Die « goldenen zwanziger Jahre  »


Nach Überwindung der revolutionären Nachkriegskrise konnte der deutsche Imperialismus unter anderem mit Hilfe amerikanischer Dolleranleihen eine Periode der ökonomischen und politischen Stabilisierung einleiten. Diese Stabilisierung war von einem nur relativen Charakter, da sie sich unter den Bedingungen der allgemeinen Krise des Kapitalismus vollzog. Bürgerliche Ideologen erhoben sie später als die Zeit der « goldenen zwanziger Jahre » zur Legende.
« Golden » waren sie keinesfalls für die Geraer Arbeiter. Infolge der kapitalistischen Rationalisierung verschärfte sich die Ausbeutung von Tag zu Tag. Die « Ostthüringer Arbeiterzeitung »,das Organ der KPD, charakterisierte im November 1926 die Grundlagen für den Profit der Geraer Textilunternehmer: ein wahnwitziges System von Überstunden, Akkordschinderei und Beschleunigung des Arbeitstempos. Die Zahl der Betriebsunfälle betrug 1924 bis 1925 in Gera 1 022 und steigerte sich 
1927 bis 1928 auf 2 296. Hinzu kam der Druck auf politisch aktive Arbeiter. Von Entlassungen und Aussperrungen wurden die Kommunisten immer als erste betroffen. Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und niedrige Löhne gehörten ebenso zum Arbeitsalltag wie Überstunden und verlängerte Arbeitstage, wenn die Absatzlage für die Unternehmer günstig war, wie zum Beispiel in der Geraer Teppichindustrie, die in der Zeit Hochkonjunktur hatte. Die Arbeiter setzten sich zwar in erbitterten Streikkämpfen zur Wehr, aber die Unternehmer antworteten darauf oft mit Aussperrungen. So standen beispielsweise im Jahre 1924  1 366 Geraer Arbeiter im Streik,  die Unternehmer sperrten jedoch 8 059 Arbeiter aus, um die Streikfront zu brechen.
Um die Jahreswende 1925 bis 1926 kam es zu Betriebsstilllegungen und Produktionseinschränkungen. Die Folge waren im Januar 1926 6 014 Arbeitslose in Gera - die Höchstzahl in den Jahren der relativen Stabilisierung. Auch in den « goldenen zwanziger Jahre » musste die Stadt Gera Notwohnungen für « leistungsschwache Exmittierte » schaffen, so in den Stadtteilen Bieblach, Zwötzen, Windischenbernsdorf, in der Wuitzer Strasse und in der Margarethengasse. Existenzsicherheit für die arbeitenden Menschen boten diese Jahre also nicht. Die Folge waren Lebensangst ( 1928 bis 1929 kam es in Gera zu 39 Selbstmorden und 38 Selbstmordversuchen ), Prostitution ( 1925 bis 1926 gab es in Gera neun Bordelle und 147 kontrollierte Prostituierte ) und Krankheiten ( 1928 bis 1929 fielen 122 Geraer der Tbc zum Opfer, währenden Altersschwäche 153 Menschen starben ). Die Werktätigen suchten einen Ausweg: Die klassenbewussten Arbeiter sahen ihn im Kampf gegen die Ausbeuterordnung; andere, besonders Angehörige der städtischen Mittelschichten, trieb es zum Okkultismus, zum amerikanischen « way of lifte » ( 1930 wurde eine « Miss Gera » gewählt ) und schließlich zum Faschismus. In ihrem Kampf gegen die Ausbeuterordnung konnten sich die Geraer Streikenden und Arbeitslosen auf die internationale Solidarität stützen. Seit 1921 bestand die Internationale Arbeiterhilfe ( IAH ). Vor allem die Sowjetunion linderte durch umfangreiche Getreidelieferungen 1932 bis 1924 die allergrößte Not. In Geraer Konsumbäckereien wurde aus russischem Mehl Brot gebacken.

Ausgesperrte Metallarbeiter um 1928

In der Enzianschule ( 1945 zerstört ) gab es eine sogenannte Russenküche, wo bis zu 500 warme Mahlzeiten pro Tag ausgegeben wurden. Im Jahre 1924 wurden in Gera die Ortsgruppen der IAH und der « Roten Hilfe Deutschland »
( RHD ) gegründet. Besonderen Anteil daran hatte der Kommunist Erich Wilke.
1924 wurde in Thüringen durch das Zustandekommen der Ordnungsbundregierung sichtbar, wie der Einfluss der reaktionären Kräfte des deutschen Monopolkapitals und des Junkertums auf das politische Leben wuchs. Im Ordnungsbund vereinigten sich im Dezember 1923 der von Großagrariern geführte Thüringer Landbund, der bei Wahlen als politische Partei auftrat und eine große Massenbasis unter den Bauern hatte, die DNVP, die DVP und die DDP. die Integrierung der DDP wurde von den Rechtskräften besonders angestrebt, weil sie die städtischen Mittelschichten vertrat. Dadurch konnte der Ordnungsbund zu den Landtagswahlen am 10. Februar 1924 384 600 Stimmen auf sich vereinigen. In Gera erhielt er 19 658 Stimmen. Die Mehrheit von SPD und KPD im Landtag ging damit verloren. Im Reich spiegelte sich diese Entwicklung in der Regierungskoalition von DNVP, DVP, Zentrum und Bayrischer Volkspartei und Bürgerblockregierungen wider. Für Gera spielte der Bürgerbund die gleiche Rolle wie der Ordnungsbund für das Land Thüringen. Unter der Losung « Das Vaterland über die Partei » sammelte er alle rechtsgerichteten Kräfte der Stadt und trat zu den Gemeinderatswahlen mit einer Einheitsliste als « Bürgerliche Arbeitsgemeinschaft » auf. Zur Stadtratswahl vom 22. Februar 1925 erreichte er die Mehrheit von 18 Abgeordneten gegenüber 14 SPD- und drei KPD- Vertretern.
1924 konstituierte sich der Geraer Museums- und Geschichtsverein. Die führenden Kräfte des Bürgerbundes etablierten sich auch hier. An der Spitze standen der Bankier Oberlaender und der Syndikus Dr. Wick. Die intensiven heimatgeschichtlichen Forschungen erwiesen sich als wirksames mittel, alle Bevölkerungsschichten, von allem jedoch das Kleinbürgertum, zu erreichen und im Sinne der imperialistischen Ideologie zu manipulieren.
Am 5. und 6. Juli 1924 kam es in Gera zu einem Treffen des « Stahlhelms », des größten und einflussreichen militärischen Verbandes der Weimarer Republik Während die einheimischen Stahlhelmleute aus Furcht vor den Arbeitern zu Hause blieben, kamen 250 Mann aus Mitteldeutschland nach Gera zu einer Parade und Fahnenweihe unter starkem Polizeischutz. Jedoch kam es unter Führung der KPD zu machtvollen Gegendemonstrationen der Geraer Arbeiter, KPD- und SPD- Mitgliedern wurden verhaftet. Zu einem Treffen reaktionärer Kräfte und einem Mittel der ideologischen Manipulierung der Werktätigen wurde auch das Schützenfest zum 200jährigen Jubiläum der Geraer Schützenkompanie am 23. Juli 1924 mit seinem als « großen Festumzug » deklarierten nationalistischen Aufmarsch. Die « Ostthüringer Arbeiterzeitung » berichtete zu dieser Zeit, wie Gera immer mehr zu einem Tummelplatz völkischer Rowdys wurde, die die Arbeiter terrorisierten. Nachdem die proletarischen Hundertschaften im Herbst 1923 weitgehend zerschlagen worden waren, schuf sich die Arbeiterklasse auf Initiative der KPD zu ihrem Schutz den Roten Frontkämpferbund ( RFB ). Der von Ernst Thälmann geführte RFB war in erster Linie eine Organisation der politischen Massenarbeit, auch wenn er sich militärischen bediente und Schutzfunktionen ausübte. Er kämpfte um die Aktionseinheit mit den Arbeitern im « Reichsbanner Schwarz - Rot - Gold », der von der SPD geführten bürgerlich - demokratischen Massenorganisation zum Schutz der Weimarer Republik. Die Geraer Ortsgruppe des RFB formierte sich am 26. September 1924 in der Ostvorstädtischen Turnhalle und bestand im Mai1925 aus 508 Mitgliedern.
Das Wiedererstarken des deutschen Monopolkapitals und die Wahl des Militaristen Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten Anfang 1925 gab den reaktionären Kräften immer mehr Auftrieb. Die NSDAP richtete ihr Augenmerk auf Thüringen. Die zentrale Lage, das Vorhandensein der reaktionären Ortungsbundregierung, die Wirtschafts- und Sozialstruktur betrachteten die Nazis als günstige Möglichkeiten, sich hier früher als in anderen Teilen Deutschlands einzunisten und auszubreiten. Am 1. März 1925 gründeten sie den Gau Thüringen der NSDAP und bestrebt, ihre seit 1923 bestehenden Stützpunkte auszubauen und zu vermehren. Hitler startete deshalb Ende 1925 eine Propagandafahrt durch thüringische Städte. Am 13. November trat er in Gera auf, wo die Ortsgruppe der NSDAP im Februar neu gegründet worden war.

Am 13. November trat Adolf Hitler in Gera ein,
zu einer Propagandaveranstaltung.

Zu seinem Schutz wurden in der Stadt starke Polizeieinheiten konzentriert. Trotzdem musste er sich in Zivil durch die die aufgebrachten Arbeitermassen drängen, um unerkannt in die « Heinrichsbrücke » zu gelangen. Davon protestierten RFB und andere Arbeiter leidenschaftlich gegen den Faschismus und formierten sich einer Anti - Hitler - Kundgebung mit dem Landtagsabgeordneten Hermann Schulz ( KPD ) auf dem Markt. Nazis aus Plauen, Jena, Schmölln und Weimar provozierten Zusammenstöße mit den Arbeitern, die Rote Frontkämpfer und einige Reichsbanner - Arbeiter abwehrten.
Der Auftrieb, den die reaktionären Kräfte in der Periode der relativen Stabilisierung erfuhren, zeigte sich auch in der Forderung der in der Novemberrevolution gestürzten Dynastien nach Entschädigung. Die sieben Thüringer Fürstenhäuser hatten bereits 1923 15 Millionen Reichsmark an Abfindung erhalten. Der « Volksstaat Reuß » hatte schon am 22. Dezember 1919 einen Vergleich mit dem Fürstenhaus Reuß abgeschlossen, wonach ein Territorium von 273 Quadtratkilometer im Werte von 68,5 Millionen Reichsmark im Besitz des Fürstenhauses verblieb. Fürst Heinrich Reuß XXVII. behielt zum Beispiel Schloss Osterstein und den Küchengarten in Gera, Schloss Ebersdorf, Nutzungsrecht am Schleizer Schloss, 3 400 ha Land und 7 400 ha Wald. Jetzt aber beanspruchten allein die 25 Thüringer Fürsten 500 Millionen Reichsmark Abfindung. Fürst Heinrich Reuß XXVII. von Gera wollte für 3 420 ha abgefunden werden.
Während die rechte SPD - Führung für eine Politik des Vergleichs mit den Fürsten eintrat, stellte sich die KPD an die Spitze der aufgebrachten Volksmassen. Unter der Losung « Keinen Pfennig den Fürsten ! Brot und Arbeit dem notleidenden    Volke! » entwickelte sich auch in Gera die demokratische Massenbewegung für einen Volksentscheid gegen die Fürstenab-
findung. Der Gedanke eines Volksbegehrens für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten zugunsten der Erwerbslosen und Kriegsgeschädigten, der Kriegshinterbliebenen, Witwen und Waisen und anderer notleidender fand in der Bevölkerung großes Echo und zwang auch die rechten SPD - Führer, sich dafür auszusprechen. In die Listen für das Volksbegehren trugen sich 28 242 Geraer ein - das waren über 50 Prozent der Stimmberechtigten und 2 293 Stimmen mehr, als KPD und SPD zusammen bei der Reichstagswahl vom 7. Dezember 1924 erhalten hatten. Die Ergebnisse des Volksbegehrens führten zum Volksentscheid. Die Geraer Kommunisten bereiteten den Tag des Volksentscheids durch wirksame Aktionen vor, Höhepunkt dabei war der kraftvolle Aufmarsch der 3 000 Arbeitersportler und weiterer Werktätiger gemeinsam mit dem RFB. Am 20. Juli 1926 stimmten 30 719 Geraer für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten, das waren 54 Prozent der Stimmberechtigten. Damit lag das Geraer Ergebnis weit über dem Reichsdurchschnitt von 36,4 Prozent und zeigte die Möglichkeit des breiten Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und Teilen der städtischen Mittelschichten.
Als Antwort auf die Vorstöße der reaktionären faschistischen Kräfte in Thüringen rief die Bezirksleitung Großthüringen der KPD zu einem Antikriegstag für den 8. August 1926 in Gera auf. Aus Gera und ganz Thüringen beteiligten sich 5 000 Arbeiter an der Demonstration. Das kraftvolle, disziplinierte Auftreten der Roten Frontkämpfer, begleitet von Schalmeinkapellen und Spielmannszügen, stärkte Kampfbereitschaft und Siegeszuversicht. Auf der begeisternden Kundgebung in der Ostvorstädtischen Turnhalle riefen Hugo Eberlein, Mitglied des ZK der KPD, und der englische Kommunist Vanghan zum verstärkten Kampf gegen die imperialistischen Kriegsvorbereitungen auf. Auch ein Reichsbanner - Arbeiter ergriff das Wort und erklärte: « Unseren gemeinsamen Feind, den Kapitalismus, müssen wir bekämpfen. Es lebe die Einheitsfront des Reichsbanners mit dem RFB!.»
Am 11. und 12. Oktober 1926 fand im « Wintergarten » der « 1. Kongress der Textilarbeiterinnen Deutschlands » mit 380 Teilnehmer statt. In Geraer Textilindustrie waren damals 9 439 Arbeiter beschäftigt, 5 414 von ihnen waren Frauen. Die Arbeiterinnen knüpften große Erwartungen an den Kongress, mussten sie doch täglich neun bis zehn Stunden für einen Hungerlohn schuften. Die rechten Gewerkschaftsführer und die anwesenden Ärzte fanden auf dem Kongress viele bewegende Worte zum schweren los der Textilarbeiterinnen. Auf « Auf die entscheidende Frage, wie die deutsche Arbeiterklasse aus der kapitalistischen Sklaverei herauskommen soll, antwortete der Kongress mit der Forderung  nach Kindererholungsheime. »  
Höhepunkt des Kongresses war die machtvolle Demonstration von 5 000 Textilarbeiterinnen aus Gera und seiner Umgebung. Kurze Zeit später, im November 1926, streikten die Arbeiter der Webereien Schulenburg &  Beßler aus Gera und Ernst Engländer aus Berga ( Elster ) für höhere Löhne. Daraufhin sperrte die « Sächsisch - thüringische Webereikonvention » 
12 000 ostthüringische Textilarbeiter aus, in Gera waren 3 312 davon betroffen. Am 1. Dezember wurden die Aussperrung auf alle Webereien Thüringens ausgedehnt, 25 000 Textilarbeiter lagen auf der Strasse. Das war 1926 in Thüringen die größte Klassenschlacht. Die rechten Führer des Textilarbeiterverbandes beugten sich der Entscheidung des Reichsarbeitsministers, willigten in 6 Prozent Lohnerhöhung statt der geforderten 15 Prozent ein und wiesen die Wiederaufnahme der Arbeit an.
Fast gleichzeitig mit diesen machtvollen Arbeitskämpfen setzten sich die Geraer Arbeiter für ein Gemeindebegehren zur Auflösung des Stadtrates ein. Die bürgerliche Stadtratsmehrheit und der Stadtratsvorsitzende Wick erwiesen sich zusammen mit dem neuen Oberbürgermeister Walter Arnold ( am 1. September 1925 als Kandidat des Bürgerbundes ins Amt gewählt ) als willige Werkzeuge der Ordnungsbundregierung. Im Stadtetat war ein Defizit von 2 Millionen Reichsmark entstanden.
Das sollte durch neue Abgaben und steuern für die Werktätigen ( Einführung einer Miete für die Gasuhren, Erhöhung der Wasserpreise, Feuerschutzabgabe ) und Streichung der sozialer Mittel ausgeglichen werden. Auch wurden 47 500 Reichs-
mark für das Krankenhaus und 60 000 Reichsmark für Schulen gestrichen. Unter dem Druck der aufgebrachten Arbeiter stellte einige Wochen nach der KPD- und SPD - Fraktion den Antrag auf Einleitung des Gemeindebegehrens: Diese Aktion wurde ein Erfolg für die Arbeiterklasse: 18 562 Geraer trugen sich in die Listen ein. Mit dem Gemeindeentscheid vom 6. März 1926 wurde jedoch die für die Auflösung des Stadtrates erforderliche Mehrheit nicht erreicht - dies war erneut Ausdruck der Rechtsentwicklung der städtischen Mittelschichten.
Mit dem politischen und wirtschaftlichen Wiedererstarken des deutschen Imperialismus ging die militärische Aufrüstung einher, die Kriegsvorbereitungen wurden verstärkt. hierzu gehörte auch der Bau moderner Panzerkreuzer. Unter der Losung 
« Für Kinderspeisung - gegen Panzerkreuzer » erlangte die SPD in Gera zu den Reichstagswahlen am 20. Mai 1928 wie im Reich den Wahlsieg mit 24 736 Stimmen ( 49,4 Prozent der Geraer Wähler ). Das hinderte die SPD - Regierung Hermann Müller jedoch nicht daran, ihre Zustimmung zum Bau des Panzerkreuzers A zu geben. Der Bruch des Wahlversprechens löste bei den Geraer Arbeitern ebenfalls große Empörung aus. Die Arbeiter der Spinnerei Gebrüder Feistkorn verlangten, die zum Panzerkreuzerbau bewilligten mittel für Kinderspeisung und soziale Zwecke auszugeben. In der Ostvorstädtischen Turnhalle forderte der Rote Frauen- und Mädchenbund in einer öffentlichen Frauenversammlung die Geraer Arbeiterfrauen auf, sich mit aller Kraft gegen den Panzerkreuzerbau zu wehren. die KPD rief zum Volksbegehren gegen den Panzerkreuzerbau auf. Nur  2 682 Geraer trugen sich in die Listen ein. Die rechten SPD- und Gewerkschaftsführer hatten ihren Einfluss genutzt und ihren Mitgliedern die Teilnahme am Volksbegehren verboten.
Erneut machten die Wahlen zum Stadtrat am 2. Dezember1928 den starken Einfluss der SPD - Führer auf die Geraer Arbeiterschaft deutlich. die SPD erhielt 21 425 stimmen ( 44,8 Prozent der Wahlberechtigten. ) Den neuen Stadtrat bildeten 16 SPD - Abgeordnete, 16 Vertreter der « Bürgerlichen Gemeinschaft » unter Führung des Bürgehrbundes und drei Kommunisten, Vorsitzender wurde Robert Giebler ( SPD ), sein Stellvertreter Dr. Wick vom Bürgerbund. Im Verlauf des Jahres 1928 machte sich die Erschütterung der relativen Stabilisierung des Kapitalismus bemerkbar. Im April 1928 gab es in Gera 4 643 Arbeitslose, im Dezember waren es 6 338 und im Januar 1929 bereits 7 268. Eine neue Krise begann sich abzuzeichnen

« Die kommunale und geistig-kulturelle Entwicklung in den zwanziger Jahren  »

Gera war, da Erfurt als eigener Regierungsbezirk zu Preußen gehörte, die größte Stadt im damaligen Land Thüringen. Die Geraer Bourgeois wollten die Produktion erweitern und stellten Pespräsentationsansprüche. Die Arbeiter erwarteten von ihren sozialdemokratischen Vertretern kommunale Verbesserungen. So entstanden eine Reihe Industrie- und Gesellschaftsbauten. Die Eröffnung des Sanatoriums « Ernseer Berg » als Tbc - Station des Städtischen Krankenhauses ( 1920 ) war für die Stadt ein ebenso dringendes Erfordernis wie das neue Gaswerk ( 1932 ), das Sommerbad ( 1924 ), die Ortskrankenkasse ( 1924, heute Sozialversicherung des FDGB in der Dr.- Friedrich - Wolf - Strasse , heute AOK ) und eine Wärmehalle ( 1924 )

 

Wärmehalle Wärmehalle
Für ein paar stunden konnten die Ärmsten der Geraer hier Schutz vor der Winterkälte suchen-


Die « goldenen zwanziger Jahre » fanden städtebauliche ihre Entsprechung durch Gebäude im Baustil, u. a. nach Plänen von Thilo Schoder, so die Frauenklinik von Dr. Schäfer in der Agnesstrasse ( heute Gagarinstrasse ), das Produktionsgebäude der Seidenweberei Schulenburg & Beßler sowie verschiedene Wohnbauten in der Vollersdorfer Strasse . Kennzeichen für den wachsenden Einfluss der reaktionären Kräfte in dieser Zeit war die Aufstellung eines revanchistischen gestaltete.

Produktionsgebäude der Seidenweberei  Schulenburg & Beßler

 Kriegsdenkmals vor dem Reußischen Theater ( 1925 ). Die Geraer Straßenbahn, das wichtigste verkehrsmittel der Stadt, wurde 1925 bis Zwötzen erweitert. Die Einbeziehung Geras in das Netz der Deutschen Lufthansa erfolgte 1926, der Flugplatz befand sich in Gera - Tinz. Das Jahr 1928 brachte drei städtebauliche Höhepunkte: die Eröffnung des Dahliengartens, die Einweihung des neuen Finanzgebäudes in der Elisabethstrasse ( heute Leninpark ) und die Grundsteinlegung für den                 « Handelshof ». 

Handelshof Handelshof in der Schlossstrasse.

Letzterer wurde als modernes Bürohochhaus für Stadtbank, Stadtsparkasse und städtische Verwaltungen errichtet und kostete 1,8 Millionen Reichsmark. Neue Gebäude ließen sich die Firmen Hapert & Co und Karl Wetzel errichten. Ein modernes Druckereigebäude erhielt die « Ostthüringer Tribüne », das Organ der SPD ( heute Karl - Liebknecht -Haus der « Volkswacht ». In der Enzianstrasse entstand das neue Gewerkschaftshaus. In Tinz, Zwötzen, Untermhaus, Thieschitz, Gera - West und am Elsterufer wurden Siedlungshäuser gebaut, die sich von allem die städtischen Mittelschichten und Teile der Arbeiteraristokratie leisten konnten In der Arbeiterklasse bestand seit jeher das Bedürfnis, sich all das Wissen anzueignen, das ihr die herrschenden Klassen vorenthielten. Dem kam der sozialdemokratische Staatsrat des « Volksstaates Reuß » 1919mit der Gründung der « Stiftung Volkshochschule Reuß » aus vorherigen Vermögensanteilen des Geraer Fürsten entgegen. Die Stiftung bestand aus drei Einrichtungen: einem öffentlichen Vortrags- und Bildungszentrum, einer Heimvolkshochschule, untergebracht im reußischen Schloss Tinz, und einer « Freien öffentlichen Landesbücherei » in der ehemals fürstlichen Villa Goethestrasse 1a.

 Landesbücherei Freien öffentlichen Landesbücherei 
um 1922.

 Am 1. April 1923 ging diese Stiftung in den Besitz des Landes Thüringen über. In der Heimvolkshochschule, am 8. März 1920 feierlich eröffnet, sahen die rechten sozialdemokratischen Führer ein wirksames Mittel, ihre ideologischen Positionen in der Arbeiterklasse zu festigen. Leiter waren zunächst Gustav Hennig ( USPD ), später der revisionistische österreichische Sozialdemokrat Dr. Alfred Braunthal. Der einzige kommunistische Lehrer, August Wittfogel, wurde 1921 entfernt, weil er über Große Sozialistische Oktoberrevolution gesprochen hatte. Die Tinzer Schule bot vielen deutschen und ausländischen Arbeitern die Möglichkeit, sich fünf Monate lang in einem organisierten Studium größere Allgemeinbildung zu erwerben. Weil die stadt Gera jährlich einige Freistellen finanzierte, haben auch zahlreiche Geraer Arbeiter diese Schule absolviert. In den ersten Lehrgängen waren noch mehrfach Kommunisten unter den Teilnehmern, so die späteren antifaschistischen Wiederstandskämpfer Hans Goldammer, Rudolf Scheffel, Otto Trillitzsch  und Rudi Birnstock. Aus der Tinzer Heimvolks-
hochschule gingen aber vor allem Funktionäre der SPD hervor. einige haben sich als eifrige Verfechter des Opportunismus einen Namen gemacht, die im Klassenkampf zu einem revolutionären Standpunkt fanden, wie Hans Eberling, langjähriger Sekretär der Bezirksleitung Gera der SED, oder Heinrich Hoffmann, 1945 paritätischer Landesvorsitzender Thüringer der SPD.
Den Grundstock der   « Freien öffentlichen Landesbücherei » bildeten die einstige « Zentralbibliothek der Gewerkschaften » und mehrere kleinere Bibliotheken, die zusammengelegt wurden. die Landesbücherei wurde 1923 zur « Muster- und Modell-
bücherei » für Thüringen ernannt. ihr Bestand umfaste 1930 etwa 15 000 Bände. Die aus der  « Stiftung Volkshochschule Reuß » hervorgegangenen Einrichtungen waren wertvolle Errungenschaften für die Arbeiterklasse, aber zugleich förderten die rechten sozialdemokratischen Führer damit unter die Illusion, durch höhere Bildung zur politischen Macht kommen zu   können  - getreu der alten sozialdemokratischen Losung « Wissen ist Macht ».
Errungenschaften auf schulpolitischen Gebiet waren die Einheitsschule für die Klassen 1 bis 4, die Mittelschulen und die Mädchen nach Beendigung der Volksschule ab 1. April 1920. Unter dem Einfluss des Thüringer Schulreformers Max Greil 
( USPD ), von 1907 bis 1919 Volksschullehrer an der Geraer Lutherschule, dann Schulrat von 1921 bis 1924 Volksbildungsminister in Thüringen, entstand 1922 in Räumen der Ostschule ( heute Karl-Liebknecht-Oberschule ) die Geraer Gemeinschaftsschulen. Diese « weltliche Versuchsschule » durfte von Schülern aus dem ganzen Stadtgebiet besucht werden. Klassenbewusst Arbeiterfamilien nutzten diese Möglichkeit einer fortschrittlichen Erziehung und Bildung.

Heimvolkshochschule Heimvolkshochschule Gera - Tinz

 Die Eltern halfen den engagierten Lehrern, die die Arbeiterkinder ganztägig betreuten, auf jede Weise. Sie bildeten einen Elternrat, in dem unter anderen der Kommunist Erich Wilke aktiv mitarbeitete, baute Lehrmittel und richteten ein Schullandheim ein. durch künstlerische Arbeitsgemeinschaften und Zirkel gaben die Lehrer den Arbeiterkindern Gelegenheit, Talent und Fähigkeiten auszubilden; sie verbanden Schulen und Arbeit und erzogen im Geiste des Friedens, der Völkerfreundschaft und gegenseitigen Hilfe. Das von der Gemeinschaftsschule hinterlassene pädagogischen Erbe - unter den Bedingungen des imperialistischen Staates.
Das Geraer Hoftheater wurde nach der Novemberrevolution als Stiftungstheater der « Reußischen Anstalt für Kunst und Wohlfahrt  » unterstellt. Ein Teil der zahlenmäßig starken Mittelschichten in Gera waren als einstige Hoflieferanten und Beamte des abgesetzten Fürstenhauses diesem noch emotional verbunden. durch reichliche finanzielle Zuwendungen für das                « Reußische Theater » sicherten sich Heinrich Reuß XXVII. und sein Nachfolger Erbprinz Heinrich Reuß XLV. auch weiterhin Einfluss und Ansehen bei vielen Geraer Bürgern. Sie holten namhafte Künstler und Intendanten nach Gera. Mit großem Erfolg wurden in Den zwanziger Jahren « Woyzeck » von Georg Büchner, « Mann ist Mann » und die 
« Dreigroschenoper » von Bertolt Brecht oder « Die gute Zeit » von Ernst Barlach aufgeführt. In der Spielzeit 1925 bis 1926 erreichte das Geraer Theater seine höchste Besucherzahl: 240 832 Personen. Es kamen auch nationalistische Autoren, wie Walter von Molo und Ernst von Wildenbruch, zur Aufführung. Dem Faschistischen Dramatiker Hanns Johst brachte der Erbprinz sogar besondere Sympathie entgegen. Das Geraer Theater bedeutete 1924 bis 1926 auch einen Abschnitt des politischen und künstlerischen Reifens im Leben des kommunistischen Schauspielers Hans Otto, den die Nazis 1933 ermordeten. In den letzten Jahren der Weimarer Republik wendete sich das Geraer Theater jedoch immer stärker dem Faschismus zu. Seit 1931 fanden Aufführungen für die Ortsgruppe der NSDAP statt. Erbprinz Reuß , Faschist mit künstlerischen Ambitionen, Chefdramaturg des Theaters, war an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt.
Die Filmtheater nahmen in Gera einen starken Aufschwung. Zu den acht vorhandenen Lichtspielhäusern kam 1928 das Palast-Theater als Neubau mit 1 100 Plätzen hinzu.

Eröffnung am 24. Januar 1928. Das alte Palast-Theater stand noch bis Jahreswende
1998 bis 1999 dann begann der Abriss.

Vorwiegend gelangten Filme zur Aufführung, die den Besuchern die Flucht aus der harten Wirklichkeit in die seichte Idylle boten, um Arbeiter vom Klassenkampf abzulenken: « Durchlaucht amüsiert sich », « Blaue Jungs - blonde Mädchen »,
« Mein Herz ist eine Jazzband ». Weitere filme dienten der Manipulierung der Bevölkerung im nationalistischen, revanchistischen und militaristischen Geist: « Schön ist die Manöverzeit », « Kreuzer Emden », « Reserve hat Ruh ». Fortschrittliche Filme wurden verboten zum Beispiel Sergei Eisensteins « Panzerkreuzer Potemkin » ( 1926 ). auf Initiative der KPD - Ortsgruppe kam der film dann in dem benachbarten preußischen Krossen ( Elster ) zur Aufführung, so dass ihn viele Geraer Arbeiter sehen konnten. Im August 1928 wurde der Geraer Filmverband unter Vorsitz von Erich Neumann ( KPD ) gegründet, der solche revolutionären Filme zeigte wie « 10 Tage, die die Welt erschütterten ».
In den zwanziger Jahren entstanden bedeutende Werke des Malers Otto Dix. Dieser große Sohn und Ehrenbürger der Stadt Gera entstammte einer Arbeiterfamilie aus Gera - Untermhaus und war damals Professor an der Kunstakademie Dresden. In seinem Tryptichon « Großstadt  » ( 1927 bis 1928 ) prangerte er die sozialen Missstände und die Fäulnis des Imperialismus an, im Tryptichon « Der Krieg » ( 1929 bis 1930 ) gab er eine erschütternde Darstellung seines selbsterlebten Kriegsgrauens. Als Künstler war Otto Dix - gleich Käthe Kollwitz, Heinrich Zille oder Otto Nagel - ein Verbündeter der Arbeiterklasse.

 

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