
geändert. Der Knechtschaft und Gesetzlosigkeit preisgegeben ist das Volk im
totalen faschistischen Staat. Im revolutionären Kampf die Knechtschaft durch
das Recht der Freiheit, die Gesetzlosigkeit durch die Ordnung des Sozialismus
zu überwinden, ist die Aufgabe der deutschen Arbeiterbewegung.
I. Die Bedingungen des revolutionären Kampfes.
Im Kampf gegen die nationalsozialistische
Diktatur gibt es kein Kompromiß, ist für Reformismus und Legalität keine
Stätte. Die sozialdemokratische Taktik ist allein bestimmt durch das Ziel der
Eroberung der Staatsmacht, ihrer Festigung und Behauptung zur Verwirklichung
der sozialistischen Gesellschaft. Die Taktik bedient sich zum Sturz der Diktatur
aller diesem Zweck dienenden Mittel. Der revolutionäre Kampf erfordert die
revolutionäre Organisation. Die alte Form, der alte Apparat ist nicht mehr,
und Versuche zu seiner Wiederbelebung entsprechen nicht den neuen
Kampfbedingungen. Neue Organisationsformen mit opferbereiten Kämpfern müssen
entstehen. In der Wahl dieser Formen sind wir nicht frei. Noch legt uns der
Gegner durch die Uebermacht seiner Mittel, durch die Brutalität ihrer
Anwendung, noch legt uns der Zustand der deutschen Gesellschaft selbst, die
unter dem furchtbarsten Druck des ökonomischen, physischen und geistigen
Terrors steht, das Gesetz des Handelns auf. Kleine Gruppen bilden sich, sie
müssen in teuer erkauften Erfahrungen die Technik ihrer Arbeit erwerben eine
Elite von Revolutionären.
Wenn die Gegensätze im Inneren des Faschismus,
wenn sich die stets sich verschärfenden Klassengegensätze im Kapitalismus
sich entfalten, wenn Unzufriedenheit und Enttäuschung die Massengrundlage der
nationalsozialistischen Herrschaft erschüttern, und spontane Massenbewegungen
beginnen, dann wird es zur Aufgabe der revolutionären Elite, die Gegensätze
im Bewußtsein der Massen zu lenken, ihre Zielsetzung zu beeinflussen, die
Verbindungen auszudehnen und die revolutionäre revolutionären Organisation zur
Massenorganisation zu erweitern.
In den Dienst der revolutionären Organisation
hat sich von Anfang an die Leitung der deutschen Sozialdemokratie im Ausland
gestellt und für die Erfüllung dieser Aufgabe ihre Kräfte und Mittel
eingesetzt. Der Druck des Terrors führt in Deutschland selbst zu weitgehender
Dezentralisation der illegalen Arbeit. Die in Deutschland selbst
unausweichliche Teilung der Arbeit kann nur in der Tätigkeit der Leitung ihre
Zusammenfassung finden. Unterstützung und Förderung erhält jede Gruppe, deren
revolutionärer Geist dafür bürgt, daß ihre Tätigkeit dem Sturz der
nationalsozialistischen Diktatur im Rahmen der Einigkeit der Arbeiterklasse
dient. Die Führung ist sich dabei bewußt, daß sie der ständigen Mitwirkung
und Beratung der Leiter der illegalen Gruppen bedarf.
II. Die Ziele der Massenbewegung
Die Organisation ist das Werkzeug für den
revolutionären Kampf. Welches sind seine Bedingungen, was ist sein Ziel?
Bedingungen und Ziele des Kampfes lassen sich
nicht willkürlich bestimmen, sie erwachsen aus den sich zuspitzenden
Gegensätzen der kapitalistischen Gesellschaft und aus den Tatsachen der
nationalsozialistischen Gegenrevolution.
Wir fragen, wofür muß die Arbeiterklasse unter
dem faschistischen System kämpfen, welche Kämpfe sind ihr aufgezwungen?
Der Nationalsozialismus leugnet in seiner
Theorie die Klassenkämpfe, seine Praxis verschärft sie auf das Grausamste.
Seine Herrschaft bedeutet eine unerhörte Steigerung der sozialen Gegensätze,
ein neues Erhitzen des Kessels bei gewaltsamer Verschließung aller Ventile.
Die Unterdrückung aller Organisationen der Arbeiter und Angestellten, ihre
völlige Entmachtung, überliefert sie der Willkür des Großkapitals, in dessen
Interessen die Diktatur die Staatsmacht gestellt hat. Diese einseitige Verschiebung
der Machtverhältnisse bedroht die Arbeiterschaft mit fortschreitender
Verschlechterung ihrer Lebenshaltung. Die Gefahr wird gesteigert durch eine
Wirtschaftspolitik, die die Kosten aller Bedürfnisse der breiten Massen
erhöht, die Beschäftigung in den Exportindustrien immer mehr drosselt; sie
wird vermehrt durch eine Finanzpolitik, die die Massen belastet und immer
größere Teile des ihnen abgepreßten Tributs einzelnen vom Regime begünstigten
Schichten zuschanzt. Das zwingt die Massen zum Kampf für die Sicherung und
Hebung ihrer materiellen Existenz. Aber jede Lohnbewegung ist verboten, jeder
Streik wird zur politischen Rebellion!
Aus dieser Situation wird mit Notwendigkeit die
Forderung nach Wiederherstellung der Koalitionsfreiheit und der Schaffung sozialer
Kampforganisationen als Vertreter der Arbeiterinteressen erwachsen. Ihre
Koalitionsfreiheit ist nicht möglich ohne ihre Versammlungs-, Vereins- und
Pressefreiheit. Aus den unabweisbaren Bedürfnissen der Arbeiterschaft ergibt
sich so die Forderung nach politischen Rechten, entspringt der Kampf um ihre
demokratische Bewegungsfreiheit.
Im Heer der Arbeitslosen wächst mit der Dauer
der Arbeitslosigkeit die Rebellion gegen eine Gesellschaft, die ihnen das
Recht auf Arbeit versagt, verstärkt sich ihre Forderung nach
Wiedereingliederung in den Produktionsprozeß, nach einer Ordnung der
Wirtschaft, die Arbeitende und Arbeitslose nicht mehr auseinanderreißt,
sondern die Arbeitsmöglichkeit gleichmäßig auf alle Arbeitsfähigen verteilt.
Diese Bewegung der von der Diktatur betrogenen Arbeitslosen richtet sich
unmittelbar gegen die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft.
Die Kämpfe um die Sicherung der Lebenshaltung
der Arbeitenden und um die Wiedereingliederung der Arbeitslosen in den
Produktionsprozeß mit allen Kräften zu fördern, die Front der kämpfenden
Arbeiter zu verbreitern, den notwendigen inneren Zusammenhang dieser Kämpfe
mit dem Ziel des Sturzes der Diktatur den Kämpfenden zum Bewußtsein zu
bringen, ist eine der ersten Aufgaben der revolutionären Arbeit.
Die Wiedereroberung demokratischer Rechte wird
zur Notwendigkeit, um die Arbeiterbewegung als Massenbewegung wieder möglich
zu machen und den sozialistischen Befreiungskampf wieder als bewußte Bewegung
der Massen selbst zu führen. Jedes demokratische Recht wird aber zur
Bedrohung des Fortbestandes der Diktatur. Der Kampf um die Demokratie
erweitert sich so zum Kampf um die völlige Niederringung der
nationalsozialistischen Staatsmacht.
Dieser Kampf ist nur revolutionäres
Durchgangsstadium zur Eroberung der ganzen Staatsmacht. Der Sturz der
Despotie wird sich, wenn nicht äußere Katastrophen ihn herbeiführen, nur in
der gewaltsamen Niederringung, nur durch den Sieg im revolutionären Kampfe
vollziehen. Er wird sich ergeben, wenn die Bedingungen einer objektiv
revolutionären Situation ausgenützt werden von einer entschlossenen, von
radikalem Kampfgeist durchseelten, von einer erfahrenen Elite geführten
Partei des revolutionären Sozialismus. Er kann nur erwachsen aus der Tat der
Massen selbst.
III. Die Ausübung der Macht.
Diese Art der Eroberung der Macht bestimmt die
Art ihrer Ausübung.
Im schweren, opferreichen, leidenschaftlichen
Ringen um den Sturz der Diktatur erfüllt sich die Arbeiterbewegung mit
radikalem, kompromißlosem Geist. Der politische Umschwung von 1918 vollzog
sich am Abschluß einer konterrevolutionären Entwicklung, die durch den Krieg
und die nationalistische Aufpeitschung der Volksmassen bedingt war. Nicht
durch den organisierten, vorbereiteten, gewollten revolutionären Kampf der
Arbeiterklasse, sondern durch die Niederlage auf den Schlachtfeldern wurde
das kaiserliche Regime beseitigt. Die Sozialdemokratie als einzig intakt
gebliebene organisierte Macht über nahm ohne Widerstand die Staatsführung, in
die sie sich von vornherein mit den bürgerlichen Parteien, mit der alten
Bürokratie, ja mit dem reorganisierten militärischen Apparat teilte. Daß sie
den alten Staatsapparat fast unverändert übernahm, war der schwere
historische Fehler, den die während des Krieges desorientierte deutsche
Arbeiterbewegung beging.
Die neue Situation schließt jede Wiederholung
aus. Die Niederwerfung des nationalsozialistischen Feindes durch die
revolutionären Massen schafft eine starke revolutionäre Regierung, getragen
von der revolutionären Massenpartei der Arbeiterschaft, die sie kontrolliert.
Die erste und oberste Aufgabe dieser Regierung ist es, die Staatsmacht für
die siegreiche Revolution zu sichern, die Wurzeln jeder
Widerstandsmöglichkeit auszureißen, den Staatsapparat in ein
Herrschaftsinstrument der Volksmassen zu verwandeln.
Der revolutionären Regierung obliegt deshalb die
sofortige Durchführung einschneidender politischer und sozialer Maßnahmen zur
dauernden völligen Entmachtung des besiegten Gegners. Das erfordert:
Einsetzung eines
Revolutionstribunals.
Aburteilung der
Staatsverbrecher, ihrer Mitschuldigen und Helfer in der Politik, der
Bürokratie und Justiz wegen Verfassungsbruches, Mordes und Freiheitsberaubung
unter Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte.
Aufhebung der
Unverletzbarkeit der Richter.
Besetzung aller
entscheidenden Stellen der Justiz durch Vertrauensmänner der revolutionären
Regierung.
Grundlegende
Umgestaltung der Justiz durch Verstärkung des Laienelementes.
Reinigung der
Bürokratie, sofortige Umbesetzung aller leitenden Stellen.
Organisierung einer
zuverlässigen Militär- und Polizeimacht.
Völlige Erneuerung
des Offizierkorps.
Aufhebung aller die
Freiheit der Arbeiterschaft beschränkenden Gesetze und Verordnungen der
nationalsozialistischen Despotie.
Volle
staatsbürgerliche Gleichberechtigung ohne Unterschied der Rasse und Religion.
Trennung von Kirche
und Staat.
Unterbindung jeder
konterrevolutionären Agitation.
Sofortiger Erlaß
der notwendigen sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Gesetze durch die
revolutionäre Regierung.
Die Zerschlagung des alten politischen Apparates
muß gesichert werden gegen seine bisherigen gesellschaftlichen Träger. Das
erfordert:
Sofortige
entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes, Ueberführung der Forsten
in Reichseigentum und Reichsverwaltung, Verwendung des Ackerlandes zur
Schaffung lebensfähiger Bauern-Siedlungen und genossenschaftlicher Betriebe
von Landarbeitern mit ausreichender Förderung durch Staatsmittel.
Sofortige
entschädigungslose Enteignung der Schwerindustrie.
Uebernahme der Reichsbank
in den Besitz und die Verwaltung des Reiches.
Vergesellschaftung
und Uebernahme der Großbanken durch die vom Reich bestimmten Leitungen.
Erst nach der Sicherung der revolutionären Macht
und nach restloser Zerstörung der kapitalistisch-feudalen und politischen
Machtpositionen der Gegenrevolution beginnt der Aufbau des freien
Staatswesens mit der Einberufung einer Volksvertretung, gewählt nach
allgemeinem, gleichem, direktem und geheimen Wahlrecht in Einzelwahlkreisen.
Die erste Wahlkreiseinteilung erläßt die revolutionäre Regierung.
Die Volksvertretung wählt mit absolutem Mehr
(falls notwendig unter Vornahme einer Stichwahl) den Chef der
Reichsregierung, der die Reichsminister ernennt. Bis zum Zustandekommen der
Wahl bleibt die Revolutionsregierung im Amt.
Das despotische System der zentralisierten
Staatsmacht wird durch die Herstellung einer echten freiheitlichen
Selbstverwaltung innerhalb des gegliederten Einheitsstaates gebrochen. In den
politischen Gemeinden werden für das Schul-, Wohlfahrts-, Gerichts- und
Steuerwesen Selbstverwaltungskörper gebildet, denen die Beamten
verantwortlich sind.
IV. Revolution der Wirtschaft
Aufgabe der Arbeiterschaft im neuen Staat ist
die Anwendung der errungenen Staatsmacht zur Durchführung der sozialistischen
Organisation der Wirtschaft. Die Vergesellschaftung der Schwerindustrie, der
Banken und des Großgrundbesitzes ist kein Endpunkt, sondern nur der
Ausgangspunkt für die Umwandlung der kapitalistischen in die sozialistische
Gesellschaft.
Die sozialistische Wirtschaftsorganisation
beseitigt die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise. Sie überwindet
damit die Wirtschaftskrisen und die Arbeitslosigkeit. An die Stelle der
planlosen kapitalistischen Wirtschaft tritt die sozialistische
Planwirtschaft. An die Stelle des kapitalistischen Profitstrebens tritt das
Streben nach Deckung eines stets sich steigernden Bedarfes. An die Stelle der
regellosen Rationalisierung zur Erhöhung des Profits durch Ersparung von
Arbeitskräften, an die Stelle der regellosen Aufblähung des
Produktionsapparates auf Kosten des Konsums tritt die planmäßige Steigerung
der Produktionskräfte, die gleichmäßige Erweiterung von Erzeugung und
Verbrauch. An die Stelle des zerstörenden Kampfes der einzelnen
Produktionszweige gegeneinander tritt die auf einander abgestimmte
Entwicklung.
Die Leitung der Umorganisation obliegt der
obersten sozialistischen Planstelle. Diese dient der Lenkung der gesamten
Wirtschaft. Sie hat insbesondere folgende Aufgaben:
Aufstellung eines
Wirtschaftsplanes für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft.
Schaffung einer
Verwaltungsorganisation für die Verstaatlichung der Wirtschaftszweige unter
Mitwirkung der Produzenten, Konsumenten und des Staates.
Vorbereitung
weiterer Sozialisierung kapitalistisch beherrschter Wirtschaftszweige,
Regulierung der Steigerung der Erzeugung und der Anwendung des technischen
Fortschrittes durch Lenkung der Kapitalanlagen und der Betriebskredite.
Regelung der
Beziehungen zwischen dem vergesellschafteten Teil der Wirtschaft und der
Marktwirtschaft.
Für die Vergesellschaftung und einheitliche
Leitung kommen zunächst folgende Wirtschaftszweige in Betracht:
Das Kreditwesen
unter Aufrechterhaltung und Förderung der Selbstverwaltung der bäuerlichen
und gewerblichen Genossenschaften.
Das
Versicherungswesen.
Die
Schwerindustrie.
Die chemische
Großindustrie.
Der Güter- und
Personenmassenverkehr.
Die Kraftversorgung
(Gas und Elektrizität).
V. Die Revolution der Gesellschaft.
Die sozialistische Gesellschaft beseitigt das
Ausbeutungseigentum des Kapitals, sie schützt das Arbeitereigentum des Bauern
und des Handwerkers. Sie bedeutet ständige Steigerung der Lebenshaltung,
deshalb erleichterte Absatzmöglichkeit für Produkte der bäuerlichen und
handwerklichen Produktion. Sie befreit das Arbeitseigentum in Land und Stadt
von dem Druck des agrarischen Großbesitzes und von der Uebermacht des
Bankkapitals. Sie sorgt durch ihre Beherrschung des Kreditsystems für die
ausreichende und billige Versorgung des Mittelstandes mit den nötigen
Betriebskrediten. Sie dehnt die Alters-, Invaliden- und Krankenversorgung auf
die ländlichen und städtischen Mittelschichten aus und erhöht so deren
Existenzsicherheit. Die Agrarpolitik, befreit von dem übermächtigen Einfluß
des Großgrundbesitzes, tritt für die Förderung und ausreichende Verwertung
der Veredelungsprodukte der bäuerlichen Wirtschaft ein, sorgt durch
staatliche Meliorationen für die Verbesserung ihres Grund und Bodens und
durch Schaffung eines ausreichenden Bildungswesens für die ständige Hebung
der Leistungsfähigkeit.
Die Neuordnung und Kontrolle der Produktion hebt
die Bedeutung der Arbeit der technischen und leitenden Angestellten. Der
Betrieb bedarf auch in der sozialistischen Wirtschaft einer gegliederten
qualifizierten Leitung. Die Loslösung dieser Leitenden Organe aus der
kapitalistischen Herrschaft, ihre Verwandlung in Funktionäre der Gemeinschaft
gibt ihrer Arbeit neuen Inhalt und neue Würde.
Das Bildungsprivileg wird zerbrochen. In der Einheitsschule
wird das heranwachsende Geschlecht nicht nur für den künftigen Beruf, sondern
auch für die Erfüllung seiner Aufgaben in dem freien sozialistischen
Gemeinwesen herangebildet. Der Aufstieg zu den höheren Lehranstalten erfolgt
ausschließlich auf Grund der Eignung und Begabung ohne Rücksicht auf das
Herkommen. Unterricht und Lehrmittel sind auf allen Stufen unentgeltlich.
Die sozialistische Gesellschaft stellt die
Freiheit des Geistes und der Wissenschaft wieder her, sichert Kulturarbeit
und Kunst vor den Eingriffen bürokratischer und kirchlicher Gewalten, gibt
der Persönlichkeit ihr unveräußerliches Recht und ihre Menschenwürde wieder
zurück.
Die sozialistische Neuordnung der Wirtschaft ist
mehr als eine materielle Angelegenheit. Sie ist selbst Mittel zum Endziel der
Verwirklichung wahrer Freiheit und Gleichheit, der Menschenwürde und voller
Entfaltung der Persönlichkeit. Die Arbeit, bisher Quelle der persönlichen
Bereicherung der einen und Ringen um die Fristung eines ärmlichen Lebens für
die anderen, wird zum sozialen Dienst an der Mehrung des gesellschaftlichen
Wohlstandes. Die Massen werden nicht mehr arbeiten, um den Monopolbesitzern
der Produktionsmittel einen dürftigen Lebensraum und ein allzeit von Krisen
bedrohtes Dasein abzuringen, sondern sie werden arbeiten für die Gestaltung
der sozialistischen Zukunft. Die planmäßige Lenkung des technischen
Fortschrittes wird die Produktivität der menschlichen Arbeit gewaltig
steigern. Die Ausschaltung der Krisen wird den gesellschaftlichen Wohlstand ständig
vermehren. Die dadurch ermöglichte Verkürzung der Arbeitszeit, vor allem aber
die Befreiung des Menschengeschlechtes von den täglichen materiellen Sorgen
der Lebensfristung und der Arbeitssuche ermöglicht allen Gliedern des
sozialistischen Gemeinwesens die Anteilnahme an den Schätzen der Kultur, an
den Erkenntnissen der Wissenschaft und an den Genüssen der Kunst. Ein neuer
Gemeinsinn, eine neue Lebensauffassung, ein neuer Wetteifer um die Entfaltung
aller Fähigkeiten erwächst: Die sozialistische Gesinnung, in der die neue
Gesellschaft unzerstörbar verankert sein wird.
Je mehr sich der gesellschaftliche Umbau seiner
Vollendung nähert, je mehr der Obrigkeitsstaat durch die Selbstverwaltung
ersetzt wird, umso mehr wird der jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Staat
und Gesellschaft überwunden. An die Stelle des Machtstaate, der durch
Militär, Bürokratie und Justiz seine Untertanen beherrscht, tritt die
Selbstverwaltung der Gesellschaft, in der jeder zur Mitwirkung an den
allgemeinen Aufgaben berufen ist. An die Stelle des Führerprinzips und der
Parteihierarchie, die Willkür und Verantwortungslosigkeit bedeuten, tritt die
Verantwortung freier Menschen für die Erfüllung der gesellschaftlichen
Aufgaben. Die Despotie wird abgelöst durch die freie Selbstbestimmung des
Volkes, die Unterdrückung weicht der Gleichheit der gesellschaftlichen Rechte
und Pflichten für alle Volksgenossen. Die Menschheit ist aus dem Reich der
Notwendigkeit in das Reich der Freiheit getreten.
VI. Abrüstung und Kriegsgefahr.
Die nationalsozialistische Diktatur hat
Deutschland in Barbarei und Bestialität gestoßen, das deutsche Volk mit
tiefer Schmach bedeckt. Aber die Hitlerherrschaft ist nicht nur Schande und
Gefahr für Deutschland, sie bedeutet die Gewaltdrohung gegen die Freiheit und
Zivilisation aller anderen Völker. Die Diktatur hat in Rassenwahn und
Großmachtsucht den alldeutschen Nationalismus zur Siedehitze gesteigert. Sie
vergiftet die Jugend mit militaristischem Angriffsgeist, sie setzt alle
geistigen und materiellen Mittel ein für eine fieberhafte Aufrüstung. Sie
propagiert offen ihre Kriegsziele: eine neue Großmachtpolitik soll Neuland
für die Siedlung im Osten schaffen, soll alle “deutschstämmigen” Gebiete dem
faschistischen Reich einverleiben. Aber Schlimmeres noch als territoriale
Einbuße droht den Völkern von der siegreichen Diktatur: am faschistischen
deutschen Wesen soll die Welt genesen. Bedeutet eine neuer Krieg mit den
unendlich vervollkommneten Zerstörungsmitteln eine Untergangsdrohung für die
Zivilisation, so bedeutet ein Sieg der faschistischen Diktaturen eine
Verewigung der Sklaverei und Bestialität im Inneren und ihre Ausbreitung über
die übrige Welt.
Die deutsche Demokratie hat die Forderung der
Gleichberechtigung erhoben im Bunde mit den großen Demokratien des Westens
als ein Mittel zur Organisation und Sicherung des Friedens. Die Diktatur hat
diese Forderung verfälscht, um sie für ihre kriegerischen Absichten zu
mißbrauchen. Sie erhebt sie, um als starker Bundesgenosse neue Koalitionen
zur Erreichung ihrer machtpolitischen Ziele bilden zu können. Die auswärtige
Politik der deutschen Diktatur bedeutet ständige Bedrohung des Friedens und
damit den Zwang zum Wettrüsten. Die Diktatur, die durch schamlosen
Verfassungsbruch, durch Inszenierung des Reichstagsbrandes zur Macht gelangt
ist, die durch frevelhaften Terror und schamlose Vergewaltigung von Recht und
Gesetz die Macht behauptet, bietet erst recht keine Gewähr für die
Innehaltung internationaler Verträge. Sie wird sie brechen, sobald sie den
Bruch für nützlich hält.
Es ist nicht Aufgabe der Sozialdemokratie, auf
den Sturz der Despotie durch den Krieg zu hoffen. Es ist vielmehr ihre
Aufgabe, den Krieg zu verhindern. Deshalb verwirft sie alle militärischen
Konzessionen an Hitlerdeutschland. Sie warnt die Arbeiterparteien aller
Länder, die Gefahr des deutschen Nationalismus zu unterschätzen.
Gleichberechtigung der Demokratien, aber keinerlei Aufrüstung für eine
kriegslüsterne Diktatur! Diesem System keinen Mann und keinen Groschen, das
ist die Parole der deutschen Sozialdemokratie, das muß die Losung der
Sozialistischen Arbeiter-Internationale sein. Nicht militärische
Zugeständnisse erfordert die Sicherung des Friedens und der Freiheit der
Nationen, sondern Wiederabrüstung, Entwaffnung und Auflösung der SA- und
SS-Formationen.
Sollte der Krieg, den Festigkeit und wachsame
Entschlossenheit der Demokratien unter dem Einfluß ihrer Arbeiterparteien
heute noch verhindern können, trotzdem ausbrechen, so werden die deutschen
Sozialdemokraten der Despotie in unveränderter, unversöhnlicher Feindschaft
gegenüberstehen. Die Einheit und Freiheit der deutschen Nation kann nur
gerettet werden durch die Ueberwindung des deutschen Faschismus.
Die Sozialdemokratie wird sich mit
Entschiedenheit gegen jeden Versuch von außen wenden, einen kriegerischen
Zusammenbruch der Despotie in Deutschland zu einer Zerstückelung Deutschlands
auszunutzen. Sie wird keinen Frieden anerkennen, der zur Zerreißung
Deutschlands führt und eine Hemmung seiner freiheitlichen und
wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten bedeutet.
VII. Die Einheit des revolutionären Sozialismus.
Mit dem Sieg des totalen Staates ist die Frage
seiner Überwindung mit grausamer Eindeutigkeit gestellt. Die Antwort lautet:
Totale Revolution, moralische, geistige, politische und soziale Revolution!
In diesem Kampfe wird die Sozialdemokratische
Partei eine Front aller antifaschistischen Schichten anstreben. Sie wird die
Bauern, die Kleingewerbetreibenden, die Kaufleute, die durch die
Versprechungen der Nationalsozialisten betrogen sind, sie wird die
Intellektuellen, die unter dem gegenwärtigen Regime ein bisher
unvorstellbares Maß der Unterdrückung und Entwürdigung erleiden, zum
gemeinsamen Kampf mit der Arbeiterklasse aufrufen.
Wir haben den Weg, wir haben das Ziel des
Kampfes gezeigt. Die Differenzen in der Arbeiterbewegung werden vom Gegner
selbst ausgelöscht. Die Gründe der Spaltung werden nichtig. Der Kampf zum
Sturz der Diktatur kann nicht anders als revolutionär geführt werden. Ob
Sozialdemokrat, ob Kommunist, ob Anhänger der zahlreichen Splittergruppen,
der Feind der Diktatur wird im Kampf durch die Bedingungen des Kampfes selbst
der gleiche sozialistische Revolutionär. Die Einigung der Arbeiterklasse wird
zum Zwang, den die Geschichte selbst auferlegt.
Die Führung der deutschen Sozialdemokratie weiß
sich deshalb frei von jeder sektenhaften Abschließung und ist sich ihrer
Mission bewußt, die Arbeiterklasse in einer politischen Partei des
revolutionären Sozialismus zu vereinigen. Wie sie die illegale Arbeit aller
Gruppen, die den Kampf gegen die Diktatur und nicht gegen andere Parteien der
Arbeiterklasse führen, zu unterstützen bereit ist, so öffnet sie ihre
Zeitungen, Zeitschriften und Publikationen allen Diskussionen über die
Probleme des revolutionären Sozialismus, der Machteroberung und Machtbehauptung
in der Überzeugung, daß nur aus gemeinsamer geistiger Arbeit die
Verwirklichung des einheitlichen revolutionären sozialistischen Bewußtseins
der Arbeiterklasse erstehen kann. Aber sie lehnt es ab, die
Selbstzerfleischung zuzulassen, die um der Frage der Ausnutzung noch nicht
errungener Siege willen die Spaltung der Arbeiterklasse, den sichersten
Schutz der Diktatur, verewigen will.
Die nationalsozialistischen Machthaber rühmen
sich, die revolutionäre sozialistische Arbeiterbewegung vernichtet, den
Freiheitsgedanken ausgerottet zu haben. Sie sind die Sieger und üben an den
Unterdrückten grausame Rache. Aber je größer ihr Sieg, der Sieg der
kapitalistischen Mächte, desto schwerer wird ihre künftige Niederlage sein.
Die kapitalistische Entwicklung schafft selbst ihre Totengräber und der
Triumph von heute ist der Untergang von morgen.
Gegen die faschistische Barbarei führen wir den
Kampf für die großen und unvergänglichen Ideen der Menschheit. Wir sind die
Träger der großen geschichtlichen Entwicklung seit der Ueberwindung der
mittelalterlichen Gebundenheit, wir sind die Erben der unvergänglichen
Ueberlieferungen der Renaissance und des Humanismus, der englischen und der
französischen Revolution. Wir wollen nicht leben ohne Freiheit und wir werden
sie erobern. Freiheit ohne Klassenherrschaft, Freiheit bis zur völligen
Aufhebung aller Ausbeutung und aller Herrschaft von Menschen über Menschen!
Das Blut der Opfer
wird nicht vergebens geflossen sein!
Deutsche Arbeiter,
ihr habt nur die Ketten eurer Knechtschaft zu verlieren aber die Welt der
Freiheit und des Sozialismus zu gewinnen!
Deutsche Arbeiter,
einigt euch im revolutionären Kampf zur Vernichtung der
nationalsozialistischen Diktatur!
Durch Freiheit zum
Sozialismus, durch Sozialismus zur Freiheit!
Es lebe die
deutsche revolutionäre Sozialdemokratie, es lebe die Internationale!
Prag, 28. Januar [1934]
Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands.
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